Die Bezeichnung «Drachentöter» passt ganz gut. Diese Sagengestalt gibt es in allen Kulturkreisen. So wie sie durch Mut, Schnelligkeit und Geschicklichkeit den übermächtigen Drachen zur Strecke bringt, so hat Damien Brunner Servette 7,4 Sekunden vor Schluss mit dem Treffer zum 3:2 besiegt. Mit einem Schuss ins Netz und vielleicht sogar ins Herz der Genfer.
Hätte Torhüter Robert Mayer diesen dritten Gegentreffer verhindern können? Oder sogar verhindern müssen? Ist er am Ende doch ein Lottergoalie? Nein, ist er nicht. Dieses 3:2 ist ein offensives Gesamtkunstwerk aus Disziplin, Schnelligkeit, Mut, Talent, Kreativität, Konzentration und Spielintelligenz, ja Genialität. Kein Torhüter der Welt hätte es verhindern können.
Die Disziplin: 20 Sekunden vor Schluss wechseln die Bieler ein letztes Mal fliegend. Beim SCB hätte es diesen Wechsel nicht mehr gegeben. Dann erkennen die Bieler die Situation blitzschnell. Alexander Yakovenko löst den Angriff aus, Luca Cunti übernimmt und spielt Damien Brunner den Puck mit der Präzision eines Landvermessers in den Lauf. Damien Brunners blitzschnellen Kunstschuss kann Robert Mayer einfach nicht halten. Ein Treffer, in Auslösung, Vorbereitung und Vollendung ein Meisterstück. Ein Kunstwerk. Weltklasse.
Es ist also kein Zufallstreffer. Damien Brunner wird hinterher sagen, er habe kurz nach oben auf die Uhr geschaut.
Er nützt sie. Er kann sie nützen, weil er eben ein Künstler ist: einer, der nicht mehr überlegen muss, was er tun könnte. Sondern einfach instinktiv das Richtige tut und trifft. Das sind die magischen Augenblicke des Spiels. Es stimmt eben schon: Es lohnt sich, ein Ticket zu kaufen, nur um Damien Brunner zu sehen. Es wäre unfair, diesen Kunstschuss-Treffer durch die Bezeichnung «haltbar» zu einem gewöhnlichen Tor zu degradieren.
Ein wenig ist dieser späte Siegestreffer auch eine Dividende des Viertelfinal-Triumphes über den SCB. Die Bieler haben die entscheidende Partie und damit den Viertelfinal durch einen Treffer 1,5 Sekunden vor Schluss in Bern gewonnen. Es ist das erste Mal, dass Biel den SCB in den Playoffs bodigt. Seit diesem historischen Erfolg sind die Bieler mental so stark wie noch nie. Wer in Bern 1,5 Sekunden vor Schluss gewinnt, sucht auch auf eigenem Eis in den letzten Sekunden die Entscheidung.
Servettes Trainer-Assistent Rikard Franzen bringt die dramatische Schlussphase auf den Punkt: «Alles läuft nach Plan. Wir haben uns nach dem Start aufgefangen, wir haben das dritte Drittel dominiert und zum 2:2 ausgeglichen und wir haben den Gegner im Griff. Dann trifft Brunner in eine winzige Lücke, die offen bleibt. Niemand hat einen Fehler gemacht, wir können niemandem einen Vorwurf machen. So ist eben Hockey.»
Er hält kurz inne, wischt über seine Taktiktafel, als wolle er zeigen, wie eine einzige Aktion alles zunichte, alle Pläne zu Makulatur machen kann und sagt:
Wichtig sei, diese Niederlage wegzustecken und zu vergessen.
Es war der Abend der Gaukler. Der Künstler. Damian Brunner trifft zweimal. Zum 2:0 und zum 3:2. Beide Male bekommt er den Pass von Luca Cunti. Ein Künstler, ein Gaukler auch er. Während der Qualifikation sind Damien Brunner und Luca Cunti schon oft durch die gegnerischen Reihen getanzt. Nun tun sie es zum ersten Mal im Final. Sie sorgen am Anfang und am Schluss für magische Momente.
Damien Brunner erspart seiner Mannschaft die Verlängerung. Der Drache ist erlegt. Wir wissen nicht, wie Biel in der Verlängerung ausgesehen hätte. Aber die Aussichten waren nicht sehr gut. Servette hatte den Startschock (0:2 nach 108 Sekunden) überwunden, die Ordnung wiederhergestellt, alle Strafen im Mitteldrittel heil überstanden und das «tödliche» Powerplay der Bieler gestoppt. Die Genfer dominierten im letzten Drittel mit 11:3 Torschüssen, das raue, das wahre Servette. Unaufhaltsam.
Die logische Folge: In der 57. Minute gleicht Roger Karrer zum 2:2 aus und alle Zeichen deuten auf eine Fortsetzung der Dominanz in der Verlängerung. Oder zumindest auf ein Drama. Auf der Tribüne seufzt Spielplanchef und Meisterpokal-Verwahrer Willi Vögtlin: «Ach, wir werden nach Mitternacht noch hier sitzen.»
Damien Brunner sorgt dafür, dass Willi Vögtlin noch vor Mitternacht bereits zu Hause ist. Er sorgt dafür, dass Biels taktische Rechnung aufgeht. Am Anfang dieser zweiten Partie stand für Biel die Frage: Kann die «Lawine Servette» aufgehalten werden? Das war nach der Startniederlage in Genf (1:2) mit einer erdrückenden Dominanz von Servette (40:23 Torschüsse) die zentrale Frage vor dem zweiten Spiel.
Die Bieler hatten die Antwort gefunden: Sie stoppten die «Lawine Servette», indem sie sich in eine Lawine verwandelten. Nach 108 Sekunden führen sie 2:0. Es sind mit ziemlicher Sicherheit die besten 108 Sekunden seit dem Wiederaufstieg von 2008. So viel Energie hat sich im Bieler Hockeytempel noch nie in so kurzer Zeit entladen. Beide Treffer sind zwingend herausgespielt. Torhüter Robert Mayer ist so schuldlos wie bei einem Empty-Net-Treffer. Ein offensiver Lawinen-Niedergang. Standing Ovation. Ein magischer Moment.
Aber so ist es eben nicht weitergegangen. Noch bevor 3 Minuten um sind, hat Servette auf 2:1 verkürzt. In den ersten 2 Minuten und 55 Sekunden der zweiten Partie sind gleich viele Tore gefallen wie im ersten Spiel in 60 Minuten. Servette ist nach dem missglückten Start nur für kurze Zeit ein wenig destabilisiert. Das Selbstvertrauen bleibt intakt.
Die Bieler sind aufgeputscht, aber nicht mehr dazu in der Lage, das Start-Furioso zu verlängern. Nun stehen sie vor der nächsten grossen Frage: Wird es gelingen, die Initiative, die Hoheit über das Spiel zu bewahren, Servette in Schach zu halten und das 2:1 über die Distanz zu bringen? Es ist ein Balance-Akt: Die Offensive forcieren und das wohl entscheidende 3:1 suchen oder Konzentration auf die Defensivarbeit? Im Eishockey ist die «Resultat-Verwaltung» – im Gegensatz zum Fussball – eigentlich gar nicht möglich.
Biel kassiert den Ausgleich (56:05). Der «Drache» Servette steht wieder hoch aufgerichtet da wie vor dem Spiel und droht, Biel in der Verlängerung zu verschlingen.
Aber der «Drachentöter» Damien Brunner erlöst die Bieler.
In den alten Sagen findet ein «Drachentöter» nach seiner Heldentat meistens einen Schatz. Meistens handelt es sich um Gold. Damien Brunner ist mit Biel dem meisterlichen Gold einen Schritt nähergekommen.
Um Meister zu werden, um in den Besitz des meisterlichen Goldes zu gelangen, braucht Biel weitere Heldentaten seines «Drachentöters.»
Gestern waren wir mit den 7,4 Sekunden doch gar früh dran. Vielleicht wollten wir uns ein bisschen Spatzig geben.
Intensives, geiles Spiel gestern.