Ein paar Zahlen um die Dimensionen der Niederlage gegen Kanada zu erklären. Die Kanadierinnen haben noch nie ein Spiel gegen ein europäisches Team verloren. Sie rekrutieren ihr Team aus fast 88'000 lizenzierten Spielerinnen. Und sie leisten sich mit Kevin Dineen einen ehemaligen NHL-Coach.
Die Schweizerinnen hatten aus ihren bisherigen Begegnungen mit Kanada ein Torverhältnis von 1:65, wir hatten immer mindestens mit fünf Toren Differenz verloren und wir haben nicht einmal 1000 lizenzierte Spielerinnen. Im ersten Gruppenspiel waren wir hier in Sotschi gegen die Kanadierinnen chancenlos (0:5/14:69 Torschüsse). Und bei der WM 2012 waren wir gegen Kanada gleich 0:12 untergegangen.
Und nun brachten die Schweizerinnen diesen übermächtigen Gegner ins Wanken. Sie verloren nur 1:3, liessen «nur» 22:48 Torschüsse zu und hatten bis in die Schlussphase hinein Chancen zum 2:3-Anschlusstreffer. Sie gewannen das zweite Drittel (1:0) und hielten im letzten Abschnitt stand (0:0). Allein die 0:3-Hypothek aus dem Startdrittel wog zu schwer. Mit einem Time-Out zur richtigen Zeit hatte Cheftrainer René Kammerer wieder Ordnung und Zuversicht in sein Team gebracht – und nach dem 0:3 (12. Minute) gewannen die Schweizerinnen die restlichen 48 Minuten 1:0.
Coach René Kammerer war ans Herz gelegt worden (nicht von Verbandsseite), doch das Spiel verloren zu geben, die Ersatztorhüterin einzusetzen, alle Spielerinnen laufen zu lassen und Kräfte fürs Bronze-Spiel zu schonen. Ein Sieg sei ja sowieso nicht möglich. René Kammerer sagt: «Das kam für uns nicht in Frage. Wir gingen in dieses Spiel um zu gewinnen.» Der Mut, gegen Kanada auf Sieg zu spielen ist bewundernswert. Ganz offensichtlich hat das 2:0 in den Viertelfinals gegen die Russen das Team befeuert.
Natürlich war Florence Schelling wieder eine Heldin und wehrte 45 Schüsse ab. Die These, wonach Zug mit ihr im Tor wohl in den Playoffs wäre, ist bestätigt worden. Und mit etwas Bösartigkeit können wir nun anfügen: Vielleicht hätte den Zugern ja auch eine Beratung von René Kammerer («Wir basteln ein taugliches Defensivkonzept») geholfen.
Nun gibt es bei den Schweizerinnen eine neue Heldin. Jessica Lutz (24). Die US-schweizerische Doppelbürgerin erzielte das Tor zum 1:3. Sie ist drei Jahre in die Schweiz gekommen um für die Nationalmannschaft qualifiziert zu sein, arbeitete nebenher im Stadtberner Nobel-Restaurant «Lorenzini» an der Kaffeebaar und in einer Kerzenfabrik.
Inzwischen ist die Hockey-Heldin von der Kaffeebar nach Washington zurückgekehrt um ihre Ausbildung zur Krankenschwester zu beenden. Nebenbei spielt sie in einer Männer-Plauschliga in der Bodychecks untersagt sind. Ihr Kommentar zum historischen Tor sagt etwas über die Schweizerinnen aus: «Es war ein Tor des Teams.»
Der Teamgedanke schimmert durch alle Statements. Die Schweizerinnen haben den Teamgedanken besser umgesetzt als unsere Männer einst unter Ralph Krueger. Dabei hat Krueger über Teambuilding sogar einen Bestseller geschrieben.
Nun spielt die Schweiz am Donnerstag (13.00 Uhr Schweizer Zeit) gegen Schweden um Bronze. Florence Schelling sagt: «Wenn wir alles mitnehmen, was uns im Spiel gegen Kanada ausgezeichnet hat, dann kann es nur einen Sieg geben.»