Wenn es noch für die Playoffs reichen soll, dann darf Philadelphia keine Punkte verschenken. Gegen die Buffalo Sabres, die Lakers der NHL, schon gar nicht. Buffalo steht auf dem 30. und letzten Platz der Liga und hat in allen Bereichen die miserabelsten statistischen Werte.
Wie die Kloten Flyers gegen die Lakers haben gestern auch die Philadelphia Flyers gegen das Schlusslicht Punkte vergeben. Eine bittere 2:3-Pleite nach Penaltys. Die 4. Niederlage in den letzten fünf Spielen. Krise.
Kritische Situationen werden in der NHL vor allem in den US-Teams anders gemanagt als bei uns. Es ist sozusagen die höhere Geometrie der Krise: alles strukturiert, alles berechenbar. Keine knackigen Aussagen und die Polemik ist so brav wie die Vorträge eines Sonntagsschullehrers. Die Versachlichung als oberstes Gebot.
Nach dem missglückten Spiel ist Mark Streit ein gefragter Mann. So wie er antwortet, könnte er nach seiner Karriere als Quereinsteiger in den diplomatischen Dienst eintreten. Buffalo habe nur eines der letzten 20 Spiele gewonnen – eine solche Niederlage sei doch nicht akzeptabel. So lautet eine der Fragen. Mark Streit sagt: «Nein, solche Niederlagen sind nicht akzeptabel.» Er beschönigt nichts und bleibt doch sachlich. So nimmt er den Kritikern den Wind aus den Segeln.
Dann erzählt der ehemalige SCB-Junior in perfektem Englisch leise und bestimmt, wie schwierig es eben sei, gegen solche Teams zu gewinnen. Der Standardsatz («they came out hard») fehlt natürlich auch nicht und Mark Streit erklärt, er kenne ja die Situation von Teams, die meistens verlieren, aus seiner Zeit bei den Islanders. Man versuche eben trotzdem immer alles, um zu gewinnen, und das habe Buffalo getan.
Dann der Hinweis, dass es Zeiten gebe, da gelinge einem alles und dann wieder Zeiten, da gelinge einem nichts. Der Hinweis auf einen Pfostenschuss fehlt auch nicht und Ray Emery bekommt auch noch ein dickes Lob. Der Goalie habe ein paar unglaubliche Paraden gezeigt. Dabei ist Ray Emery ein schlimmer Lottergoalie und hat die zwei Gegentreffer gegen Buffalo auf dem Gewissen. Beim zweiten stand Mark Streit auf dem Eis.
Aber das Wort Lottergoalie wagt hier niemand auszusprechen, geschweige denn gar zu schreiben. Der Sozialabstand zwischen den Spielern und den Chronistinnen und Chronisten ist viel grösser als in der NLA – und der Respekt vor den Spielern auch. Häme gibt es in der Krisen-Berichterstattung nicht. Höchstens leise Ironie.
Kein Vergleich zu einem kernigen Krisenspektakel in der NLA. Undenkbar, dass hier der Coach seinen Vorgänger kritisiert und erklärt, die Jungs hätten keine Kondition, wie es Sean Simpson nach der Niederlage gegen die ZSC Lions getan hat. Alle Aussagen des Cheftrainers und der Spieler sind klinisch sauber. Sowieso stehen der Medienchef und seine Helfer immer herum und hören zu. Die Regeln sind klar: Nach dem Spiel wird nur über das Spiel gesprochen. An die Frage, ob der Trainer in Gefahr sei, wenn es so weitergehe, wagt niemand auch nur zu denken.
Und doch geht in Zeiten der Krise nicht ganz alles seinen gewohnten Gang. Bei Heimspielen haben es die Spieler nicht so eilig und stehen bereitwillig Red' und Antwort. Aber diesmal muss Mark Streit frühzeitig abbrechen. Der Medienchef kommt und sagt: «Mark, Chief!» Sitzung im Trainer-Büro.
In Zeiten der Krise gibt es nach so einer bitteren Niederlage schon etwas zu besprechen. Der Berner steht zwar nicht mehr ganz oben in der Hierarchie wie einst bei den Islanders, wo er Captain war. Aber als Assistenz-Captain immer noch so weit oben, dass seine Meinung in allen wichtigen Fragen angehört wird.
Er verdient in Philadelphia diese Saison 6,25 Millionen Dollar und ist damit hinter Captain Claude Giroux (10 Mio) die Nummer zwei auf der Lohnliste. Und sein Vertrag läuft noch weitere drei Jahre. Er gehört zu den Leitwölfen der Mannschaft. Logisch, dass der «Chief» jetzt mit ihm reden will. Sofort.
Auf dem Eis wirkt Mark Streit in seiner 10. NHL-Saison nicht mehr so spektakulär und offensiv dominant wie in seinen besten Jahren in Montréal und New York. Aus dem charismatischen Offensivverteidiger ist beinahe ein gewöhnlicher NHL-Verteidiger geworden und seine Qualitäten werden erst auf den zweiten Blick offenbar.
In den letzten zehn Spielen hat Mark Streit «nur» noch zwei Skorerpunkte gebucht. Aber nach wie vor spielt er kreativer als ein durchschnittlicher NHL-Abwehrspieler und unter 283 NHL-Verteidigern ist er immer noch die Nummer 12. Er ist in seinem Spiel sachlicher, kompletter geworden und vielleicht war sein Wert für die Mannschaft noch nie so gross wie jetzt.
Philadelphia ist ein defensives Lotterteam, nach Gegentoren die Nummer 24 der Liga. Mark Streit tut alles, um das Spiel zu strukturieren, zu beruhigen und stabiler zu machen und Ordnung in die meist wirre Angriffsauslösung zu bringen. Seine Fehlerquote ist tief, seine Pässe kommen genau und gut getimed.
Er ist nicht nur der punktbeste Verteidiger seines Teams. Er trägt als «Workhorse» (Arbeitspferd) die Hauptlast und arbeitet im Schnitt pro Spiel am längsten (22:22 Minuten – die Nummer 28 der Liga). Er ist in Philadelphias Lotterabwehr ein defensiver Leuchtturm und der kompletteste, smarteste und technisch beste Verteidiger seiner Mannschaft.
Sollten die Flyers die Playoffs nicht schaffen, dann ist es gut möglich, dass Mark Streit erstmals seit 2012 wieder eine WM für die Schweiz spielt. In der aktuellen Form und Rolle wäre er für die Nationalmannschaft von unschätzbarem Wert.