Auf den ersten Blick ist es eine unspektakuläre Formalität. Von der Hockey-Öffentlichkeit kaum bemerkt: Gestern ist dank der Stimmen der National-League-Clubs die Formel der höchsten Junioren-Liga ab übernächster Saison von U20 auf U22 angehoben worden. Die Amateurligen haben diese Änderung zwar verworfen. Aber im nun folgenden Bereinigungsverfahren dürfte die U22-Regelung durchkommen.
Auf den zweiten Blick zeigt sich: Diese U22-Formel wird dramatische Auswirkungen auf das erfolgreiche Ausbildungsmodell Schweiz haben. Sie kann uns um Jahre zurückwerfen.
Die grossen europäischen Hockeynationen integrieren die besten Junioren ab dem 18. Altersjahr ins Erwachsenenhockey. Bei den wichtigsten Junioren-Titelkämpfen (U20-WM) haben drei Viertel aller Spieler bereits einen Stammplatz in der höchsten Liga. Und die Intensität der höchsten nordamerikanischen Junioren-Ligen ist wegen des gewaltigen Konkurrenzkampfes – in Kanada gibt es 430'000 lizenzierte Junioren, in den USA 200'000 und in der Schweiz bloss 18'000 – eher noch höher als in der Swiss League.
Bei uns hat in der Regel nicht einmal die Hälfte der Spieler eines U20-WM-Teams Erfahrung im Erwachsenenhockey und bloss zwei oder drei kommen in der höchsten Liga zum Zuge.
Das Problem unserer besten Junioren sind nicht in erster Linie die läuferischen, taktischen und technischen Fähigkeiten. Sondern die fehlende Intensität in den Zweikämpfen. Beim Spiel im «Slot» und den Banden entlang. Eine Intensität, die in einer reinen Juniorenliga fehlt. Sie kann bei uns nur im Erwachsenen-Hockey erlernt werden. Gerade bei der letzten U20-WM monierte Nationaltrainer Patrick Fischer diese fehlende Intensität.
Unsere mit Abstand beste Ausbildungsliga ist die Swiss League. Sie ist ein weltweit einmaliges Erfolgs-Modell. Eine «Hybrid-Liga» mit ambitionierten Spitzenteams und Farmteams. Zudem schicken die NL-Organisationen ohne Farmteams wie der SCB oder Biel ihre besten Jungen zur Weiterbildung in die Swiss League. Beispielsweise sind SCB-Torhüter Philip Wüthrich und SCB-Verteidiger Mika Henauer in Langenthal an das höchste Niveau herangeführt worden. Das wäre in einer U22-Juniorenliga nicht möglich gewesen.
Die Zuger haben eine ganze Reihe von Spielern in ihrem Farmteam in der Swiss League ausgebildet und bei den ZSC Lions haben die meisten Schweizer Spieler eine Vergangenheit bei den GCK Lions. Ambris Sportchef Paolo Duca sagt, das Modell Farmteam (die Ticino Rockets) habe die Erwartungen übertroffen. Ambri zähle 14 Spieler in der ersten Mannschaft, die ohne die Rockets heute kaum in der höchsten Spielklasse mithalten könnten.
Nun ist in den Verbandsbüros vom tüchtigen Ausbildungschef Markus Graf eine ganz besondere Idee ausgebrütet worden. Sie läuft dem internationalen Trend völlig entgegen.
Die höchste Juniorenliga soll ab übernächster Saison von U20 auf U22 erweitert werden. Die besten Junioren sollen also bei uns künftig noch zwei Jahre länger Junioren spielen können und noch nicht im Erwachsenenhockey eingesetzt werden.
Die Folgen: Die gut beratenen besten Junioren werden erst recht so schnell wie möglich die Flucht nach Schweden oder Nordamerika ergreifen. Wer es am Ende seiner U22-Juniorenzeit noch nicht ins Erwachsenenhockey geschafft hat, dem bleibt mit ziemlicher Sicherheit nur noch das Amateurhockey und der Übertritt ins richtige Leben. Und kaum mehr ein Junior, der hier bleibt, wird im U20 WM-Team die Härte und Intensität aus dem Erwachsenenhockey kennen.
Die Klubs der National League argumentieren, die besten Junioren könnten so mit der ersten Mannschaft trainieren und von den besseren Trainings-Infrastrukturen in der National League profitieren.
Doch nichts ersetzt Spielpraxis im Erwachsenenhockey. Wenn fast jede Partie wichtig und der Widerstand grösser ist. In den Juniorenligen spielen die Resultate keine Rolle und wer eine Juniorenliga dominiert, entwickelt sich nicht mehr weiter.
Vordergründig wird erklärt, man wolle so das Niveau der höchsten Juniorenliga heben. In Tat und Wahrheit geht es gegen die Swiss League.
Aus gutem Grund: Ab übernächster Saison sind die National League und die Swiss League eigenständige Organisationen, die ihre Werbe- und TV-Haut in eigener Regie zu Markte tragen und im wirtschaftlichen Bereich zu Konkurrenten werden. Den Vertretern der NL-Klubs ist daran gelegen, die Swiss League zu schwächen. Zum ersten Mal in unserer Geschichte arbeiten die beiden höchsten Ligen gegeneinander und nicht mehr miteinander. Zum Schaden unseres Hockeys.
Die U22-Regelung wird den Klubs in der Swiss League mehr als 100 Spieler entziehen. Nämlich alle mit den U22-Jahrgängen und jünger. Angedacht ist nämlich im Reglement ein Passus, der besagt, dass nach einem Einsatz in der Swiss League eine Rückkehr zu den U22-Junioren nicht mehr möglich ist (siehe Dokument).
Die U22-Meisterschaft wird so mit ziemlicher Sicherheit das Ende der Ticino Rockets und der EVZ Academy. Weil diese Teams grösstenteils aus U22-Spielern bestehen, die dann künftig in der U22-Meisterschaft eingesetzt werden.
Nur die GCK Lions verbleiben so oder so in der Swiss League. Die Zürcher, die sich vehement gegen diese Reform-Idee wehren, werden in jedem Fall ihr Farmteam in der Swiss League weiterführen und ihre besten jungen Spieler im Erwachsenen-Hockey ausbilden.
Inzwischen haben die Strategen der Swiss League im stillen Kämmerlein einen ganz besonderen Not-Plan ausgeheckt: Die jungen Spieler, die durch die U22-Formel verloren gehen, sollen mit einer noch zu bestimmenden Anzahl U22-Ausländern aufgefüllt werden. Daneben bleiben wie bisher zwei Ausländer ohne Altersbeschränkung. Was zu einer «Ausländer-Schwemme» in der Swiss League führen wird.
Die Folgen dieser Reform sind, wer es denn sehen will, gut erkennbar: Unsere besten Junioren wechseln nach Skandinavien oder Nordamerika und das Niveau unserer höchsten Juniorenliga sinkt noch mehr.
Dafür bilden wir dann, wenn die Swiss League ihren Notplan umsetzt, fleissig billige junge slowakische, tschechische, österreichische, italienische, norwegische, britische, französische, lettische, dänische oder slowenische Ausländer aus.
Was läuft da momentan ab?