Grosse Pause im Schulhaus Steinli von Möhlin. Hier braucht man niemandem mit der Frage zu kommen, wer am Samstag in Berlin zweiter Schweizer Triple-Sieger nach Xherdan Shaqiri wird. Für die Aargauer Kids kann es im Champions-League-Final-Showdown zwischen Rakitics Barcelona und Lichtsteiners Juventus nur einen Sieger geben: Ihren Ivan.
Denn nur einen Steinwurf entfernt hat der schweiz-kroatische Doppelbürger Ivan Rakitic 1992 seine Laufbahn lanciert. Schon als vierjähriger Stöpsel sorgt der heutige Barcelona-Star bei den F-Junioren des FC Möhlin-Riburg für Furore: Seine 18 Tore in einem Spiel haben im Dorf noch immer Legendenstatus. Entsprechend gross ist der Trubel auf dem Pausenplatz, als Rakitics Vater Luka, sein Bruder und Berater Dejan und dessen zweijähriger Sohn Lionel zum Interviewtermin erscheinen.
Meisterschaft und Cupsieg sind bereits im Trockenen. Nun kann Ivan Rakitic mit Barcelona auch noch das Triple holen. In ihrer Familie muss derzeit Ausnahmezustand herrschen.
Dejan Rakitic: Es kribbelt gewaltig, das ist schon so. Wir haben alle grosse Sehnsucht nach diesem Champions-League-Final und werden mit der ganzen Familie im Stadion sein. Es fehlt nur noch ein Schritt für die perfekte Saison.
Dabei hat der Transfer von Sevilla zum grossen FC Barcelona im vergangenen Sommer die Fachleute weltweit überrascht.
Dejan Rakitic: Es war ein sehr aufregendes Jahr für uns. Während der WM kamen etliche Anfragen und mit dem
Wechsel nach Barcelona ging Ivans Bubentraum in Erfüllung. Die erste Saison bei einem der
grössten Vereine der Welt ist immer etwas Besonderes, aber er macht das sehr gut. Er ist nun 27 Jahre alt und ein sehr reifer Spieler. Schon als
Junger war er extrem weit im Kopf. Bereits mit 19 hat er für den Transfer von Basel zu Schalke alles zurückgelassen und ist alleine in die weite Welt gezogen. Ohne Eltern, ohne Geschwister,
ohne Kollegen.
In der Bundesliga ist ihr Bruder damals nicht sonderlich aufgefallen, bei Sevilla wurde er Europa-League-Sieger und erster ausländischer Captain seit Diego Maradona. Nun ist er aus Barças Spiel kaum mehr wegzudenken. Was ist der Grund für diese rasante Entwicklung?
Dejan Rakitic: Er hatte auch bei Schalke eine gute Zeit. Der Wechsel zu Sevilla war ein grosser Schritt. Er kam in ein neues Land mit einer anderen
Kultur und einer anderen Sprache und konnte zu Beginn nicht einmal einen Kaffee bestellen. Das
ist alles nicht so einfach. Aber es war perfekt für ihn. Seine Spielweise passt ideal zum spanischen
Fussball und er hat dort seine Frau kennengelernt.
Als Teamkollege von Messi, Neymar und Suarez ist der Junge aus Möhlin in den Rang eines Weltstars aufgestiegen. Wie hat sich sein Alltag verändert?
Dejan Rakitic: Der Rummel bei Barcelona hat noch einmal ganz andere Dimensionen. Es ist für Ivan nahezu unmöglich, in der Stadt essen zu
gehen. Was früher eine Viertelstunde gedauert hat, dauert nun zwei Stunden. Aber er hat kein Problem damit, bei einem Einkauf 100 Autogramme zu geben. Das Interesse der Fans ist nicht selbstverständlich, sondern eine Ehre.
Luka Rakitic: Wenn Sie mich gefragt hätten, hätte ich so eine grosse Karriere immer eher Dejan zugetraut.
Wie bitte?
Luka Rakitic: Ja, er ist vier Jahre älter und war technisch immer stärker. Ich kann mich an einen Jonglier-Wettbewerb aus ihren Kindertagen erinnern. Dort standen Dejan, Ivan und ich aus 50 Teilnehmern im Final. Ich wurde Dritter, Ivan Zweiter und Dejan hat gewonnen.
Dejan Rakitic: Man sagt ich hätte ähnlich viel Talent wie mein Bruder. Das muss vom Vater kommen. Er hat früher auch in der Ex-jugoslawischen Junioren-Nati gespielt. Allerdings habe ich mir mit 17 Jahren dreimal hintereinander den Fuss gebrochen und damit war der Traum von der Karriere beendet. Vielleicht wird mein Sohn Lionel ja einmal Profi. Er trägt die Kickschuhe mittlerweile schon beim Coiffeur und im Bett. Wir werden sehen.
Dafür mischen Sie jetzt mit NK Pajde den regionalen Fussball auf.
Dejan Rakitic: Ja, mein Vater hat den Klub gegründet und führt ihn als Präsident. Ich bin Spielertrainer in der ersten Mannschaft. Wir sind gerade in die zweite Liga inter aufgestiegen und stehen im Nordwestschweizer Cupfinal.
Luka Rakitic: Ivan unterstützt uns sehr. Er schickt jede zweite Woche ein Paket von seinem Ausrüster Adidas. Wir haben Material für die nächsten fünf Jahre. Auch die Gemeinde Möhlin kommt uns mit Bauland für ein neues Klubhaus entgegen.
So viel Fussball-Talent in einer Familie. Gibt es eine Erklärung dafür?
Luka Rakitic: Schauen Sie, ich bin einfach jeden Tag nach der Arbeit mit den Kindern auf den Platz gegangen. Das tun viele andere Väter nicht. Die gehen lieber
einen Kaffee trinken und dann ins Bett. Wenn ich nur fünf Franken im Portemonnaie hatte, dann habe ich nicht selber einen Cervelat
gegessen, sondern den Kindern nach dem Training einen gekauft. Aber das ging natürlich alles nur, weil meine Frau das auch
immer unterstützt hat. Dafür muss ich ihr Danke sagen.
Dejan Rakitic: Ivan und ich werden nie vergessen, was unsere Eltern alles für uns gemacht haben. Deshalb kommt die Familie immer an erster Stelle.
Dieser Zusammenhalt wurde 2007 auf die Probe gestellt. Als sich Ivan Rakitic gegen die Schweizer und für die kroatische A-Nationalmannschaft entschieden hat, wurde Ihnen hier viel Ablehnung entgegengebracht.
Luka Rakitic: Das ist lange her, aber die Erinnerungen bleiben ein Leben lang. Ich bin enttäuscht darüber, wie das damals abgelaufen ist. Wir haben anonyme Drohbriefe und Telefonanrufe erhalten. Vieles habe ich Ivan gar nicht gezeigt.
Für viele Fans und Medien gilt Ivan Rakitic seither fussballerisch nicht mehr als Schweizer. Sogar das SRF hat Stephan Lichtsteiner als einzigen Schweizer Champions-League-Finalteilnehmer vermeldet.
Luka Rakitic: Das ist nicht korrekt, Ivan fühlt sich als Schweizer. Er ist hier geboren, hat den Schweizer Pass und
hat für die Junioren-Natis gespielt. Es gab in der Neuzeit vor ihm keinen Schweizer Spieler bei Barcelona. Hier in Möhlin ist das ganze Dorf stolz auf ihn. Wenn er nach Hause
kommt, dann sind mindestens 100 Kinder da.
@diuuk Extrem peinlich wie Rakitic totgeschwiegen wird seit er für Kroatien spielt. Der erfolgreichste Schweizer Fussballer momentan.
— Beauris (@beauris) 14. April 2015
Dejan Rakitic: Das regt einen auf, klar. Aber man sollte sich im Schweizer
Verband vielleicht besser einmal fragen, ob man nicht selber einen Fehler gemacht hat, statt immer den Anderen die Schuld in die
Schuhe zu schieben. Für Ivan war von Anfang an klar, dass er für die Schweiz spielen will. Aber
wenn das Interesse des Landes nicht gross genug ist, dann muss man das akzeptieren. Ihm wurde gesagt: «Wenn du Lust hast, dann komm, aber es wird schwierig.» Auf der anderen Seite war die Delegation
von Kroatien, die sich wirklich bemüht hat.
Luka Rakitic: Ein Mineralwasser reicht eben nicht.
Ein Mineralwasser?
Luka Rakitic: Ja, ein Mineralwasser hat Köbi Kuhn im St.Jakob-Park einmal mit uns getrunken. Das war der einzige Termin. Derweil ist die kroatische Delegation mit Präsident und Trainer innerhalb von zwei Monaten sieben Mal angereist und hat versucht, Ivan für sich zu gewinnen. Er hat dort das Vertrauen gespürt. Ich stehe immer mit der Schweizer Fahne im Stadion, ich liebe meine zweite Heimat, aber das wurde damals schlecht gelöst.
Ivan Raktic pflegt den Kontakt mit FCB-Präsident Bernhard Heusler und hat immer betont, dass er zum Abschluss seiner Karriere nach Basel zurückkehren will. Wird das utopisch, wenn er nun mit Barcelona die Champions League gewinnt?
Dejan Rakitic: Ich würde das nicht als unwahrscheinlich bezeichnen. Basel ist der Verein, bei welchem Ivan gross
geworden ist. Er hat dort seit den E-Junioren gespielt, sein Profi-Debüt gegeben und ist den Menschen im Klub entsprechend verbunden. Wenn immer er kann, schaut er sich die Spiele an. Ausserdem hat er in Möhlin ein Haus gebaut. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass er eines Tages zum FCB zurückkehren wird.