Lugano frühzeitiges, schmähliches Saisonende mit vier Niederlagen in Serie gegen Zug ist eigentlich bloss ein «Betriebsunfall». In den vorangegangenen vier Jahren hat es immerhin zweimal zum Finale (2016, 2018) gereicht. Grande Lugano! Nein.
Dieses klägliche Ausscheiden gegen Zug wird nicht als «Betriebsunfall», sondern als das Ende einer Ära empfunden – und das ist es auch. Nämlich das Ende einer grossen Zeit, in der Lugano trotz aller Rückschläge Jahr für Jahr als Titelkandidat gehandelt worden ist.
Seit dem letzten Triumph (2006) hat Lugano alles Menschenmögliche unternommen, um eine weitere Meisterschaft zu gewinnen. Die zwei Finals von 2016 und 2018 sind viel zu wenig für eine Hockeyfirma, die sich über den Erfolg definiert, die unser Hockey jahrelang dominiert und seit Einführung der Playoffs (1986) sieben Titel geholt hat.
Das Problem war noch nie zu wenig, sondern zu viel Geld. So ist möglich, Trainer nach Belieben zu heuern und zu feuern. Es fehlt die Geduld und die Fachkompetenz, um eine eigene sportliche DNA zu entwickeln.
Zu den Unabwägbarkeiten des Sportes gehören Erfolg und Misserfolg. Alle Meister seit Einführung der Playoffs haben früher oder später zwischendurch die Playoffs verpasst, einer (Kloten) ist nach dem wirtschaftlichen Ruin sogar abgestiegen. Auch der SC Bern und die ZSC Lions haben schwere Krisen durchgemacht. Aber sie haben sich immer wieder erneuert und sind zum Erfolg zurückgekehrt.
Ungewöhnlich ist bei Lugano die lange, nun schon über zehn Jahre andauernde Zeitspanne der Erfolgslosigkeit. Dieses permanente Missverhältnis zwischen Investitionen und sportlichem Ertrag.
In der hoffnungsvollen, aufregenden Zeit seit dem letzten Titel von 2006 hat Lugano nie über einen längeren Zeitraum den Eindruck solider sportlicher Festigkeit gemacht. Vielmehr wirkt dieses Unternehmen über all die Jahre wie ein permanentes Provisorium, getrieben von den Emotionen des Tages.
Lugano mahnt an eine «Opera buffa» des Eishockeys. Eine «komische Oper», in der die Akteure in bunter Reihenfolge auf- und abtreten und ihren Part deklamieren (ihre Künste vortragen). Die Kulissen – bunte, teure Kulissen und doch oft nur aus sportlicher Pappe – werden nach Belieben aufgebaut, umgebaut, weggeräumt.
Nicht nur die Trainer geben sich die Klinke zur Kabinentüre in die Hand. Immer wieder werden auch Spieler mit laufenden Verträgen abgeschoben.
Seit der Meisterfeier von 2006 steht in Lugano das Grosse, Kühne, Glamouröse immer auch neben dem Parvenühaften, Gewöhnlichen und Lächerlichen und alles ist unentwirrbar ineinander verschlungen und verzahnt. Deshalb hat es nie mehr zur Meisterschaft gereicht.
Typisch für dieses grosse, reiche und doch sportlich arme Lugano ist das Scheitern in den letzten Tagen.
Lugano hat sich im Kampf um die Playoffplätze gegen die meisterlichen ZSC Lions durchgesetzt und acht der letzten elf Qualifikationspartien gewonnen. Also ist eine ausgeglichene Viertelfinalserie gegen Zug erwartet worden. Der Einzug ins Halbfinale, ja nicht einmal ein Meistertitel wäre angesichts des Talentes eine Sensation gewesen.
Aber einmal mehr konnte Lugano die Erwartungen nicht erfüllen. Elvis Merzlikins, der die Mannschaft zweimal in den Final gehext hatte (2016, 2018) ist in den letzten Tagen hinter einer Lotterabwehr zu einem Lottergoalie verkommen. Kein anderes Playoff-Team hat so viele Schüsse aufs eigene Tor zugelassen und kein anderer Goalie weist eine so schwache Playoff-Fangquote auf wie der lettische Nationalgoalie (87,23 Prozent).
Zu viel Glanz und Gloria: Elvis Merzlikins stand in den letzten Tagen in Lugano auf dem Eis und war in Gedanken schon in Nordamerika. Und weil es Lugano versäumt hat, einen zweiten spielstarken Torhüter im Kader zu halten, war es seinem kapriziösen Showman zwischen den Pfosten ausgeliefert.
Vicky Mantegazza ist eine grosse Präsidentin und Klub-Besitzerin mit einem feinen Gespür für den Sport. Aber selbst für diese Milliardärin ist guter Rat nicht käuflich.
Ihr Sportdirektor Roland Habisreutinger gilt seit seinem Amtsantritt 2009 als Hockey-Wohltäter: kein anderer Personalchef hat so viele Spieler reich gemacht und für so wenig Leistung so viel Geld bezahlt. Die Agenten konnten es manchmal kaum fassen, wie schnell exorbitante Lohnforderungen akzeptiert worden sind.
Nun zieht die Götterdämmerung herauf. Die Zeit von Lugano als Spitzenteam, das die Konkurrenz Jahr für Jahr auf der Meisterrechnung hat, ist um.
Mit Torhüter Elvis Merzlikins und WM-Silberheld Grégory Hofmann verliert Lugano seine wichtigsten Einzelspieler. Der charismatische Goalie wechselt in die NHL-Organisation von Columbus und der beste Torschütze der Liga ausgerechnet nach Zug. Nicht einmal mehr mit Geld vermag Lugano seinen besten Feldspieler zu halten. Milliardäre füllen die Transferkriegskassen auch in Zug, Zürich und Lausanne.
Und mit allem Geld der Welt ist es nicht möglich, die beiden zu ersetzen. Dominic Lammer, Sandro Zangger und Reto Suri haben die Aufgabe, Grégory Hofmann und dessen 30 Tore zu remplacieren. Die drei Neuzuzüge haben es diese Saison zusammen bloss auf 25 Treffer gebracht.
Lugano ist als Spitzenclub und Titelkandidat zum 13. Mal in Serie gescheitert und müsste sich neu erfinden. Und kann es nicht. Gerade noch rechtzeitig hat sich Ambri neu erfunden, ist zur Bescheidenheit zurückgekehrt und steht mit einem einheimischen Sportchef (Paolo Duca) und Trainer (Luca Cereda) für die wahren Werte des Tessin.
Lugano kann von seiner Geschichte und DNA her kein sympathischer, bescheidener Aussenseiter und Vertreter der lateinischen Hockeykultur sein wie Ambri.
Lugano bleibt nur die Rolle des glamourösen Herausforderers der Titanen aus der Deutsch- und Westschweiz. Für Lugano gilt nach wie vor und mehr denn je: Wir sind erfolgreich, also sind wir.
Die Voraussetzungen für einen Neuanfang wären ja eigentlich gut. Der Vertrag von Trainer Greg Ireland, diesem freundlichen Verlierer, läuft aus. Da Geld keine Rolle spielt, wäre es auch möglich, das ausländische Personal und die «Kabinen-Politiker» auszuwechseln, die ihren Platz in der Hierarchie nicht der Leistung, sondern der Nähe zur Präsidentin verdanken. Das dringend notwendige «House Cleaning» in der Sportabteilug wäre mach- und finanzierbar.
Aber Vicky Mantegazza, der gute Mensch des HC Lugano, bringt es nicht übers Herz, sich von den verdienten Mitgliedern ihrer grossen Hockeyfamilie zu trennen. Als Romantikerin des Sportes setzt sie durchaus richtig auf Leidenschaft und Loyalität für den HC Lugano. Aber sie durchschaut nicht die Schauspieler in den Umkleideräumen ihrer «Opera buffa». Das ist das Problem, wenn der Respektabstand zwischen Besitzerin und Personal zu gering ist.
Wenn es Vicky Mantegazzas Lugano nicht gäbe, man müsste es erfinden. Zum Wohle unseres Hockeys. Ohne dieses Lugano wäre der Unterhaltungswert unserer Hockeykultur so viel ärmer.
Mögen uns die Hockeygötter dieses grosss, reiche und doch sportlich arme Lugano unter Palmen noch lange, lange erhalten.
Habisreutinger bildet zusammen mit Dubé und Chatelain das absolute Versager-Trio im Sportchef-Amt. Allen andern Clubs kanns nur recht sein, wenn diese 3 noch möglichst lange im Amt bleiben dürfen.