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Ratloser ZSC von Biel «gesweept» – die Suche nach dem Sündenbock läuft

Zuerichs Juho Lammikko reagiert im vierten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel am Mittwoch, 5. April 2023 in der Swiss Life Arena in Zuerich. ( ...
Ratlosigkeit auf der Bank beim ZSC gegen ein bärenstarkes Biel – und auch in der Teppichetage? Bild: keystone
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Ratloser ZSC von Biel «gesweept» – die Suche nach dem Sündenbock läuft

Biel gewinnt auch das vierte Halbfinalspiel (5:3) und steht zum ersten Mal in seiner Geschichte im Playoff-Final. Die ZSC Lions sind ratlos. Wer übernimmt nun die Rolle des Sündenbockes?
06.04.2023, 05:0606.04.2023, 07:33
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Alles läuft in der vierten Halbfinalpartie, im Spiel der letzten Chance, für die ZSC Lions. Sie führen früh 2:0 (10. Min.), erhöhen kurz nach der Spielhälfte auf 3:1 und das 4:1 scheint nur eine Frage der Zeit. Aber am Ende gewinnt Biel 5:3.

Das Scheitern im Halbfinal ist bitter für die Zürcher. Es gibt keine Ausreden.

Die Bieler waren schneller, beweglicher, robuster, kräftiger, härter, entschlossener, effizienter, schlauer, konzentrierter, mutiger, kreativer, zielstrebiger, kaltblütiger, engagierter, leidenschaftlicher, frischer, ausdauernder, konstanter und disziplinierter.

Oder ganz einfach besser. Zu Wasser, zu Land und in der Luft. Im Powerplay und im Boxplay. Im Sturm und in der Verteidigung. Spielerisch und taktisch. Sie haben in allen vier Partien auf alles, was die Zürcher versucht haben, die richtige Antwort gefunden.

Die Bieler jubeln nach ihrem Sieg im vierten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel am Mittwoch, 5. April 2023 in der Swiss Life Arena in Zuerich. ...
Den ZSC überrollt: Die Bieler Spieler feiern den erstmaligen Finaleinzug in der Geschichte.Bild: keystone

Die Schiedsrichter sind nach diesem vierten Spiel kein Thema. Von Glück und Pech spricht niemand. Keiner hadert mit dem Schicksal. Trainer Marc Crawford, Sportchef Sven Leuenberger oder Captain Patrick Geering sagen in verschiedenen Worten im Wesentlichen das Gleiche:

Biel hat verdient gewonnen. Biel war besser.

Sven Leuenberger ärgert sich, wie die 3:1-Führung verspielt worden ist. Er spricht in diesem Zusammenhang gar von Dummheit. «Damit meine ich: Die Bieler waren einfach schlauer.» Es könne doch nicht sein, dass eine so erfahrene Mannschaft auf diese Art und Weise ein Spiel aus der Hand gebe. Geering nennt es Naivität. Marc Crawford sieht die grösste Differenz in der Schnelligkeit der Bieler und betont, wie wichtig im Eishockey von heute Speed und Tempo sind. Aber niemand hat eine Antwort auf die Frage, warum die Mannschaft versagt hat. Warum die meisten nicht dazu in der Lage waren, ihr bestes Hockey zu spielen. Die ZSC Lions sind ganz einfach ratlos.

Die ZSC Lions verlieren mit Anstand, Stil und Grandezza. Die Überlegenheit des Gegners wird ohne «wenn & aber» anerkannt. Keine Ausreden. Marc Crawford verneigt sich wie ein echter Gentleman vor der Leistung der Bieler, wünscht ihnen viel Glück und ihrem Trainer Antti Törmänen (der Finne muss sich erneut einer Krebstherapie unterziehen) viel Kraft und alles Gute.

Ein Hockeyunternehmen mit dem Selbstverständnis und den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der ZSC Lions kann nach einem 0:4 im Halbfinal nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Der letzte Titelgewinn (2018) liegt bereits fünf Jahre zurück.

ZSC Trainer Marc Crawford waehrend der 2. Partie des Eishockey Playoff-Viertelfinals der National League zwischen dem HC Davos und den ZSC Lions, am Freitag, 17. Maerz 2023, im Eisstadion in Davos. (K ...
Fairer Verlierer: Marc Crawford.Bild: keystone

Ach, wie einfach wäre es, wenn Rikard Grönborg nach wie vor Trainer wäre. Sein Vertrag würde nun auslaufen und er wäre der perfekte Sündenbock. Er könnte mit allen Sünden beladen zu seinem neuen Arbeitgeber nach Tampere geschickt werden und alles wäre wieder gut. Mit einem neuen Trainer würde alles besser. Es gibt berühmte Hockeyunternehmen, die dieses Sündenbock-Ritual zum festen Bestandteil ihrer Kultur gemacht haben. Der SC Bern hat beispielsweise seit 2020 schon sechs Trainer als Sündenböcke in die Wüste geschickt und ist wieder einmal damit beschäftigt, einen neuen zu verpflichten.

Das Ritual des Sündenbockes wird sogar im Buch der Bücher beschrieben: «Aaron soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm alle Sünden der Israeliten, alle ihre Frevel und alle ihre Fehler bekennen. Nachdem er sie so auf den Kopf des Bockes geladen hat, soll er ihn in die Wüste treiben lassen und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen.» Und alles ist vergeben und vergessen und alles wird wieder gut.

Aber so einfach ist es bei den ZSC Lions eben nicht. Rikard Grönborg ist schon Ende Dezember entlassen und durch Marc Crawford ersetzt worden. Der Trainerwechsel hat nichts bewirkt, nichts gebracht, nichts verändert, nichts verbessert. Kein Spieler ist mit blossem Auge erkennbar besser geworden. Aber der Kanadier eignet sich nicht für die Rolle des Sündenbockes. Er hat einen Vertrag bis 2025. Also bis zum Ende der übernächsten Saison.

Hier kurz eine Polemik. Marc Crawford kann zwar nicht zum Sündenbock gemacht werden. Aber es ist nicht ganz auszuschliessen, dass er nach diesem schmählichen Scheitern zu einer «Lame Duck» werden könnte. Ende der Polemik.

Es gibt nun zwei Varianten. Variante I: Die ZSC Lions gehen zur Tagesordnung über. Sportchef Sven Leuenberger hat zwar nur begrenzte Möglichkeiten zur Korrektur. Aber er kann immerhin zwei der sechs Ausländerpositionen neu besetzen und versuchen, Denis Malgin oder Pius Suter (ihre NHL-Verträge laufen aus) zurückzuholen. Zudem gibt es die Möglichkeit, durch vermehrten Einsatz der eigenen Talente den Routiniers Beine zu machen. Diese Variante – künftig vermehrt auf schnelle, junge Spieler setzen – nennt auf eine entsprechende Frage auch Marc Crawford als Option. Immerhin haben die ZSC Lions soeben die Meisterschaft der höchsten Juniorenliga gewonnen.

Variante II: Bevor zur Tagesordnung übergegangen wird, rumpelt es in den ZSC-Büros. Ins Zentrum der Kritik könnte Sportchef Sven Leuenberger geraten. Soeben ist seine sechste Saison in Zürich vorzeitig zu Ende gegangen. Die Bilanz: Ein Titel (2018), einmal die Playoffs verpasst (2019), einen Final verloren (2022) und zweimal im Halbfinal gescheitert (2021 und 2023). 2020 haben die ZSC Lions die Qualifikation gewonnen. Aber wegen der Pandemie sind keine Playoffs gespielt worden. In der Champions Hockey League sind die Zürcher nicht über den Viertelfinal hinausgekommen und 2020 haben sie den Cupfinal auf eigenem Eis gegen den SCB verloren.

ZSC Lions Sportchef Sven Leuenberger auf dem Weg in die Garderobe nach seinem Coachingeinsatz im Eishockey-Meisterschaftsspiel der National League zwischen den ZSC Lions und den SC Rapperswil-Jona Lak ...
Übernimmt ZSC-Sportchef die Rolle des Sündenbocks?Bild: keystone

Die Bilanz der «Ära Sven Leuenberger» ist also durchzogen. Der ZSC-Sportchef eignet sich vortrefflich zum Sündenbock. Aber hat er auch alle vermeintlichen sportlichen Sünden – zum Beispiel bei der Anstellung und Entlassung der Trainer oder bei Vertragsverlängerungen mit Routiniers – auch tatsächlich begangen? Oder tragen übergeordnete Stellen – Manager Peter Zahner, die Verwaltungsräte und der Präsident – ein gerüttelt Mass an Mitverantwortung?

Dann wäre Sven Leuenberger der perfekte Sündenbock: Die Sünden der anderen könnten ihm aufgeladen werden und er würde alle diese Sünden mit sich aus Zürich forttragen. Aber tiefer sitzende Probleme im weit verzweigten Fuchsbau der ZSC Lions – so es denn welche gibt – könnten nicht erkannt und nicht gelöst werden.

Die Zürcher haben das schmähliche sportliche Scheitern mit Stil, Anstand und Grandezza hingenommen. Wird es bei der internen Aufarbeitung in diesem Stil weitergehen? Oder wird es in den ZSC-Büros rocken und rollen?

Die ZSC Lions sind gegen Biel gescheitert. Gegen die Mannschaft aus einer Stadt, die für ihre Zweisprachigkeit fast so berühmt ist wie Montréal. Also können wir die ZSC-Saison mit einem im Welschland geläufigen Spruch vorderhand abschliessen:

«On est jamais au bout des surprises.»
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quelle: keystone / ennio leanza
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61 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SomSom
06.04.2023 06:47registriert Januar 2019
Für mich ists taktischer Natur. Törmänen hat den ZSC einfach ausgefuxt. Also wenn eine Linie mit Ghetto, Kukan und Texier und irgendeinem weiteren Ausländer (Spieler mit NHL Format) nicht dominiert auf Schweizer Eis dann machst du als Gegner definitiv viel richtig.
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EinsZweiDrei
06.04.2023 07:12registriert Juli 2014
Nach Spiel 2 so:
"Ist Biel klar besser als die ZSC Lions? Nein."

Nach Spiel 4 so:
"Die Bieler waren [...] ganz einfach besser."

Schön hats Herr Zaugg auch noch eingesehen.

Und ein grosses Bravo an Biel! Was für eine tolle Leistung, was für eine tolle Mannschaft!
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hocky
06.04.2023 06:58registriert März 2021
Gratulation nach Biel. Hochverdienter Finaleinzug!
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