Faul. Egoistisch. Materialistisch. So die Klischees über die heutige Jugend. Doch ihr Ruf war schon immer schlechter als sie selber. Aus dem Jugendbarometer 2014 der Credit Suisse, das der «Schweiz am Sonntag» vorliegt, geht hervor: Die 1003 befragten 16- bis 25-Jährigen in der Schweiz zeichnen von sich selbst ein differenzierteres Bild.
Der Jugend geht es gut. Sehr gut. Seit der ersten Jugendbarometer-Umfrage vor fünf Jahren war die Zuversicht in die eigene Zukunft nie höher. 65 Prozent sind diesbezüglich optimistisch. Auch materiell gesehen sind die Jungen privilegiert, ja verwöhnt. 53 Prozent sind der Ansicht, die Eltern können sie finanziell absichern. Mehr Wohlstand als diese wollen sie nicht erzielen, viel Geld haben ist keine Priorität mehr.
Sogar im Beruf ist die Selbstverwirklichung wichtiger als die steile Karriere. Dazu passt, dass fast niemand verschuldet ist. Auf die Frage, was sie mit geschenkten 10'000 Franken machen würden, sagte eine klare Mehrheit: «Ich würde das Geld für Ferien ausgeben.»
Eine Jugend ohne Sorgen also? Falsch, zeigt die Umfrage. Das grösste Problem für die Jugendlichen sind die Ausländer. Fast jeder zweite Befragte (49 Prozent) zeigte sich besorgt über die Integration von Ausländern und über die Personenfreizügigkeit. Da es der Jugend selbst gut geht – die Furcht vor Arbeitslosigkeit verliert mit jedem Jahr an Bedeutung –, sorgen sie sich vor den anderen.
Als Erklärung dafür sieht Projektleiter Lukas Golder die Tatsache, dass die Schweiz die Finanz- und die Eurokrise bisher gut gemeistert hat. «Das hat gerade bei den Jungen ein starkes Nationalitätsgefühl gefördert. Dieses Gefühl aber stärkt die Furcht, dass durch viel Migration gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile der Schweiz verloren gehen», sagt Golder. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Forschungsinstitut GFS-Bern, das die Umfrage im Auftrag der Credit Suisse durchgeführt hat.
Auch für den Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof sticht die Ausländerphobie hervor. «Die innenpolitischen Nachrichten, die zu den Jugendlichen durchkommen, beziehen sich oft auf die Problematisierung des Fremden», hält er als Grund für möglich.
Zur Politik hat die Jugend ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits stehen politische Parteien auf Platz zwei der Liste der Dinge, die «out» sind. Anderseits ist dieses Jahr das Problembewusstsein rund um die EU im Vergleich mit 2013 stark gestiegen. 26 Prozent der Befragten fordern hier von der Schweiz eine Lösung. Ein Jahr davor waren es erst 10 Prozent gewesen. Die hohe Anzahl an Nennungen ist gemäss der Umfrage als direkte Reaktion auf die Masseneinwanderungs-Initiative vom 9. Februar zu verstehen.
Konkret nach dem zukünftigen Verhältnis der Schweiz und der EU gefragt, sagten 51 Prozent: «Die Bilateralen sollen fortgesetzt werden.» Jeder 10. würde die Bilateralen kündigen. Und nur gerade 5 Prozent, also jeder 20., möchte der EU beitreten. So ist auch der Nationalstolz auf die Schweiz konstant hoch. 80 Prozent der Jugendlichen sind eher oder sehr stolz auf das Land.
Und wie sieht es im Persönlichen aus? Was ist dran am Vorwurf, die heutige Jugend sei braver als ihre Eltern? Gefragt nach den Wertvorstellungen, bestätigt sich diese Einschätzung: Mehr als 80 Prozent träumen vom eigenen Haus. 71 Prozent möchten eine Familie mit Kindern. 97 Prozent wollen verantwortungsbewusst leben und handeln, und 98 Prozent der Befragten halten Treue und Ehrlichkeit hoch. Wichtig sind neben des guten Familienlebens verlässliche Freunde. Sexuelle Erfahrungen zu machen ist dagegen nur für 36 Prozent äusserst oder sehr wichtig. Interessant ist, dass sich die Jugendlichen trotz dieser Wertvorstellungen selber als modern und nicht als konservativ bezeichnen.
Für die Forscher ist der Fall dennoch klar. Soziologe Imhof empfindet die Befragten als stark auf traditionelle Werte fixiert. «Es handelt sich um eine angepasste, ja sogar langweilige Jugend», sagt er. Auch Golder von GFS Bern findet «dieses bürgerliche Wertmuster bemerkenswert für Jugendliche». Er wertet es als Aufbegehren gegen das Anything goes der 68er und 80er, als ein Abgrenzen von den Generationen davor.
Laut Golder geht aus der Umfrage zudem hervor, dass der Durchschnitts-Jugendliche materialistisch sowie postmaterialistisch veranlagt sei. «Dank des Wohlstands können die Teenager in der Schweiz den Fünfer und das Weggli der beiden Modelle anstreben.» Doch den Rückzug ins Private müsse man sich leisten können. Die Jugend werde genügsam. Weil sie es sich leisten könne.
Trotzdem sagt Golder: «Müsste ich diese Generation bewerten, wäre ich gern wie sie.» Die Jungen wüssten im Kern, was ihnen wichtig sei: Familie und Freunde. Gleichzeitig schafften sie sich neben dem Berufsleben Raum für die Freizeit. «Sie sind schnell und flexibel. Sie bringen Fähigkeiten mit, welche die 40-Jährigen bereits nicht mehr haben.»
Imhof sieht die Jugend kritisch. «Die aktuelle Generation passt sich bis in die privaten Beziehungen einheitlichen Standards an», sagt er. Der Schutzraum des Intimen sei durchlässig geworden, das Subjekt ist sichtbarer, der Leistungswettbewerb unerbittlicher. «Das Resultat ist mehr von Gleichen, die Jugendlichen sind austauschbar geworden.»