Es ist diese eine Busfahrt von der Genfer Innenstadt zum Eishockeystadion Les Vernets, die Juraj Simeks Leidensweg in den vergangenen sechs Monaten nicht besser illustrieren könnte. Bout-du-Monde, das Ende der Welt, so heisst die Endstation. Im Dezember 2014 schien sie noch in weiter Ferne. Als Nationalspieler war Simek ein gefragter Mann. Aus Lugano erreichten den Genfer täglich Textnachrichten, die ihn bezirzten. Trainer Patrick Fischer wollte den Stürmer unbedingt. Doch im Tessin war man nicht bereit, seinen Vertrag komplett zu übernehmen. Dennoch begab sich Simek vergangenen Dezember auf eine Reise, verliess die Calvinstadt nach vier Jahren «für eine nötige Luftveränderung».
Im finnischen Turku machte Simek seinen ersten Zwischenhalt. «Das Umfeld wusste zu gefallen, nur sportlich lief es ernüchternd, die Playoffs rückten in weite Ferne.» Simek sondierte zusammen mit seinem Agenten wiederum den Markt. «Nach der Verpflichtung von Damien Brunner rechnete ich nicht mehr mit einem Angebot aus Lugano.» Doch es kam. Simek wechselte, weil Trainer Patrick Fischer weiter um ihn buhlte. «Ich wurde gut aufgenommen», versichert der 28-Jährige.
Nach sechs Spielen und sieben Skorerpunkten starteten bereits die Playoffs. «Ich hoffte auf eine frühzeitige Vertragsverlängerung, um in den Playoffs befreit aufspielen zu können.» Denn der Gegner hiess Servette. Ausgerechnet. Vor den Spielen war Simek nervös. Diese Nervosität versuchte sein Agent aus der Welt zu schaffen. «Er versicherte mir, dass Lugano mich behalten wolle, egal was passiere», erinnert sich Simek.
Die Playoff-Serie ging verloren. Simek vermochte nicht zu brillieren. Die Erwartungen waren zu hoch, das Etikett des Nationalspielers verkam zur Last. Nach dem Playoff-Out erhielt jeder Lugano-Spieler die Möglichkeit, teaminterne Probleme anzusprechen. «Ich äusserte mich kritisch, nannte Fehlerquellen, aber keine Namen. Manchen im Team muss diese Analyse nicht gepasst haben, obwohl ich auch Selbstkritik übte. Das ist das Problem in Lugano, man will lieber Streicheleinheiten statt realistische Feedbacks.» Es sollte der Ursprung aller Intrigen sein.
«Ich weiss heute, dass mehrere Spieler nach meinem Abgang Gerüchte über mich in die Welt setzten.» Ein schwieriger Charakter wurde Simek nachgesagt. Geheimnisvoll und irgendwie bedrohlich. Simek wurde zum Kapuzenmann des Schweizer Eishockeys. Das schmerzte den schweizerisch-slowakischen Doppelbürger. Doch als noch einschneidender erwies sich das Ereignis an der Teamsitzung zum Saisonabschluss.
«Mit dem Gedanken, in Lugano zu bleiben, kam ich in die Kabine. Trainer Fischer bedankte sich für die Zusammenarbeit und verabschiedete die scheidenden Spieler. Nach den bekannten Abgängen nannte er plötzlich auch meinen Namen.» Simek wusste von nichts. «Ich stand dumm da und alle Teamkollegen starrten mich an.» Für Simek der «krasseste» Moment seiner Karriere.
Fischer entschuldigte sich für das Missverständnis. Dennoch kam die Hiobsbotschaft zu spät. «Die Vereine hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Kaderplanung weitgehend abgeschlossen, das Budget vieler NLA-Klubs war bereits ausgereizt.» Dass Simek ein zu hohes Salär verlangte, weist der 28-Jährige dezidiert zurück: «Ich habe meine Forderungen im Sommer halbiert. Schlussendlich ist es aber ein freier Markt und ich denke nicht, dass ich mich überschätzte.»
Der Agent machte seinem Schützling derweil immer wieder Hoffnungen. Ambri, Kloten, Langnau: Die Liste der Interessenten war lang, doch zur Unterschrift kam es nie. Die ständigen Absagen liessen Selbstzweifel erwachen, ja gar Rücktrittsgedanken. Simek reiste in die USA. Kopflüften. Er trainierte unter Aufsicht eines Personaltrainers mit NHL-Verteidiger Radko Gudas in Tampa. Die NLA startete.
Simek blieb vertragslos und hielt sich beim Erstligisten Düdingen fit. Simek fiel in ein Loch. Zeitgleich erwartete seine Frau das erste gemeinsame Kind. Die Ungewissheit führte zu Streitereien. Simek tauschte seinen Agenten aus. Mit Vladimir Vujtek kehrte auch die Hoffnung zurück. Plötzlich meldete sich Servette-Coach Chris McSorley. «Bereits im Frühling skizzierte Chris eine mögliche Rückkehr, da wollte ich mich allerdings noch umschauen», erklärt Simek.
Doch Ende September nahm der 28-Jährige die erneut dargebotene Hand McSorleys dann doch an. Der Kanadier nahm den Geflüchteten wieder auf. Simek verliess die Westschweiz einst, weil er sich nicht immer mit den taktischen Vorgaben McSorelys identifizieren konnte. «Ich wollte früher meine Show abziehen, vernachlässigte die Basics, aber ich bin reifer geworden und willig, teamorientierter zu spielen.»
McSorley machte Simek klar, dass weniger mehr ist – auch im Eishockey. Dass Genf ihn zurückgenommen habe, widerlege aus Sicht Simeks auch das aufgekeimte Gerücht, dass er ein Problemspieler sei. Auch, dass er vom ehemaligen Nationaltrainer Sean Simpson mehrmals für die Landesauswahl aufgeboten wurde, untermaure seine Teamfähigkeit.
Heute sagt Simek, dass er in den vergangenen sechs Monaten auf Leute gehört habe, denen er nicht hätte vertrauen sollen. Er weiss, dass auch ihn als mündigen Entscheidungsträger eine gewisse Schuld trifft. Seinen Entschluss, Genf letzten Dezember zu verlassen, bereut er noch immer. Die Wiederaufnahme im Team erfolgte problemlos. Ressentiments gäbe es keine.
«Ich hatte bei meiner Rückkehr das Gefühl, als ob ich nur für zwei Wochen weg gewesen wäre.» Auf einer Reise an ein Auswärtsspiel in Davos teilte Simek jüngst seine Erfahrungen mit den Genfer Mannschaftskollegen. Er liess tief in seine Gedanken blicken, referierte 90 Minuten. Viel hatte nicht gefehlt und Simek wäre auf seiner Odyssee tatsächlich am Bout-du-Monde, dem Ende der Welt, gelandet.
Dass er den Bus an der Haltestelle Les Vernets verliess, ist mehr als nur eine Flucht vor der Endstation. Es ist die erfüllende Rückkehr in die wiederentdeckte Heimat. Mit dabei ist mittlerweile auch Juraj junior. Das Profil des Kapuzenmanns ist klarer denn je.
Eishockey ist einfach der geilste Sport.
Und mit ein Grund dafür (neben vielen anderen natürlich) ist, dass es im Hockey Platz hat für solche Typen wie Juraj Simek. Typen mit Ecken und Kanten.
Die Spiele im Alleingang entscheiden können.
Und sich dann auch mal überschätzen und dennoch wieder Platz in der Mannschaft finden können.