Schweiz
Romandie

Stehende Passagiere müssen vollen SBB-Zug in Montreux verlassen

Vendredi soir, un train devant relier Montreux à Lausanne est momentanément resté à quai. «Les voyageurs debout sont priés de descendre, sans quoi le train ne démarrera pas», annoncent les CFF. Un scé ...
In der Westschweiz kam es am Freitag zu einem ungewohnten SBB-Vorfall.Image: watson / dr

Stehende Passagiere müssen aus SBB-Zug aussteigen – das steckt hinter dem Vorfall

Am Freitagabend blieb ein Zug im Kanton Waadt vorübergehend im Bahnhof stehen. «Reisende, die keinen Sitzplatz haben, werden gebeten auszusteigen, sonst fährt der Zug nicht ab», teilten die SBB über Lautsprecher mit. Ein ungewöhnliches Szenario – das steckt dahinter.
22.07.2025, 10:1222.07.2025, 10:12
Margaux Habert
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Freitagabend, Gleis 1 im Bahnhof Montreux. Die Stimmung auf dem Bahnsteig ist gut: Euphorisierte Festivalbesucher kehren vom Montreux Jazz Festival zurück, Urlauber aus Italien befinden sich auf der Durchreise, und Einheimische machen sich auf den Heimweg. Der Zug um 22:29 Uhr aus Domodossola in Richtung Genf über Lausanne wird angekündigt. Die Türen öffnen sich.

Alle steigen ein – oder versuchen es zumindest. Die Waggons füllen sich schnell, die Sitzplätze sind schnell weg. Die Gänge verstopfen, Koffer bleiben stecken. Der Platz wird eng, doch die Passagiere müssen sich in Geduld üben. Denn: Der Zug fährt nicht ab.

epa12243872 A aerial view during the concert of Hermanos Gutierrez as he performs on the Lake stage at the 59th Montreux Jazz Festival (MJF), in Montreux, Switzerland, Thursday, July 17, 2025. EPA/CYR ...
Das Jazz-Festival lockte zahlreiche Besucherinnen und Besucher nach Montreux.Bild: keystone

Eine Minute vergeht. Dann zwei. Dann fünf. An Bord wächst die Verwunderung. Erste Seufzer sind zu hören. Man überprüft die Abfahrtszeit auf dem Handy. Noch immer kein Zeichen, das auf eine baldige Abfahrt hindeutet. Da ertönt plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern der Waggons:

«Der Zug kann nicht abfahren, solange die Fahrgäste ohne Sitzplatz nicht ausgestiegen sind.»

Überraschte Blicke werden ausgetauscht. Die Durchsage wirkt ungewöhnlich – besonders in einem Land, in dem Stehplätze zu den Hauptverkehrszeiten alltäglich sind. Viele halten sie zunächst für ein Versehen. Doch wenige Augenblicke später wird die Ansage erneut durchgegeben.

«Der Zug wird nicht abfahren, solange die stehenden Fahrgäste nicht ausgestiegen sind.»

Kein gewöhnlicher Zug

Was steckt also hinter dieser ungewohnten Durchsage? Auf Anfrage von watson bestätigt SBB-Sprecher Jean-Philippe Schmidt den Vorfall. Er erklärt aber auch, dass es sich um einen Ausnahmefall handelt: «Solche Vorfälle sind sehr selten», sagt er. Der Grund liege laut ihm am eingesetzten Zugtyp: «Der Zug um 22:29 Uhr ist ein EuroCity, ein internationaler Zug zwischen der Schweiz und Italien.»

«Seine Bauweise – ähnlich wie bei einem TGV – ist darauf ausgelegt, sitzende Fahrgäste auf längeren internationalen Strecken zu befördern, und nicht dafür gedacht, zahlreiche Personen im Stehen mitzunehmen, wie es bei anderen Zügen der SBB üblich ist.»

Beim betroffenen Zug handelt sich somit weder um einen Regio-, InterRegio- noch einen klassischen InterCity-Zug. Doch am Freitagabend wollten aussergewöhnlich viele Menschen – Festivalbesucher, Gelegenheitsreisende, Transitpassagiere – genau diese Verbindung nutzen. Deshalb habe man entschieden, alle Fahrgäste ohne Sitzplatz aussteigen zu lassen: Der Zug galt als überladen.

Der Einfluss des Jazz-Festivals

Die naheliegende Frage lautet also: Hatten die SBB die deutlich grössere Anzahl Passagiere durch das alljährliche Festival an den Ufern von Montreux unterschätzt? Das sei nicht der Fall, betont der Unternehmenssprecher:

«Für das Festival haben die SBB bis zu 15'000 zusätzliche Plätze bereitgestellt – durch Sonderzüge und zusätzliche Wagen, die an reguläre Verbindungen angehängt wurden.»

Der Sprecher erklärt weiter: «Der EuroCity war aufgrund seiner Bauweise nicht dafür ausgelegt, zusätzliche Fahrgäste aufzunehmen. Dafür waren die nachfolgenden Züge – insbesondere der um 22:38 Uhr sowie spätere Verbindungen – gezielt dafür vorgesehen, den Andrang aufzufangen. Diese Züge sind auf die Beförderung zahlreicher Fahrgäste, auch im Stehen, ausgelegt.»

Anders gesagt: Das Angebot war durchaus angepasst worden – nur eben nicht bei diesem spezifischen internationalen Zug. Die einzige verbleibende Lösung bestand daher gemäss SBB-Angaben darin, Fahrgäste ohne Sitzplatz zum Aussteigen aufzufordern.

Der ganze Vorfall dauerte rund eine Viertelstunde – so lange, bis einige Fahrgäste, teils resigniert, teils verärgert über das Ultimatum, wieder ausstiegen. Schliesslich konnte der Zug mit leichter Verspätung den Bahnhof verlassen.

Die ausgestiegenen Passagiere mussten derweil auf den Zug um 22:38 Uhr warten – auch dieser hatte Verspätung, bedingt durch die Verzögerung des vorhergehenden Zuges aus Italien in die Schweiz.

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120 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Palpatine
22.07.2025 10:22registriert August 2018
Information = Motivation.

Vielleicht wäre bei der Durchsage noch eine Hinzufügung angebracht gewesen, so à la: "Personen, die jetzt aussteigen, müssen nicht lange warten, der nächste Zug fährt schon in neun Minuten!"

Zumindest ich wäre dann mit weniger Unverständnis ausgestiegen...
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Ahura
22.07.2025 10:55registriert Februar 2024
„Der um xx:xx eintreffende Zug ist bauartbedingt nicht für Fahrgäste ohne Sitzplatz ausgelegt. Wir bitten Reisende, wenn möglich auf die um xx:xx eintreffende Verbindung auszuweichen.“

Etwas dieser Art hätte wohl schon geholfen...
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Joe Smith
22.07.2025 10:41registriert November 2017
««Seine Bauweise – ähnlich wie bei einem TGV – ist … nicht dafür gedacht, zahlreiche Personen im Stehen mitzunehmen.»
Das ist noch keine Begründung. Warum geht es in einem Zug und im anderen nicht? (Die Frage ist ehrlich gemeint, es interessiert mich wirklich.) Übrigens bin ich auch schon in einem überfüllten TGV von Zürich nach Basel gefahren.
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