Am 2. Januar 2019 waren die St. Louis Blues am Boden. Nachdem sie am Silvesterabend gegen die New York Rangers mit 1:2 verloren und Ottawa später gegen Vancouver punktete, waren sie offiziell das Schlusslicht der NHL.
Bei Saisonhälfte – damals hatte St. Louis 37 von 82 Spielen absolviert – glaubte wohl auch der optimistischste Blues-Fan nicht mehr an die Playoffs, geschweige denn den Stanley-Cup-Final. Doch genau dort steht das Team aus dem US-Bundesstaat Missouri nun viereinhalb Monate später. Dank 65 Punkten aus 45 Spielen nach diesem 2. Januar. Dank bislang zwölf Siegen in den Playoffs. Und dank einem unfassbaren Lauf, der auf teilweise unwahrscheinlichen Helden basiert.
Die Geschichte der diesjährigen St.Louis Blues ist auch die Geschichte von Jordan Binnington. Vor dieser Saison hatte der 25-Jährige gerade mal 13 Einsatzminuten in der NHL auf dem Konto, spielte hauptsächlich in der AHL, teilweise sogar in der ECHL, der dritthöchsten nordamerikanischen Liga.
Jordan Binnington is one confident dude. #STLBlues pic.twitter.com/Q0uv7ZfFaz
— NHL Prospects Watcher (@Prospects_Watch) 10. April 2019
Nachdem die Blues am Tiefpunkt angekommen sind, probiert Trainer Craig Berube einfach mal etwas Neues aus. Jordan Binnington kommt am 7. Januar 2019 zu seinem ersten NHL-Start – und feiert einen Shutout. Der Rookie setzt sich in der Mannschaft fest und verdrängt Jake Allen als Nummer 1 im Tor.
Nun trägt der NHL-Neuling sein Team auch in den Stanley-Cup-Playoffs in neue Höhen. In den letzten zwei Spielen gegen San Jose war Binnington kaum mehr zu bezwingen. Insgesamt sind seine Statistiken zwar nicht überragend (91,7 Prozent Fangquote und 2,37 Gegentore pro Spiel), doch wenn es zählt, können sich die Blues auf ihren Keeper verlassen. Mit mittlerweile zwölf Playoff-Siegen als Rookie katapultiert er sich in Sphären von Goalie-Legenden wie Ken Dryden, Patrick Roy oder Ron Hextall. Viele Experten sehen Binnington als ersten Anwärter für die Trophäe des Playoff-MVP. Gewinnen die Blues tatsächlich den Cup, sollte dem nichts mehr im Wege stehen.
Binnington also became the 10th rookie goaltender in NHL history to earn at least 10 wins in a single postseason. #NHLStats #StanleyCup pic.twitter.com/dHgQIUZqiK
— NHL Public Relations (@PR_NHL) 18. Mai 2019
Jaden Schwartz hatte eigentlich eine enttäuschende Saison hinter sich. Der Kanadier ist sonst ein regelmässiger 60-Punkte-Skorer in der NHL. Dieses Jahr kam er in der Regular Season aber nur auf 36 Punkte in 69 Spielen.
Doch die Playoffs haben etwas ausgelöst beim 26-jährigen Flügel; plötzlich ist er in der Lage, sein bestes Eishockey abzurufen. Das kommt auf den ersten Blick vielleicht überraschend, auf den zweiten aber nicht. Schwartz war in der Regular Season etwas vom Pech verfolgt. Liegt seine Schusseffizienz über die gesamte NHL-Karriere bei durchschnittlich 13,7 Prozent, war sie dieses Jahr mit 9,8 Prozent ungewöhnlich tief.
Schwartz ist einer der produktivsten Spieler bei St.Louis. Er generiert die meisten Schüsse, die zweitmeisten Schussversuche und die drittmeisten Torchancen seines Teams. Im Gegensatz zur Qualifikation fallen nun die Pucks einfach wieder rein – und wie! Schwartz hat in den Playoffs schon zwei Hattricks erzielt und ist mit zwölf Toren und vier Assists der drittbeste Skorer der Playoffs nach San Joses Logan Couture und Bostons Brad Marchand.
Klar, St.Louis hat Stars wie Vladimir Tarasenko, Jaden Schwartz oder Ryan O'Reilly. Eine Stärke der Blues ist es aber auch, dass von den Spielern aus den hinteren Linien viel Unterstützung kommt. Tyler Bozak, Oskar Sundqvist oder Robert Thomas skoren regelmässig. Pat Maroon sticht dabei aber besonders heraus.
Das hat viel mit seinem Hintergrund zu tun. Letztes Jahr spielte der 31-Jährige seine bislang beste NHL-Saison. Doch statt sich bei irgendeiner Franchise eine Lohnerhöhung einzukassieren, kehrte Maroon in seine Heimatstadt St.Louis zurück. Dort kassiert er 250'000 Dollar weniger als noch letzte Saison, dafür spielt er zum ersten Mal in seiner Profikarriere zuhause, wo auch seine Frau und sein Sohn leben.
Und ausgerechnet der Einheimische hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Blues nun im Stanley-Cup-Final stehen. In Spiel 7 der Conference-Halbfinalserie gegen Dallas schoss er nämlich das entscheidende Tor in der Verlängerung.
Patrick Maroon's son after his father scored the OT winner.
— Leah Kessel (@leahflame) 8. Mai 2019
I'm not crying, you are. pic.twitter.com/wf8zE8aHv0
Pat Maroon hat ihn schon lobend erwähnt: Trainer Craig Berube ist die vierte wichtige Stütze, die den Erfolg der Blues ausmacht. Ende November hat er als Interimstrainer, also eigentlich als Notlösung, übernommen, weil Headcoach Mike Yeo gefeuert wurde.
Der heute 53-Jährige war als Spieler nie ein Star, sondern ein perfekter Rollenspieler. Obwohl er nie gedraftet wurde, absolvierte er mehr als 1000 Spiele in der NHL. Deshalb weiss er genau, dass nicht nur die Stars, sondern auch die Rollenspieler extrem wichtig sind. Und kann dieses Gefühl seinen «Jungs» auch vermitteln.
«Als erstes musste ich den Spielern wieder Selbstvertrauen vermitteln», sagt Berube über seine Arbeit. Deshalb hat er praktisch als erste Amtshandlung die NHL-Tabelle aus der Kabine der Blues verbannt. «Sein Motto ist ‹Shit happens, da kannst du nichts machen›», erklärt Verteidiger Jay Bouwmeester. «Und diese Einstellung hat er auch uns beigebracht. Wir lernten, zurückschauen bringt nichts.» Er sei in der Lage, jeden Spieler so zu motivieren, dass er das Team und nicht die eigene Person an erste Position stelle.
So hat der Kanadier die St.Louis Blues vom letzten Platz in den Stanley-Cup-Final geführt. Und ist deshalb richtigerweise auch einer der Anwärter für die Auszeichnung zum besten Coach der Saison.