Der mit 18'400 Zuschauern ausverkaufte Palexpo-Hexenkessel in Genf steht Kopf, als Roger Federer gleich den ersten Matchball verwandelt. Im vierten Einzel des Davis-Cup-Halbfinals gegen Italien hat der «Maestro» wieder einmal den alles entscheidenden dritten Punkt für das Schweizer Team eingefahren.
Damit geht für Federer und Co. ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Vom 21. bis am 23. November hat die Schweiz auswärts gegen Frankreich die Chance, erstmals die «hässlichste Salatschüssel der Welt» zu gewinnen. Bei der ersten Finalteilnahme verloren Marc Rosset und Jakob Hlasek gegen die hochfavorisierten USA mit Andre Agassi, Jim Courier, John McEnroe und Pete Sampras trotz harter Gegenwehr 1:3.
Gegen die Franzosen wird die Aufgabe nicht einfacher, obwohl auf dem Papier die Schweizer leicht zu favorisieren sind. Mit Roger Federer und Stanislas Wawrinka stellen sie die Nummern 2 und 4 der Welt. Beide sind derzeit in Topform und in der Lage, jeden Gegner zu schlagen. Die drei Punkte zum Sieg könnten sie mit drei Einzelsiegen bereits bewerkstelligen.
Mit einem Sieg im Doppel dürfen die Schweizer hingegen nicht rechnen. Der Halbfinal in Genf hat einmal mehr gezeigt, dass dies ihre Achillesferse ist. Es fehlt ein eingespieltes Team: Viermal in Serie hat Captain Severin Lüthi sein Doppel nun unterschiedlich besetzt: Gegen Italien spielten Wawrinka und Marco Chiudinelli, gegen Kasachstan Federer und Wawrinka. Gegen Serbien kamen Chiudinelli und Michael Lammer zum Zug, im vergangenen Herbst Federer und Lammer.
Lüthi sagt: «Unsere Chancen sind etwa gleich mit jeder Konstellation». Gleich tief, meinte er wohl. Wawrinkas Doppelbilanz liegt im Davis Cup mittlerweile bei 3:12, diejenige von Chiudinelli bei 1:4. Bei Federer ist sie mit 11:9 zwar noch positiv, zu verdanken hat er dies allerdings den frühen Jahren seiner Karriere.
Ganz anders die Franzosen. Sie haben mit der Paarung Michael Llodra und Julien Benneteau ein absolutes Spitzendoppel in ihren Reihen. Und wenn einer der beiden fehlt – wie Llodra (Ellbogenverletzung) im Halbfinal gegen Tschechien – springen andere in die Bresche. Am Samstag sorgte das Duo Jo-Wilfried Tsonga und Richard Gasquet für den entscheidenden dritten Punkt.
Tsongas Doppelbilanz im Davis Cup ist mit 5:0 überaus beeindruckend. Auch diejenigen von Gasquet (2:1), Benneteau (5:3) und Llodra (20:8) sind allesamt positiv.
Die Franzosen haben im Hinblick auf den Final Ende November aber noch weitere Vorteile. Sie sind deutlich breiter besetzt. Mit Tsonga (ATP 12), Gasquet (ATP 21), Gael Monfils (ATP 18), Benneteau (ATP 29) und Ersatzmann Gilles Simon (ATP 26) haben sie fünf Spieler, die für die vier Einzel in Frage kommen. Die Schweizer nur deren zwei. Und wehe, wenn sich Federer oder Wawrinka verletzen.
In den Direktbegegnungen haben die Franzosen gegen die Schweizer auf der Tour unterschiedlich abgeschnitten. Die Bilanzen gegen Wawrinka sind ungefähr ausgeglichen, gegen Federer allesamt negativ. Aber sie alle haben auch schon den «Maestro» als Verlierer vom Platz geschickt.
Die Franzosen haben zudem den Heimvorteil auf ihrer Seite und dürfen die Unterlage sowie die Bälle wählen. Gespielt wird wohl im Fussball-Stadion des OSC Lille. Dieses verfügt über ein schliessbares Dach und kann deshalb in eine 20'000 bis 30'000 Zuschauer fassende Tennis-Arena umgewandelt werden. Das Billet-Kontingent für die Schweizer Fans soll zehn Prozent des Gesamt-Fassungsvermögens betragen.
Bei der Unterlage deutet alles darauf hin, dass die Franzosen auf Sand spielen lassen werden. Schon der Halbfinal gegen Tschechien fand – in Roland Garros – auf Sand statt und auf der roten Asche wird sich Davis-Cup-Captain Arnaud Clément wohl auch gegen die Schweiz die besten Chancen ausrechnen.
Nach der viermonatigen Hartplatz-Saison wird es zwar für beide Teams schwierig, sich an die langsamere Unterlage zu gewöhnen. Die Franzosen dürften aber dennoch mehr Zeit für die Anpassung haben. So wie es momentan aussieht, reisen nämlich Roger Federer und Stan Wawrinka zu den World Tour Finals nach London. Sie finden in der Woche vor dem Davis-Cup-Final in London auf Hardcourt statt.
Von den Franzosen hat höchstens noch Tsonga Chancen, beim Saisonfinale dabei zu sein. Sie können also bereits mindestens eine Woche früher als die Schweizer mit der Umstellung beginnen. Die Schweizer dagegen werden mit mindestens drei Partien in den Beinen anreisen.
Die Schweizer dürfen sich deshalb nicht darauf verlassen, dass man in den vier Einzeln drei Siege einfährt. Umso wichtiger wäre es in den verbleibenden zwei Monaten, ein schlagkräftiges und eingespieltes Doppel aufzubauen. Ob das nun Federer/Wawrinka, Chiudinelli/Lammer oder eine Mischung ist, spielt eigentlich keine Rolle.
Die Chancen stehen allerdings schlecht. Alle vier haben ihre eigenen Pläne für den Rest der Saison. Am ehesten wäre es noch in Basel möglich, ein Doppel für den Davis-Cup-Final zu forcieren. Es ist die einzige Woche bis zum Final, in der alle Teammitglieder am gleichen Ort sein werden. Geplant sei dies allerdings nicht, wie Roger Federer verlauten liess.