Erst eine Aufzählung aller Namen vermittelt uns die Dimension des Problems. Ivano Zanatta, John Slettvoll, Hannu Virta, Kenta Johansson, Philippe Bozon, Mike McNamara, Barry Smith, Larry Huras, Patrick Fischer und Doug Shedden. Das sind die Cheftrainer, die in Lugano seit dem Titelgewinn von 2006 auf der Suche nach dem verlorenen Ruhm gescheitert sind. Schweden, Italiener, Finnen, Franzosen, Schweizer, Kanadier – aus allen vier Ecken der Welt sind sie nach Lugano geholt worden. Eine Aufzählung ohne Gewähr. Vielleicht habe ich noch einen vergessen.
3:0 geführt und am Ende 3:8 verloren gegen die mit ein paar Routiniers und Ausländern verstärkten, meisterhaft gecoachten Elite-Junioren des EHC Kloten. Nach diesem Debakel ist die Frage nicht mehr, ob Doug Shedden gehen muss. Die Frage ist nur noch wann. Sobald die «spätpubertäre Trotzphase» beim Management vorbei ist – man will doch nicht schon wieder den Trainer wechseln! – wird der Kanadier gefeuert.
Aber kann eine Trainerentlassung in Lugano überhaupt helfen? Ist der gleiche, meisterliche Effekt möglich wie vor einem Jahr in Bern? Ja.
Warum immer wieder Lugano? Warum ist es nicht möglich, mit so viel Geld Erfolg und eine gewisse Stabilität zu kaufen? Diese Frage wird seit dem Titelgewinn von 2006 jedes Jahr gestellt. Die Antwort ist ganz einfach: In Lugano gibt es keine sportliche Struktur, keine sportliche Identität und keine sportliche Strategie.
Krisen gehören zum Sportgeschäft. Weil Sport immer unberechenbar bleibt (was seine Faszination ausmacht). Der Irrtum ist das Menschenrecht des Sportmanagers. Aber Krisen werden überwunden, wenn ein Hockeyunternehmen eine klare Vorstellung davon hat, wohin und auf welcher Route die Reise gehen soll.
Was aber, wenn das Management kein Konzept, keinen Kompass hat? Wenn nicht klar ist, wer man ist und was man braucht? Wenn so viel Geld da ist, dass es nicht notwendig ist, die Lehren aus Krisen zu ziehen, weil ja jedes Problem durch Entlassung und Neueinstellung gelöst wird? Dann haben wir den HC Lugano und eine nunmehr zehnjährige Krise.
Eine Mannschaft über einen längeren Zeitraum aufzubauen, zusammenzustellen, mit den richtigen ausländischen Spielern zu ergänzen bzw. zu verstärken und den Trainer dazuzustellen, der dazu passt – das ist Lugano seit 2006 nicht mehr gelungen. Ein paar gute Transfers, wie Philippe Furrer, genügen nicht.
Lugano ist die einzige Spitzenmannschaft, die keine sportlichen «Kernaktionäre» in der Kabine hat. Will heissen: keinen Leitwolf, dem alle zuhören, keine Spielergruppe, die Konflikte intern löst, für eine klare Identität sorgt und dem Hockeyunternehmen eine Seele gibt. Davos, Bern und die ZSC Lions – die drei Teams, die alle Titel seit 2006 holten – haben diesen «harten Kern». Der letzte Leitwolf, der Luganos «Rudel» zu führen vermochte, war Ville Peltonen in der Meistersaison 2006. Er ist nie ersetzt worden. Sobald er seine Trainer-Lehre bei SCB-Trainer Kari Jalonen im Frühjahr 2018 abgeschlossen hat, wird der Finne der erste Trainer in Lugano sein, der länger als zwei Jahre im Amt bleibt.
Noch immer ist die Analyse eines weitgereisten Spielers die klügste, die ich über Lugano vernommen habe: in der Kabine gebe es nicht eine dominierende Spielergruppe. Sondern rivalisierende Clans. Deutschschweizer gegen Lateiner gegen Schweden gegen Kanadier. Weil Sportchef Roland Habisreutinger ohne Verstand einkauft – ein kanadischer Feuerkopf und vier Schweden können auf Dauer so wenig miteinander auskommen wie die SVP und die Grünen in einer Regierungskoalition – ist aus der Operation Titelgewinn längst ein Turmbau zu Babel geworden. Es sprechen nicht alle die gleiche Hockeysprache im Südtessin.
Gerade deshalb sind Aufstieg und Scheitern von Doug Shedden so logisch. Der Kanadier mahnt an Goethes Zauberlehrling. Dieser Zauberlehrling kennt das Zauberwort zum Entfesseln von Kräften – aber wenn er diese Kräfte geweckt hat, weiss er das Zauberwort nicht mehr, um sie zu bändigen.
Als der Kanadier die Mannschaft im letzten Herbst von Patrick Fischer übernimmt, gelingt es ihm, mit seinem polternden Führungsstil Emotionen zu wecken, für eine gewisse Zeit die «hockey-ethnischen» Unterschiede in der Kabine zu überwinden und eine Mannschaft zu bilden. Lugano rockt und wäre Doug Shedden ein guter Coach, hätte er im letzten Frühjahr im Playoff-Final gegen den SC Bern die Meisterschaft gewonnen. Aber er ist und bleibt ein stockkonservativer kanadischer Bandengeneral und versucht, mit der Konzentration der besten Kräfte, die Entscheidung zu erzwingen. Aber Eishockey wird heute so intensiv und schnell gespielt, dass am Ende einer langen Saison, am Ende der Playoffs, nur triumphiert, wer die Energien seiner Spieler zu verwalten und die Belastung auf vier Linien zu verteilen versteht.
Doug Shedden machte Dampf, Lärm, Rauch und Feuer, trieb seine Jungs bis in den Final und dort blieben sie schliesslich mit leeren Energietanks stehen. Diese Emotionen, die seine Mannschaft vorübergehend geeint hatten, kann er seither nicht mehr wecken. Er hat zu oft getobt, verbal gefeuerwerkt. Jetzt leiden die Spieler am «Göschenen-Airolo-Syndrom». Was der Trainer sagt, geht beim einen Ohr rein und beim anderen raus.
Luganos Chance ist die Verpflichtung eines «Not-Trainers», der es, so wie Doug Shedden letzte Saison, für ein paar Monate schafft, die Gegensätze in der Kabine vorübergehend zu überwinden und eine Mannschaft zu formen. Dann kann der HC Lugano Meister werden. Um anschliessend im kommenden Herbst nach dem bekannten Muster wieder in einer Krise zu versinken, die nur mit einem erneuten Trainerwechsel gemeistert werden kann. Lugano ist ein grandioses Sportunternehmen, gebaut auf Emotionen und Geld, ohne sportlichen Verstand und Konzept und deshalb dazu verurteilt, so ungefähr alle zwölf bis zwanzig Monate den Trainer zu feuern.
P.s Guter Artikel