Ein charismatischer, leidenschaftlicher Leitwolf. Einer der wenigen Einzelspieler der Liga, der ein Spiel im Alleingang zu entscheiden vermag. Eine Spielintelligenz, die in lichten Momenten an Wayne Gretzky mahnt: Chris DiDomenico hat Langnau in die höchste Liga und dort in die Playoffs geführt. Und nun verdankt ihm der SCB das 4:1 gegen die ZSC Lions und damit den Punktgewinn für die Rettung der Saison. Er hat nur 17:27 Minuten Eiszeit beansprucht, um das 1:0 und das 3:0 zu erzielen und das 4:1 vorzubereiten.
Chris DiDomenico war U20-Weltmeister unter Cheftrainer Pat Quinn. Er hat in der NHL in Ottawa klaglos unter Guy Boucher «funktioniert». Er ist, ohne zu murren, die Ochsentour durch die Farmteams gegangen. Er war in Italien, in Langnau und bei Gottéron ein Musterprofi ohne Fehl und Tadel. Aber in Bern mag er nicht bleiben. Der SCB ist seiner Bitte um vorzeitige Auflösung des Vertrages per Ende Saison nachgekommen.
Das ist alles zwar nicht neu. Aber ein neutraler, wohlwollender Beobachter der stadtbernischen Hockeykultur kommt einfach nicht darum herum, den Fall Chris DiDomenico noch einmal zu thematisieren. Denn wir haben es hier mit einer Episode zu tun, die es so in der SCB-Geschichte noch nicht gegeben hat: Einer, der Siegeswillen und Leidenschaft personifiziert, geht, weil er diesen Siegeswillen und diese Leidenschaft in der SCB-Kabine vermisst. Er hasst Niederlagen. Er will jede Partie gewinnen und ist deswegen intern in die Kritik geraten. Dabei gilt: Es sind nie die schlechtesten Früchte, woran die Wespen nagen.
Enzo Ferrari war nicht nur der Gründer des weltberühmten Sport- und Rennwagenherstellers. Er war auch ein weiser Sportmanager. Eine der ewigen Wahrheiten des Sportes stammt von ihm: Es ist wichtig zu wissen, warum man verloren hat. Aber es ist noch viel wichtiger zu wissen, warum man gewonnen hat.
Was bedeutet das für den SC Bern? Die Chefetage glaubt zu wissen, warum 27 Spiele verloren worden sind. Also ist der Trainer gefeuert und Chris DiDomenicos Vertrag per Ende Saison aufgelöst worden. Aber wissen die SCB-Bürogeneräle auch, warum es am Ende doch noch für den Sieg gegen die ZSC Lions und den Punktgewinn für die Pre-Playoffs gereicht hat?
Wenn sie es wüssten, hätten sie Chris DiDomenicos Bitte um vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt. Wenn sie es wüssten, müssten sie sagen: Dank Chris DiDomenico kommen wir mit einem blauen Auge davon. Und auch dank der vorübergehenden «Selbstauflösung» Langnaus nach der Verbannung in die Playouts. Enzo Ferrari hätte den Vertrag mit dem Kanadier nicht aufgelöst. Er hätte auch dafür gesorgt, dass er sich in Bern wohlfühlt.
Der SCB steht vor den wichtigsten Wochen seit dem Beginn der Ära Marc Lüthi 1998. Die Hockeygötter führen Präsident Marc Lüthi in Versuchung. Verraucht sein Zorn nach der Qualifikation für die Pre-Playoffs? Verwandelt sich sein Zorn womöglich gar in Wohlgefallen, wenn gar noch der übermächtige Aufsteiger Kloten niedergerungen wird?
Dann ändert sich nichts beim SC Bern. Der SCB hat mit knapper Not die Pre-Playoffs erreicht und im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit pro Spiel 1540 zahlende Zuschauer und rund zwei Millionen Einnahmen verloren. Die Stadionauslastung ist von 96,65 auf 86,61 Prozent zurückgegangen. In einer Saison, in der die Zuschauerzahlen insgesamt neue Rekordwerte erreicht haben. Das sportliche Mittelmass nach dem Titelgewinn von 2019 dauert mit den Rängen 9 (2020), 9 (2021), 11 (2022) und 8 (2023) nun schon vier Jahre. Nicht einmal Luganos meisterlicher Ruhm nach dem Titelgewinn von 2006 ist so schnell verwelkt: Platz 4 (2007), 9 (2008), 5 (2009), 8 (2010) und 10 (2011).
Die grossen, mächtigen ZSC Lions gleich mit 4:1 gebodigt! Die Pre-Playoffs erreicht! Was für ein grosser, wunderbarer Sieg! Gegen die ZSC Lions haben wir Charakter bewiesen! Wir haben alles richtig gemacht! Wenn wir Kloten vom Eis fegen und alles für uns läuft, könnte es unter Umständen sogar sein, dass wir im Viertelfinal gegen Servette und im Halbfinal gegen Biel antreten dürfen oder im Viertelfinal gegen Biel – gegen beide haben wir noch nie eine Playoff-Serie verloren! Schwindelerregende Perspektiven! Alles ist wieder gut! Chris DiDomenico? Brauchen wir nach dieser Saison nicht mehr! Reisende soll man nicht aufhalten! Spieler kommen und gehen, der SCB bleibt bestehen!
Es stimmt: Die Wahrheit steht immer oben auf der Resultatanzeige. Dort lesen wir 4:1. Aber es ist nur die Wahrheit des Tages. Nicht die Wahrheit über die Vergangenheit und die Zukunft, die nächste Saison. Der Blues-Sänger und Gitarrist Arthur Blake soll einmal gesagt haben: «Man kann keinen schlechteren Gebrauch von einem Erfolg machen, als sich damit zu brüsten.»
Kein Team mit Verstand würde einen Spieler, der so vehement seinen Abgang will zu einem Verbleib zwingen.
Aber immerhin sind wir dieses Mal um Gotthelf rumgekommen 😂