Es gibt grosse Spiele oder dramatische Playoffserien, die den Lauf der Geschichte nicht verändern. Und es gibt Spiele oder dramatische Playoffserien, die wir im Rückblick als historische Ereignisse, als eine Zeitenwende, wahrnehmen.
Zwei Beispiele: Deutschland besiegt im WM-Final 1954 in Bern Ungarn 3:2. Zu diesem Zeitpunkt gilt die ungarische Nationalmannschaft als die beste der Welt. Sie erholt sich von dieser Niederlage nie mehr. Dafür ist es der Anfang der Weltgeltung des deutschen Fussballs.
1984 besiegen die Edmonton Oilers im Stanley Cup-Final die New York Islanders (4:1). Sie stürzen eine Dynastie. Viermal in Serie hatten die Islanders den Cup geholt – 1983 noch mit einem 4:0 im Final gegen die Oilers.
Dieser Final von 1984 markiert eine Zeitenwende. Die Islanders verschwinden von der Landkarte der Stanley Cup-Sieger. Nun prägen die Oilers um Wayne Gretzky jahrelang die NHL. Es sind die Jahre des wilden Offensivspiels («Firewagon Hockey»). Die Oilers holen den Cup auch 1985, 1987, 1988 und 1990, den letzten sogar ohne Wayne Gretzky.
Und nun also Zug gegen Bern. Kein Final. Aber ein Viertelfinal, der eine Dynastie stürzen und eine neue Ära einleiten kann wie der Stanley Cup-Final von 1984. Ein Viertelfinal, der auf Jahre hinaus Bern aus der Spitzengruppe der Liga verbannen und der Anfang einer meisterlichen EVZ-Dynastie sein kann.
Der SCB, im Stil durchaus mit den Islanders von 1984 vergleichbar, gegen den EV Zug mit einer ähnlichen spielerischen DNA wie damals die Oilers. Nur ohne Gretzky. Der SCB, der noch im letzten Final den Herausforderer demontiert hatte wie die Islanders 1983 die Oilers. Der SCB, eine Dynastie mit den Meisterschaften von 2016, 2017 und 2019, die nun zum letzten Hurra antritt, um den Titel zu verteidigen wie die Islanders 1984. Oft wird vergessen: Der SCB ist als Meister von 2019 nach wie vor Titelverteidiger.
Zug gegen Bern also als Viertelfinal des Jahrhunderts. Und zugleich die einzige der vier Serien, deren Ausgang klar ist. Die Frage ist nur, wie viele Spiele der EVZ benötigt: vier, fünf oder sechs? Oder noch anders gesagt: wenn die Zuger nach 2017 und 2019 schon wieder eine Playoffserie gegen den SCB verlieren, dann wird ihre Hockey-Kultur in den Grundfesten erschüttert.
Es wäre ein Scheitern, wie es die Innerschweizer Sporthistorie erst zweimal erlebt hat. 1989 verliert der Innerschweizer Eugen Hasler im Schlussgang des Eidgenössischen in Stans gegen den Berner Adrian Käser. 2019 unterliegt der Innerschweizer Joel Wicki im eidgenössischen Schlussgang gleich hinter dem Zuger Hockeytempel dem Berner Christian Stucki.
Ein Scheitern der Zuger im Viertelfinal hätte mindestens die Dimensionen dieser beiden Schwinger-Dramen. Für Trainer Dan Tangnes gilt: «Always remember 1989 and 2019!»
Der Blick in die Historie zeigt uns die Bedeutung dieses Zusammenpralls der Titanen («Clash of the Titans»). Die Gegenwart, dass es eine klare Sache ist. Adrian Käser hielt 1989 den wilden Attacken Geni Haslers stand und konterte ihn schliesslich aus. Aber der SCB wird der offensiven Feuerkraft der Zuger auf Dauer nicht standhalten können.
Christian Stucki überraschte Joel Wicki mit einem wuchtigen ersten Angriff. Eine Überraschung im ersten Spiel ist auch für den SCB möglich. Aber Christian Stucki benötigte nur ein gültiges Resultat. Der SCB braucht vier Siege.
Und wir wissen ja: am Ende hängt alles von den Torhütern ab. Berns Tomi Karhunen mag auf dem Kopf stehen und fast alles halten wie damals Billy Smith bei den Islanders. Zug aber hat Leonardo Genoni, den SCB-Meisterhelden von 2017 und 2019 als letzten Mann. Es wäre die grösste Schmach in der gesamten Historie der Innerschweiz, wenn Zug mit Leonardo Genoni gegen den SCB aus den Playoffs fliegen sollte.
Lugano ist schon einmal spektakulär auf Rang 2 an einem Aussenseiter gescheitert: Im Frühjahr 1992 kippte der ZSC mit Arno Del Curto an der Bande Lugano mit 3:1 aus dem Wettbewerb.
Es war das Ende des «Grande Lugano» und kostete dem vierfachen Meistertrainer John Slettvoll den Job.
Serge Pelletier ist nicht John Slettvoll und Jeff Tomlinson nicht Arno Del Curto. Und doch mahnt uns diese Serie ein wenig an 1992: Die Lakers sind ein Aussenseiter auf einer Mission wie damals die Zürcher. Entschieden wird dieser Viertelfinal durch die Torhüter. Melvin Nyffeler, Aufstiegs- und Cupsieger-Held kann nun auch ein Playoff-Titan werden.
Lugano kann den Halbfinal nur erreichen, wenn Niklas Schlegel oder Sandro Zurkirchen alle Lügen strafen, die sie als Lottergoalies bezeichnet haben.
Mit Chris DiDomenico erreichte Langnau 2019 auf Platz 6 den Viertelfinal. Nun landeten die Langnauer ohne Chris DiDomenico auf dem letzten Platz. Dafür hat sich Gottéron mit dem Kanadier vom 7. auf den 3. Platz verbessert. Ist er gar ein meisterlicher Leitwolf? Nein. Wenn es mit Slawa Bykow und Andrej Chomutow nicht gereicht hat, dann reicht es auch mit Chris DiDomenico nicht zum Titel. Aber zum Viertelfinal-Triumph müsste es reichen.
2021 spielt Servette als welsche Antwort auf den HCD spektakulär wie nie und hat mit Gauthier Descloux den besten frankofonen Torhüter seit Olivier Anken, Biels Meistergoalie von 1978, 1981 und 1983. Er ist gut genug, um seine Mannschaft in den Halbfinal zu hexen. Das Problem ist bloss: bei Gottéron steht mit Reto Berra ein Titan im Tor, der die Schweiz 2013 in den WM-Final geführt hat.
Hockey-Hollywood finden wir schon lange nicht mehr im Zürcher Hallenstadion. Inzwischen ist Lausanne Hockey-Hollywood. Die Geschichte ist verbürgt: General Manager Petr Svoboda hat John Fust, den Assistenten von Craig MacTavish ins Büro bestellt und angewiesen, sich für eine Kommando-Übernahme bereitzumachen.
Spätestens nach der zweiten Niederlage gegen die ZSC Lions wird Cheftrainer Craig MacTavish gefeuert und durch John Fust ersetzt. Aber in diesem Falle würde auch ein Trainerwechsel nichts mehr nützen. Entscheidend sind auch hier die Torhüter.
Lukas Flüeler ist inzwischen zwar kein Meistergoalie mehr und Ludovic Waeber ist noch kein Meistergoalie. Aber die Mannschaft ist so ausgeglichen besetzt, defensiv so gut organisiert, wird so vortrefflich gecoacht und Sven Andrighetto ist ein so charismatischer Leitwolf, dass der Viertelfinal gegen Lausanne auch mit durchschnittlichen Torhüterleistungen gewonnen werden kann.
Es sei denn, Lausannes Tobias Stephan spielt so wie zuletzt im Frühjahr 2001, als er die Schweiz in den Final der U18-WM hexte, zum besten Torhüter des Turniers und ins All-Star-Team gewählt wurde.
P.S. Wie immer ohne Gewähr.
Wobei ich das Gefühl habe, dass sich die Mutzen mehr wehren werden als den Zugern lieb ist.
Auf jedenfall vier tolle Begegnungen die Spannung und Action versprechen!
Zuerst kommen die Viertelfinals, eine Dynastie kann man dann noch immer gründen.