Das Referendum gegen das revidierte Jagdgesetz ist nicht zustande gekommen. Hat in der Schweiz die Meinung über den Wolf gedreht?
Nein, nach dem letzten Referendum und dem Nein zum Jagdgesetz im Herbst 2020 wurde von der Presse, der Bauernlobby und der Mitte-Partei eine Hetzkampagne ohnegleichen gegen den Wolf lanciert. Wir hatten sehr viele Gespräche in den letzten Wochen und mussten feststellen, dass durch Fehlinformationen sowie Angst- und Panikmache ein Teil der Schweizer Bevölkerung stark verunsichert ist, wenn es um den Wolf geht, auch in den Städten.
Die grossen Umweltschutzverbände wie Pro Natura, WWF und die Gruppe Wolf Schweiz haben das Referendum nicht unterstützt: Es sei vor dem Volk nicht zu gewinnen, hiess es, und damit würde der Wolfsschutz weiter geschwächt. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?
Wir haben schon zu Beginn des Referendums unser Unverständnis geäussert, was die Haltung der «Grossen» angeht. Der Glaube der Umweltorganisationen, dass mit der jetzigen Revision der Wolfsschutz gewährt bleibt, hat sich ja schon mit dem Vorstoss des Bündner Grossen Rats, welcher den Abschuss des ganzen Beverin-Rudels fordert, dem Drängen des Bauernverbands nach weiteren Lockerungen und der unqualifizierten Aussage des neuen Umweltministers Albert Rösti erledigt.
Vergangenen Sommer machten viele Meldungen über Risse die Runde, sogar von Mutterkühen. Was braucht es, um der Alpwirtschaft den nötigen Schutz zu bieten?
Schulung und Aufklärung. Wir plädieren schon seit Jahren für einen starken und wirksamen Herdenschutz. Dass dies möglich ist, zeigen die Alpen, welche vom Verein CH Wolf unterstützt und betreut werden und sehr gut geschützt sind. Leider werden aber auf vielen Alpen die Schutzmassnahmen nicht oder mangelhaft umgesetzt und zeigen dadurch keine oder zu wenig Wirkung. Auch wenn wir über die Grenze schauen, nach Italien, Rumänien oder Polen, da werden alle Nutztiere behirtet. Die Beziehung zu den Nutztieren und zur Natur ist dadurch eine ganz andere als bei uns. Die Nutztiere sind ihr Kapital, sie erhalten keine Sömmerungsbeiträge und auch keine Entschädigung bei Nutztierrissen.
Sie haben es angesprochen: Der neue Umweltminister Albert Rösti hat unlängst angekündigt, dass er eine neue Verordnung zum Abschuss von Wölfen bereits auf diese Sömmerung verschärfen will.
Wenn der Umweltminister Albert Rösti der Meinung ist, dass Abschüsse das Allerheilmittel sind, dann ist er definitiv als Umweltminister im falschen Departement. Dass Abschüsse keine nachhaltige Lösung sind und nie das erreichen, was man sich daraus erhofft, zeigen die letzten Jahre. Keiner der bisher getätigten Abschüsse hat die erwünschte Wirkung der Vergrämung und der Reduzierung der Rudel gebracht. Der Wolf fühlt sich in der Schweiz wohl und er wird auch so schnell nicht wieder gehen. Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir das Tier studieren und lernen, wie wir mit dem Wolf zusammenleben können. Ich hoffe sehr, dass sich unser Umweltminister die Zeit nimmt, um den Wolf zu studieren, und sich nicht nur von der Bauernlobby steuern lässt.
Ab wann dürfte ein Wolf denn nach ihrem Dafürhalten geschossen werden?
Ein Abschuss eines Wolfes macht nur dann Sinn und ist notwendig, wenn dieser gegenüber dem Menschen tatsächlich wiederholt und gezielt sehr aufdringlich oder sogar direkt aggressiv und damit gefährlich wird. Eine zu starke Gewöhnung an den Menschen kann jedoch präventiv durch das Einhalten von gewissen Verhaltensregeln und durch konsequentes und wiederholtes Verscheuchen der Tiere in den meisten Fällen vermieden werden.
Der Wolf polarisiert mehr denn je. Wie lässt sich die Debatte wieder versachlichen?
Eine sachliche und zielführende Debatte ist zurzeit schwierig, da die Fronten stark verhärtet sind und auch innerhalb der Tierschutzorganisationen keine Einigkeit herrscht. Ein erster Schritt ist sicher, dass vermehrt und verstärkt Aufklärung betrieben wird und der Wolf nicht immer als Sündenbock herhalten muss.
In Slowenien sind überall Herdenschutzhunde im Einsatz. Die Bauern und die Bevölkerung sind ganz entspannt. Sie sind stolz auf ihren Umgang mit den grossen Beutegreifern.😊