Wir sind zwar noch lange nicht Weltmeister. Bis zum grossen Augenblick braucht es mindestens noch drei Siege (Viertelfinal, Halbfinal, Final).
Aber was schon feststeht: Die Schweiz ist das unterhaltsamste WM-Team. Mit Abstand. Ja, die Schweizer nehmen inzwischen hockeytechnisch die Rolle ein, die seit 1954 meistens die Russen gespielt haben. Russland und Weissrussland sind ja wegen der weltpolitischen Lage bis auf weiteres aus der WM ausgeschlossen worden.
Das russische Hockey steht auch für Taktik, Struktur und Disziplin. Aber eben viel mehr noch für Tempo, Spektakel, Kreativität und Kunst. Die Tschechen, Schweden und Finnen sind Meister der Taktik, der Disziplin und der Defensive. Die Nordamerikaner stehen für Wucht, Geradlinigkeit und Selbstvertrauen. Daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern.
Nur eine Mannschaft hat im Laufe der letzten Jahre einen grundsätzlichen Wandel vollzogen. Unsere Nationalmannschaft. Nach der Rückkehr auf die Weltbühne 1998 für lange Zeit das langweiligste, weil defensivste Team jedes Titelturniers.
Seit 2010 sind aus den grauen spielerischen Entlein mehr und mehr ein strahlend weisse spielerische Schwäne geworden und in Helsinki fliegen sie ganz besonders schön und hoch. Ein bisschen so wie Marco Pfeuti («Gölä») – nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen SCB-Verteidiger Urs Pfeuti – zu singen pflegt:
En Schwan so wiess wiä Schnee
Vergässe was isch gsche
Und d Flügel trage se so wit
Wos keini Grenze meh git.
Schnelligkeit, Präzision, Kreativität, aber auch Mut und eine erstaunliche Härte prägen das Spiel der Schweizer. In lichten Momenten zelebrieren sie Hockey so wie einst die Russen. Wie spielerische weisse Schwäne eben. Der «Gölä-Effekt».
Die Schweiz ist mit 30 Treffern vor Schweden (26) das offensiv beste Team dieser WM. Und sie dürften eines der schnellsten und in lichten Momenten gar das schnellste Team dieses Turniers sein – was sich natürlich nicht statistisch beweisen lässt. Es gibt ja keine Tempomessungen.
Die Behauptung trifft weiterhin zu: Im Grossen und Ganzen sind wir eigentlich Weltmeister. Nur im Kleinen halt noch nicht. Will heissen: Den Titel können die Schweizer erst dann holen, wenn sie Leichtsinnsfehler und taktischen Übermut ganz vermeiden lernen. Wenn es gelingt, das Spiel zur Perfektion zu justieren. Von der ersten bis zur letzten Minute.
Die zwei letzten Partien haben diese besondere Situation in Helsinki dramatisch gezeigt: Gegen Weltmeister Kanada sind Motivation und Konzentration maximal: Es ist ja auch noch das Weltrekordspiel für Andres Ambühl. Seine 120. WM-Partie. Also zeigen alle ihr bestes Hockey. Dreimal wird ein Rückstand (0:1, 1:2, 2:3) subito in spätestens 86 Sekunden aufgeholt und am Ende steht ein grandioser Sieg (6:3).
Gestern war die Motivation gegen Frankreich minimal. Eine reine Pflichtübung. Ungefähr so wie Zug gegen Ajoie. Und siehe da: Ein Drittel lang sind die Schweizer einfach nicht so richtig bei der Sache. Graue Entlein.
Ein Fehlpass von Enzo Corvi in der eigenen Zone ermöglicht Alexandre Texier, dem Timo Meier der Franzosen, das 0:1. Ein schneller Konter führt zum 0:2 und mit einem von Andrea Glauser verursachten Penalty verpasst Alexandre Texier gar das 0:3. Reto Berra hält.
Aber nach dem ersten Drittel und einem 0:2-Rückstand ist fertig lustig. Nach und nach beruhigen die Schweizer das Spiel. Und weil sie ja für beste Unterhaltung sorgen, ist der statistische Siegestreffer (das 3:2) kein gewöhnliches Tor. Andres Ambühl (38) trifft. Auf Pass von Captain Nico Hischier (23). Als Ambühl sein erstes WM-Spiel bestritten hat, war Hischier gerade mal fünf Jahre alt.
5:2 nach 0:2 – die Schweizer haben es verstanden, aus einer langweiligen Pflichtübung ein zeitweise gar dramatisches Spektakel zu machen. Was erneut für Nationaltrainer Patrick Fischer spricht: Wie gegen Kanada (3:3 nach einem Drittel, dann 3:0 im zweiten und dritten Drittel) gelingt es erneut, in der ersten Pause das Spiel zu justieren: 0:2 nach einem Drittel, 5:0 im zweiten und dritten Drittel). Denis Malgin wird nach dem Spiel sagen: «Wir haben in der Pause die richtigen Worte gefunden und haben dann wieder unser Hockey gespielt.» Was sich aus in der Statistik zeigt: 12:10 Torschüsse im ersten, 12:2 und 15:7 im zweiten und dritten Drittel.
Nach einem Drittel gegen Frankreich nicht mehr das Hockey der grauen Entlein. Sondern der weissen Schwäne. Wie hoch fliegen sie noch? Das ist nun die grosse Frage. Die Verletzung von Tristan Scherwey trifft das Team. Seine Energie und Leidenschaft werden fehlen. Und doch: Hockey ist ein Teamsport. Der Ausfall des SCB-Stürmers kann kompensiert werden.
Um den Gruppensieg in jedem Fall zu sichern, ist am Dienstag gegen Deutschland (11.20 Uhr) ein Sieg erforderlich.