Am Anfang steht ein Irrtum. Der neue Trainer Xaver Unsinn bringt im Herbst 1978 von seinem alten Klub Rosenheim den Filigrantechniker Jarmo Koivunen nach Bern. Er hat in Deutschland gerockt: 30 Tore in 45 Spielen.
Der SCB pflegt eher einen rustikalen Stil und Jarmo Koivunen findet sich nicht zurecht. Er wird nach elf Partien und bloss einem Treffer ausgemustert. Sein Transfer war also ein Irrtum. Und so kommt Anfang November 1978 Lauri Mononen. Er ist in Helsinki in Ungnade gefallen. Wohl auch wegen Nachlässigkeit im Sommertraining. Unvergessen bleibt sein erstes Heimspiel. Als er schwer atmend und ausgepumpt zur SCB-Spielerbank zurückkehrt, höhnt ein Zuschauer lautstark und bis weit in die Tribüne hinauf hörbar: «Gebt ihm eine Sauerstofflasche!»
Aber Lauri Mononen kommt in Schwung. Der kräftige Flügel mit dem kantigen Kinn wird Publikumsliebling und hat mit 16 Toren in 17 Partien grossen Anteil am SCB-Meistertitel von 1979. Er ist der erste Finne, der bei uns Meister wird. Mit Finnen kann man gewinnen. Auch ohne Sauerstoffflaschen. Sein SCB-Abenteuer geht wegen Verletzungspech schon in der zweiten Saison zu Ende.
Jarmo Koivunen war nicht der erste finnische Spieler in unserer höchsten Liga. Im Frühjahr 1976 steigt Jarno Peltonen (mit dem berühmten Ville Peltonen nicht verwandt) als Spielertrainer mit Zug in unsere höchste Liga auf und wird der erste Finne in der NLA. Zur Promotion der Zuger hat er in 28 Spielen sagenhafte 35 Tore und 35 Assists beigetragen. Den sofortigen Wiederabstieg kann er dann trotz 33 Punkten in 28 Partien im Frühjahr 1977 nicht verhindern.
Bevor die Finnen in der höchsten Liga Schlagzeilen schrieben, haben sie ihre Spuren in der damaligen NLB hinterlassen: etwa der Verteidiger Juha Rantasila zwischen 1974 und 1978 in Lugano und Luzern oder Jaakko Marttinen in Zug. Beide brachten es zeitweise auf einen Punkt pro Spiel. Beide rockten auch neben dem Eis. Juha Rantasila, der eine grosse Karriere als Rechtsanwalt gemacht hat, ist in Finnland in jungen Jahren zum «Sexiest Man» gewählt worden.
Fast zeitgleich mit Matti Hagmanns NHL-Debut in Boston sind die Finnen also auch in unserer NLA angekommen. Seither gehören sie mit stetig wachsender Bedeutung zu unserer Hockeykultur. Mehr als zehn sind bereits Meister geworden. Nun werden entweder in Genf oder in Biel drei neue Namen ins goldene Buch der Schweizer Meister eingetragen.
Heute beginnt in Genf (20.00 Uhr) der Playoff-Final zwischen Servette und Biel mit sechs finnischen Spielern. Der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die vor 46 Jahren begonnen hat. Der bisherige Rekordfinal: 2006 standen bei Davos und Lugano vier Gastarbeiter aus Finnland im Einsatz: Riku Hahl bei Davos, Jukka Hentunen, Ville Peltonen und Petteri Nummelin bei Lugano.
Gemäss der angesehenen internationalen Hockey-Datenbank «Eliteprospects» – so denn dort alles richtig erfasst und niemand vergessen oder hinzugefügt worden ist – haben bisher 163 Torhüter, Verteidiger und Stürmer mit finnischem Pass in unserer obersten Liga gespielt. Die Finnen sind damit gemäss «Eliteprospects» nach den Kanadiern (683 Spieler) und den Amerikanern (169) vor den Schweden (161), Tschechen (97) Russen (47), Slowaken (42) und Deutschen (18) die am zweitmeisten vertretene Nationalität in der Historie unseres Spitzenhockeys.
Unsere National League ist nach der NHL und der höchsten schwedischen Liga der wichtigste Arbeitsmarkt für die finnischen Stars geworden. Weil die russische KHL als Folge des Ukraine-Krieges wegfällt, sind die Jobs in unserer National League nach der NHL die begehrtesten.
Nur in der NHL können die Besten noch mehr Geld verdienen. Die Lebensqualität ist bei uns wegen der kurzen Distanzen (nach jedem Auswärtsspiel kann jeder im eigenen Bett übernachten) und erst recht aus meteorologischen Gründen und den kürzeren Winternächten im Vergleich zur Heimat traumhaft. Finnlands Nationalheld Marschall Carl Gustav Emil Mannerheim – die finnische Antwort auf unseren General Henri Guisan – wusste schon, warum er seinen Lebensabend in der Nähe von Lausanne verbracht und dort seine Memoiren niedergeschrieben hat. Die Schweiz als Sehnsuchtsland für Finnen, die es sich leisten können.
Stärker als in Biel, Genf und Kloten (das mit Juha Metsola, Miro Altonen und Arttu Ruotslolainen ebenfalls drei Finnen unter Vertrag hatte) war der finnische Einfluss diese Saison nur noch in Langnau. Die Emmentaler beschäftigten die grösste finnische Kolonie und hätten die Liga-Qualifikation ohne Vili Saarijärvi, Harri Pesonen, Sami Lepistö und Aleksi Saarela mit ziemlicher Sicherheit nicht verhindern können.
Die Finnen prägen unser Hockey inzwischen also unten und oben. Wir werden 2023 in jedem Fall ein Meisterteam mit drei finnischen Schlüsselspielern haben. Kein Novum: Ville Peltonen, Petteri Nummelin und Jukka Hentunen prägten in Lugano 2006 eines der spielerisch besten Meisterteams der Geschichte. Damals waren vier Ausländer erlaubt. Der Vierte im Bunde: der Kanadier Glen Metropolit.
Der finnische Einfluss auf die Entwicklung unseres Hockeys ist so stark wie noch nie, inzwischen stärker als der nordamerikanische und schwedische und prägt den Stil der Liga und der Nationalmannschaft: Die Kombination von Tempo, Technik und schlauer Taktik ist die DNA des Spiels beider Nationen. Dieser Stil ist weniger rau als der nordamerikanische und taktisch weniger akademisch als der schwedische.
Wie sind die sechs Final-Finnen einzuordnen? Sie sind nicht die Besten der Geschichte. Aber sie stehen durchaus auf Augenhöhe mit den ganz grossen meisterlichen Helden der Vergangenheit.
Servettes Verteidiger Sami Vatanen kurvt nicht so elegant übers Eis wie einst Reijo Ruotsalainen in den SCB-Meisterteams von 1989, 1991 und 1992 und ist nicht ganz so produktiv wie Kari Elorante, der 1988 als erster finnischer Verteidiger in Lugano Meister geworden ist. Oder wie Petteri Nummelin, 2003 und 2006 in Lugano Champion und 2003 Liga-Topskorer.
Aber er ist mit der Erfahrung aus über 500 NHL-Partien ein solider Vize-Verteidigungsminister neben dem überragenden Schweden Henrik Tömmernes. Der schlaue Spielmacher Valtteri Filppula ist ein hochdekorierter Veteran (mehr als 1000 NHL-Partien), Weltmeister, Olympiasieger und Stanley Cup-Sieger. Sein Stürmerkollege Teemu Hartikainen ist so etwas wie der Lauri Mononen des 21. Jahrhunderts. Stilähnlich wie Tristan Scherwey und Rolf Schrepfer, aber noch robuster und technisch sowieso mindestens im Quadrat besser.
Biels Harri Säteri gilt als bester finnischer Goalie ausserhalb der NHL und kann in den Schuhen von ZSC-Kultgoalie Ari Sulander stehen. Jere Sallinen ist zweifacher Weltmeister und ein technisch exzellenter Energiestürmer. Der Künstler Toni Rajala ist in Biel ab der Mittellinie von allen taktischen Zwängen befreit und darf übers Eis fliegen. Extrovertiert und gut gelaunt ist er auch schon also «Latino-Finne» bezeichnet worden. Sowieso sind finnischen Spieler besser gelaunt und optimistischer als Kult-Regisseur Aki Kaurismäki. Erst recht, wenn sie in unserer National League ihr Geld verdienen dürfen.
P.S. Und was ist eigentlich die Finalprognose, wenn wir nur die finnischen Spieler berücksichtigen? Biel wird Meister. Wegen Harri Säteri.