Teams wie die Schweiz können nach wie vor nur dann um die Medaillen spielen, wenn Cinderella im Stadion bleibt. Die Redewendung kommt aus dem nordamerikanischen Sport und will heissen: Es braucht im Sport Glück, damit ein Märchen wahr wird.
Siege gegen die Grossen sind zwar für uns nicht mehr Sportmärchen. Aber ein wenig Glück brauchen halt immer noch. Cinderella (im deutschen Sprachgebrauch: Aschenputtel) ist die glückliche Märchenfigur, die durch wundersame Fügung des Schicksals schliesslich doch zur Prinzessin wird.
Cinderella ist im Stadion, wenn einem Aussenseiter alles gelingt. So wie den Schweizern vor einem Jahr bei der Silber-WM in Stockholm. Und wenn dann ein Team vom Glück wieder verlassen wird, heisst es eben «Cinderella has left the building» («Aschenputtel hat das Stadion verlassen.»). So wie beim 2:3 gegen die Amerikaner.
Es hätte gegen die USA ja nicht einmal so viel Glück gebraucht. Sondern nur so etwas wie Gerechtigkeit. Dann wäre es auch ohne Cinderella gegangen. Die Schiedsrichter annullierten nämlich im Schlussdrittel zwei reguläre Treffer. In der 49. Minute zum 3:2 (Rüfenacht) und in der 55. Minute zum 3:3 (Moser). Der Grund: Offside.
Best player USA: Referee…
— Manuel Aeberli (@the_street_ch) 10. Mai 2014
Sean Simpson sagte nach dem Spiel, er habe sich in den vier Jahren als Nationaltrainer nie über die Schiedsrichter beklagt. Aber jetzt tue er es. War es Torraub? Gar ein Schiedsrichterskandal? Nein, das war es nicht. Die TV-Bilder zeigen, dass beide Situationen sehr knapp waren. Die Schiedsrichter müssen sofort entscheiden und können hinterher nicht mehrmals das Video konsultieren wie die Zuschauer.
Das Video darf nur für Torszenen (ist der Puck regulär drin oder nicht?) eingesetzt werden. Es waren also zwei umstrittene Situationen, die es den Schiedsrichtern erlauben, die Tore zu geben oder zu annullieren. Sozusagen Entscheide im Grenzbereich. Die Unparteiischen entschieden zweimal gegen uns und brachten uns mit ziemlicher Sicherheit um zwei Tore, einen Sieg und drei Punkte. Genau so ist es eben, wenn Cinderella das Stadion verlassen hat.
Die Schweizer spielten auf dem Silber-Niveau von 2013. Torhüter Reto Berra veränderte alles. Er verhinderte in der Startphase mit drei grossen Paraden einen frühen Gegentreffer und wehrte insgesamt 92,11 Prozent der Schüsse ab. Nun funktionierte die Mannschaft wieder. Die starke Torhüterleistung löste eine positive Kettenreaktion aus. Reto Berra ist gut genug, um diese WM noch zu retten. Die Schweizer hatten keine Angst. Sie spielten in jedem Bereich mit den kräftigen Amerikanern auf Augenhöhe.
Goalie Reto Berra made 35 saves & was named one of the players of the game today in Switzerland's 3-2 loss to USA at @IIHF2014.
— Colorado Avalanche (@Avalanche) 10. Mai 2014
Typisch für die mutigen Schweizer: Der «Gitterlibueb» (Spieler im Juniorenalter müssen ein Gitter vor dem Helm tragen) Kevin Fiala (17) prügelte sich furchtlos mit den Amerikanern (17.) und er leistete die Vorarbeit zum 1:0 (21.). Typisch auch, wie sich der Romy-Sturm zum 2:1 durchkombinierte.
Damien Brunner war so ziemlich der einzige Spieler, der nach dem 0:5 gegen die Russen optimistisch geblieben war: «Wir sind viel besser als dieses Resultat vermuten liesse. Jetzt heisst es Brust raus und Kopf hoch und mutig ins nächste Spiel gehen.» Dass die Schweizer nach dem Russen-Spiel 215 Minuten ohne Tor geblieben waren, beunruhigt ihn nicht. «Ich hatte so viele Chancen, dass ich sicher bin, dass ich bald einen Treffer erzielen werde. Unsere Linie hat viele gute Möglichkeiten herausgespielt, gute Spielzüge gemacht und wir verstanden uns auf dem Eis gut. Wenn wir so weitermachen, fallen auch Tore.» Und genau so kam es gegen die USA. Damien Brunner lebte diese Zuversicht auch vor. Steckte Schläge ein und buchte das 2:1.
Aber am Ende des Tages spielt es keine Rolle, ob ein Spiel 0:5 oder 2:3 verloren geht. Ehrenvolle Niederlagen bringen uns nicht weiter. Die Frage ist nun: Hat Cinderella die Arena nur verlassen, um eine Kaffepause zu machen – oder kommt sie nicht wieder zurück?
Es hat zwar in den ersten beiden Partien gegen Russland und die USA ohne ihren Beistand nicht zum Sieg gegen einen Grossen gereicht. Aber gegen die Amerikaner waren wir so gut, dass wir eigentlich theoretisch auch ohne Cinderellas Unterstützung am Montag gegen Weissrussland (mit unserem künftigen Nationaltrainer Glen Hanlon) siegen können. Aber solche Spiele sind unberechenbar. Es wäre schon gut, wenn wir wieder etwas Glück hätten – wie zuletzt 2013 in Stockholm.
Die Partie gegen Weissrussland ist ein Spiel der Wahrheit das darüber entscheidet, ob die Schweizer in den restlichen Partien (gegen Deutschland, Kasachstan, Finnland und Lettland) eine Chance auf die Viertelfinals (und Medaillen) haben – oder ob wir uns nach unten orientieren und primär den Klassenerhalt sichern müssen.