Nach der Pflicht in den Gruppenspielen nun eine goldene Kür? Die Schweiz hat in Herning zum 8. Mal hintereinander mit Patrick Fischer den Viertelfinal erreicht. Was früher ein grosses Ziel war, ist heute Pflicht und eine Zwischenstation auf dem Weg in den Final. Wir sind inzwischen so etwas wie ein «Vorrunden-Weltmeister»: 30 Siege in den letzten 35 Partien der WM-Gruppenspiele.
Wie gut sind die Schweizer also bei dieser WM? So gut, dass sie – wie 2013, 2018 und 2024 – bis in den Final kommen? Oder sind sie sogar besser als 2013, 2018 und 2024? Könnte es zum ersten WM-Titel reichen? Seit Einführung des aktuellen WM-Modus ist ausser Deutschland (2023 im Final) jeder Finalist Weltmeister geworden. So gesehen wäre ein WM-Titel eigentlich längst fällig und logisch.
Die Ausgeglichenheit ist auch bei dieser WM so gross, dass WM-Gold für mindestens sechs Teams (Titelverteidiger Tschechien, Schweden, Finnland, Kanada, die USA und die Schweiz) ein realistisches Ziel ist. Nach den 7 Vorrundenpartien ist eine erste Einschätzung im Vergleich zum Silber-Team des Vorjahres möglich. Das aktuelle WM-Ensemble ist zwar nicht talentierter als die Silber-Mannschaft des Vorjahres. Mit Roman Josi und Nico Hischier fehlen zwei Schlüsselspieler. Das beunruhigt Patrick Fischer nicht:
Inzwischen ist Nino Niederreiter, der Leitwolf der Silberteams von 2013, 2018 und 2024 in Herning eingetroffen. Er konnte sich beim 4:1 gegen Kasachstan «einspielen» und hat einen Assist zum 3:1 von Andres Ambühl beigesteuert. Mit Verteidiger Janis Moser sowie den Stürmern Timo Meier und Denis Malgin sind drei Titanen dabei, die vor einem Jahr in Prag fehlten. Wir haben auch bei dieser WM genug Spieler, die in der Offensive auf diesem Niveau ein Spiel zu entscheiden vermögen.
Obwohl der Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Absteiger Kasachstan (4:1) ein erdauerter und glanzloser war: Statistisch und gefühlt sind die Schweizer eine Spur besser als vor einem Jahr. In Prag belegten sie in der Gruppe den 2. Platz hinter Kanada. Nun sind sie Gruppensieger vor Weltmeister Tschechien. Das Spiel funktioniert offensiv und defensiv trotz schlechter Eisqualität konstant und präzis wie ein Uhrwerk. Obwohl Patrick Fischer die Linien aus verschiedenen Gründen (Verletzungen, neue Spieler) für jede Partie neu formieren musste. Ein Zeichen für eine Ruhe und Gelassenheit, die das Team und das Verbands-Umfeld während der Vorrunde so in den letzten Jahren noch nie ausgestrahlt haben.
Es zahlt sich auch aus, dass es – anders als noch vor einem Jahr in Prag – keinerlei Diskussionen mehr um die Position von Patrick Fischer gibt. Präsident Stefan Schärer hatte vor Prag die Vertrauensfrage gestellt. Einer der Gründe, warum er sein Amt inzwischen verloren hat.
Trotz der Auftakt-Niederlage gegen Titelverteidiger Tschechien (4:5 n.V.) spielten die Schweizer in diesen ersten sieben Partien stabiler und abgeklärter als in der Gruppenphase vor einem Jahr. Mit einer aufsteigenden Formkurve. Der mühselige Sieg in der letzten Partie gegen Kasachstan mag dieser Einschätzung widersprechen. Aber auch gegen Kasachstan ist es nie hektisch geworden. Patrick Fischers Männer haben zügig aber ohne Hast ihr Spiel auf schon fast unerbittliche Art und Weise durchgezogen.
In einer Kurzanalyse der Gruppenspiele bestätigt der Nationaltrainer diese Einschätzung:
Das mag ein wenig philosophisch tönen, trifft aber den entscheidenden Punkt: Die taktische und spielerische Stilsicherheit, die eher noch grösser geworden ist als vor einem Jahr.
Es gibt sogar einen statistischen Beweis für die Behauptung, dass die Schweizer die bessere Vorrunde als 2013, 2018 und 2024 gespielt haben. 2013 lautete das Torverhältnis 29:20. 2018 25:29 und 2024 29:12. Und nun haben wir in sieben Spielen mehr Tore erzielt (34 – was dem 10:0 gegen Ungarn geschuldet ist) und – wichtiger noch – weniger Tore kassiert (9). In den letzten fünf Partien gegen die USA, Deutschland, Norwegen, Ungarn und Kasachstan waren es sogar nur noch zwei Gegentreffer. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Titel.
Patrick Fischer sagt, dass die Partien der Euro Hockey Tour (vier Turniere pro Saison mit Finnland, Schweden und Tschechien seit 2022) «unglaublich wichtig» seien.
Das Ziel sei es, noch schneller von Defensive auf Offensive umzuschalten. «Daran haben wir diese Saison gearbeitet.» Taktisch seien heute alle Teams sehr ähnlich. Entscheidend seien Details: Energie, Intensität, Tempo und die letzte Entschlossenheit. Auch daran fehlt es in Herning nicht.
Und eine Antwort auf die vielleicht wichtigste Frage hat der Nationaltrainer auch bekommen: Leonardo Genoni hat im Laufe des Turniers seine silberne Sicherheit von 2024 wieder gefunden und seine Fangquote auf solide 92,50 Prozent gesteigert.
Nicht talentierter, aber eine Spur schneller, präziser, selbst- und stilsicherer und damit gefühlt besser als 2024: 2025 ist alles möglich.
P.S. Österreich ist theoretisch und auch in unserem neuen Hockey-Selbstverständnis der schwächste Gegner, den wir in einem WM-Viertelfinal je hatten.
Aber Achtung: Unsere WM-Geschichte der letzten 30 Jahre ist auch durch Dramen gegen Österreich geprägt: 1995 stiegen wir nach einem 0:4 und 4:4 gegen Österreich in der Relegationsrunde in die B-WM ab. 2015 verloren wir in den Gruppenspielen in Prag 3:4 nach Penaltys. 2018 siegten wir in Kopenhagen erst in der Verlängerung 3:2 und vor einem Jahr reichte es in der Vorrunde in Prag nach einem 1:3-Rückstand «nur» zu einem 6:5.
Trotzdem: Im Falle einer Viertelfinalniederlage hier in Herning müsste die Geschichte der «Ära Patrick Fischer» wohl in Teilen neu geschrieben werden. Aus der optimistischen Frage, ob es für den ersten WM-Titel reicht («Schlägt unsere Stunde?») würde bei einer WM-Analyse der Arbeit von Patrick Fischer dann eher der Titel «Wem die Stunde schlägt» passen. Immerhin von Ernest Hemingway.
Das Spiel Kanada-Schweden gestern, hat aufgezeigt, was auf die CH noch zukommen kann.
Erst gilt es unseren Nachbarn in die Schranken zu weisen und dann gilt es ernst.