Wer so knapp neben der ersehnten Medaille landet, der darf enttäuscht sein. «Im ersten Moment ist es eine bittere Pille», sagt die Schweizer Einer-Ruderin Jeannine Gmelin. Doch bald spricht auch Stolz auf ihre Leistung und auf ihren ganz eigenen und eigenwilligen Weg in den Olympiafinal aus ihrer Stimme. Immerhin sei sie Teil des schnellsten Olympiafinals der Geschichte gewesen. «Ich gehe mit hoch erhobenem Kopf nach Hause.»
Fünfte war Jeannine Gmelin bereits bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro. Also wieder gleich weit wie vor fünf Jahren? Bei weitem nicht! Wer anhand der nackten Zahlen auf die Idee kommt, die Zürcherin hätte sich in dieser Zeit im Kreis gedreht, liegt komplett daneben.
Die 31-Jährige hat seit 2016 derart viele Emotionen, Hochs und Tiefs erlebt, wie so manche Sportlerinnen und Sportler in der ganzen Karriere nicht. Zuerst reitet Gmelin auf einer unvergleichlichen Erfolgswelle, wird 2017 Weltmeisterin, ein Jahr später Europameisterin und Gesamtweltcupsiegerin. Beinahe zwei Jahre lang gewinnt sie jedes Rennen. Erst an der WM 2018 reicht es erstmals wieder «nur» für Silber.
Dann der Tiefschlag, der Gmelin beinahe zum Rücktritt treibt. Der Verband feuert ihren Erfolgstrainer Robin Dowell wegen unterschiedlicher Ansichten über die Trainingsgestaltung. Die Athletin, gleichzeitig das absolute Flaggschiff der Schweizer Ruderfrauen, wird in diesen Entscheid nicht mit einbezogen und fällt aus allen Wochen.
Nach vielen Tränen und schlaflosen Nächten entscheidet sich Jeannine Gmelin für die Trennung. Sie löst sich aus den Strukturen des Verbandes und sucht ihr Glück künftig als Privatteam. Coach Dowell bezahlt sie fortan aus dem eigenen Sack wie so vieles andere auch.
Dieser Sonderweg kostet sie nicht nur viel Geld, sondern ebenso Energie. Zwar gehört Gmelin weiterhin konstant zu den sechs besten Skiff-Ruderinnen der Welt, aber die ganz grossen Erfolge bleiben aus. So reist die Ustemerin, die inzwischen am Sarnersee wohnt, als Aussenseiterin nach Tokio.
Es sei der allerwichtigste Wettkampf ihrer Karriere, sagt Gmelin zum Olympiaauftritt. Sie will sich auf ihre eigene Leistung konzentrieren, glaubt an die Medaille. Erst recht, als sie im Halbfinal als souveräne Zweite ein starkes Lebenszeichen abliefert.
Wieso also nicht einen Lebenstraum erfüllen? Der Final beginnt verheissungsvoll. Nach einem Viertel der Strecke liegt Gmelin auf Podestkurs. Doch im Mittelteil der 2000 Meter langen Strecke sind andere Frauen schneller. Gmelin fällt auf den letzten Platz zurück, gibt sich aber noch nicht geschlagen. Früh setzt sie zum Endspurt an. Hoffnung keimt auf.
Hinter der überlegenen neuen Olympiasiegerin Emma Twigg aus Neuseeland und der Russin Hanna Prakatsen – den zwei meistgenannten Favoritinnen – entbrannt ein enges Rennen um Bronze. Gmelin schnappt sich die chinesische Konkurrentin, aber letztlich fehlen 1,2 Sekunden auf Magdalena Lobnig, die für Österreich Rudergeschichte schreibt.
Wäre mehr drin gelegen? Gmelin will nicht hadern, weder mit den 2000 Metern des Olympiafinals, noch mit ihrer sportlichen Reise seit 2019: «Ich bereue keinen einzigen Schritt auf meinem Weg und würde das Rennen nochmals gleich angehen», sagt sie in die Kameras des Schweizer Fernsehens.