Schweiz
Zürich

Nennung von Nationalität oder Migrationshintergrund: Referendum droht

Personenkontrolle und Festnahme eines Verdaechtigen in der Drogenszene der Stadt Zuerich am 17. September 2002. Polizisten der Spezialeinheit Turicum der Zuercher Stadtpolizei bei ihrer Arbeit in der  ...
Die Polizei soll künftig sagen, welchen Pass Tatverdächtige, Täter und Opfer haben.Bild: KEYSTONE

Soll die Polizei auch Migrations-Hintergrund nennen? Und wenn ja, was ist das?

Das Zürcher Stimmvolk soll darüber entscheiden, ob die Polizei Nationalität und/oder Migrationshintergrund von Täterinnen und Tätern nennen muss. Linke kündigen ein Referendum an.
10.03.2020, 06:0510.03.2020, 22:01
Mehr «Schweiz»

Gibt es eine Beziehung zwischen Nationalität und Kriminalität? Diese Frage beschäftigt die Zürcher Politik nun seit drei Jahren. Die Stadt Zürich findet seit 2017, dass der Pass einer Person nichts darüber sagt, warum eine Tat begangen wurde. Ihre Polizistinnen und Polizisten nennen in Medienmitteilungen seither nicht mehr die Nationalität von Täterinnen, Tatverdächtigen oder Opfern. Für Statistiken werden die Angaben nach wie vor erfasst.

Das ärgerte besonders die SVP: Sie spricht von «Zensurpolitik» und kritisiert, so werde die «Ausländerkriminalität» verheimlicht. Sie will mit einer kantonalen Volksinitiative der Stadtpolizei diktieren, wie sie über Straftaten zu berichten hat.

Ihr Vorschlag geht dabei deutlich weiter als die frühere Praxis. Die SVP will, dass die Polizeien in ihren Medienmitteilungen nicht nur Nationalität, Alter und Geschlecht nennt, sondern auch den «Migrationshintergrund» auf Anfrage verrät.

Was gilt noch unter Migrationshintergrund?

Der Zuercher Regierungsrat Mario Fehr mit seinem Auslaenderausweis an einer Medienkonferenz In Zuerich am Dienstag. 4. Februar 2020. (KEYSTONE/Walter Bieri)
SP-Regierungsrat Mario Fehr mag die Praxis der Stadt Zürich nicht. (Symbolbild)Bild: KEYSTONE

Das kantonale Parlament und die Regierung lehnen die SVP-Initiative ab. Argumentiert wird, dass der Begriff «Migrationshintergrund» unklar sei. Der Zürcher SP-Justizminister Mario Fehr ging in seiner Kritik noch weiter: «Wir müssten bei der Polizei eine Art Ahnenforschungs-Abteilung ins Leben rufen.» Zudem sei er strikt dagegen, zwei Kategorien von Schweizern zu schaffen.

«Wir müssten bei der Polizei eine Art Ahnenforschungs-Abteilung ins Leben rufen.»
Sicherheitsdirektor Mario Fehr
Rassismus

Ab wann eine Schweizerin oder ein Schweizer keinen sogenannten «Migrationshintergrund» hat, schreibt die SVP nicht vor. Unklar bleibt damit, wie die Initiative umgesetzt werden soll. Einen Ansatz zur Ahnenforschung könnte die Praxis des Bundes liefern. Das Bundesamt für Statistik zählt zur «Bevölkerung mit Migrationshintergrund»:

  • Ausländerinnen und Ausländern, egal in wievielter Generation in der Schweiz wohnhaft
  • Eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer, wenn sie nicht in der Schweiz geboren wurden
  • Eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer, wenn sie und ihre Eltern nicht in der Schweiz geboren wurden

Gegenvorschlag zur Volksinitiative

Die Regierung will die Volksinitiative mit einem Gegenvorschlag bodigen. Nicht etwa, weil sie die Chancen für die SVP-Initiative für gross hält, sondern sie unglücklich mit der Praxis der Stadt Zürich ist. Die Polizei der Kantonshauptstadt nennt seit 2017 die Nationalität nur auf Anfrage. Journalistinnen und Journalisten müssten heute aktiv nachfragen, dadurch liege der Fokus noch mehr auf die Nationalität.

Der Gegenvorschlag will, dass die Stadtpolizei sich der Praxis der Kantonspolizei anpasst. Diese nennt die Nationalität in ihren Mitteilungen – nicht aber den «Migrationshintergrund». Der Kantonsrat hat am Montag diesem Gegenvorschlag zu gestimmt.

Die Nationalitäten-Nennung hätte zur beschlossenen Sache werden können. Die SVP erkannte in der Debatte selbst, dass ihre Volksinitiative wegen des «Migrationshintergrunds» einen Schwachpunkt habe. Käme es zum Rückzug der Initiative, wäre die Bahn frei für den Gegenvorschlag.

Referendum bekämpft beide Vorschläge

Delio Zanovello Junge Grüne Zürich
Delio Zanovello ist Co-Präsident der Jungen Grünen Zürich.Bild: zvg

Nun droht aber so oder so eine Abstimmung. Ein Komitee, bislang bestehend aus den Jungen Grünen, Juso, der Alternativen Linken und dem Verein Secondas, will das Referendum gegen den Gegenvorschlag ergreifen.

Delio Zanovello, Co-Präsident der Zürcher Junge Grüne, stört sich am Kerngehalt von Volksinitiative und Gegenvorschlag. «Hier wird versucht, eine Straftat nur mit der Herkunft von Täterinnen oder Opfern zu erklären», sagt er zu watson.

«Gilt eine Ur-ur-ur-ur-Grossmutter aus Frankreich schon als Migrationshintergrund?»
Delio Zanovello, Co-Präsident Zürcher Junge Grüne

Kriminell werde man nicht, weil man einen bestimmten Pass habe, sondern aus sehr vielen anderen Gründen. Auch sei der Begriff «Migrationshintergrund» unklar. Im Gespräch mit watson fragt er: «Gilt eine Ur-ur-ur-ur-Grossmutter aus Frankreich schon als Migrationshintergrund?»

Soll die Polizei die Nationalität der Täter nennen?

Das Referendumskomitee hat 60 Tage, 3000 Unterschriften zu sammeln. Die SVP kündigte an, an ihrer Volksinitiative festzuhalten, falls das Referendum ergriffen wird. Tut sie dies, wird das Volk über beide Vorlagen abstimmen müssen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das sind die besten Pressefotos des Jahres
1 / 58
Das sind die besten Pressefotos des Jahres
Der Killer des russischen Botschafters in der Türkei nach seiner Bluttat in Ankara: Das ist das Pressefoto des Jahres 2017 von Burhan Ozbilici, das auch Gewinner in der Kategorie «Spot News/Stories» (Kurznachrichten/Storys) ist.
quelle: epa/world press photo/ap / burhan ozbilici/the associated press/world press photo handout
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Telefonbetrüge nehmen rasant zu
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
260 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bajazzo
10.03.2020 09:57registriert Februar 2020
Einfache Menschen suchen einfache Erklärungen für komplexe Probleme, damit sie sich in ihrer simplen Weltanschauung bestätigt fühlen.
Dass damit die Ressentiments gegenüber allen Mitbürgern mit Migrationshintergrund geschürt werden, ist ja ganz im Interesse der Einthemen-Partei, weil sie sich ja sonst mit den wirklichen Problemen unserer Zeit befassen müssten und ihnen ihre Legitimation abhanden käme.
55362
Melden
Zum Kommentar
avatar
kupus@kombajn
10.03.2020 07:56registriert Dezember 2016
Nicht die Nationalität steht in einer Beziehung zu einem kriminellen Delikt sondern der soziale Background. Menschen aus bildungsfernem und problmatischem Umfeld neigen eher zu Delikten wie Raub, Mord, Totaschlag, Drogenhandel etc. Die anderen sind eher im Bereich der Wirtschaftskriminalität zuhause und werden weniger erwischt. Das ist bei Schweizern nicht anders. Da einige Ausländergruppen aber eher zur ersten als zur zweiten Gruppe gehören, könnte dadurch eine vermeintliche Beziehung zwischen Nationalität und Kriminalität geknüpft und Rassismus geschürt werden.
430186
Melden
Zum Kommentar
avatar
Alpenstrich
10.03.2020 07:52registriert Februar 2020
Das die Polizei bei einer Mitteilung die Nationalität nennt finde ich für mich zwar eine irrelevante Information, stört mich aber nicht.

Die Medien nennen diese aber dann auch immer in der Berichterstattung, da die Mehrheit der Bevölkerung dies scheinbar möchte, was ich viel trauriger und erschreckender finde. Die Nationalität hat mit der Tat statistisch wenig zu tun, lernte ich zumindest vom Studiengang forensische Wissenschaften an der UNIL.....
14572
Melden
Zum Kommentar
260
SVP will Benzin und Diesel verbilligen, Rösti-Departement übt Kritik – die Sonntagsnews
Weniger Solarstrom aus den Alpen, rechtsextreme Verbindungen der Jungen SVP und gestrichene Sendungen von SRF Kultur: Das und mehr findet sich in den Sonntagszeitungen.

Der Energiekonzern Axpo hat die Prognosen zur Stromproduktion von alpinen Solaranlagen deutlich nach unten geschraubt. Statt mit zwei Terawattstunden rechnet Axpo kurzfristig noch mit einem Viertel der angestrebten Menge, wie die «SonntagsZeitung» einer neuen Schätzung entnahm. Die langfristige Produktionsprognose reduzierte der Konzern demnach gar um den Faktor 10. Das sei nicht einmal die Hälfte dessen, was sich die Politik bereits für 2030 versprochen habe. Grund seien in erster Linie die höheren Baukosten im hochalpinen Gelände. Energieminister Albert Rösti kenne das Problem. Doch wolle er weiterhin auf die alpine Solarkraft setzen. «Jede Anlage, die gebaut wird, leistet einen Beitrag», sagte er.

Zur Story