Sport
Eismeister Zaugg

Hockey-Löwen, geführt von Eseln – so schlimm war es seit den 1980er Jahren nie mehr

Das Chaos war einfach zu gross bei der Schweizer Nati. 
Das Chaos war einfach zu gross bei der Schweizer Nati. 
Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg

Hockey-Löwen, geführt von Eseln – so schlimm war es seit den 1980er Jahren nie mehr

Kommunikation ist heute fast so wichtig wie Leistung. Der Deutschland Cup mit dem schlimmsten Auftritt unserer Nationalmannschaft seit den frühen 1980er Jahren steht dafür als Lehrbeispiel.
08.11.2015, 21:0809.11.2015, 11:32
Mehr «Sport»

Wer die Spiele der Schweizer beim Deutschland Cup nicht gesehen hat und nur den Erklärungen der verschiedenen Protagonisten lauscht, kommt zum Schluss: Eine grossartige Nationalmannschaft hat in Augsburg nur mit viel Pech und wegen der Schiedsrichter den ersten Turniersieg seit 2007 verpasst.

Not-Nationaltrainer John Fust rühmt das exzellente Box- und Powerplay. «Die jungen Spieler werden von den Erfahrungen bei diesem Turnier profitieren.» Niemand habe dieser Mannschaft viel zugetraut und man habe trotzdem bis zum letzten Spiel auf den Turniersieg hoffen können. Er verweist auf die starke Belastung der wichtigsten Spieler. «Sie mussten wegen verschiedener Ausfälle viel Eiszeit verkraften und waren deshalb am Schluss müde.» Warum wurden nicht mehr Spieler mit zum Turnier genommen? «Da fragen sie besser das Management.» Und dann sagt er noch das, was alle Coaches sagen, die mit den Schiedsrichter nicht zufrieden sind: Er sage nichts zu den Schiedsrichtern.

John Fust: Mit den Schiedsrichtern war er nicht zufrieden.
John Fust: Mit den Schiedsrichtern war er nicht zufrieden.
Bild: freshfocus

Nationalmannschafts-Direktor Raeto Raffainer ist zufrieden. Sehr sogar. Er lobt die Leader im Team und weist darauf hin, dass man bis zum letzten Spiel eine Chance auf den Turniersieg gehabt habe. Auf die Frage warum man denn nicht mehr Spieler mit nach Augsburg genommen habe, um die Ausfälle zu kompensieren, sagt er: «Wir wollten noch Spieler von Davos nachnominieren. Arno Del Curto war einverstanden. Auf sein Angebot haben wir dann wegen der Belastung der Davoser durch die Champions League verzichtet.» Na ja, es gäbe ja auch noch elf andere NLA-Teams mit möglichen Nationalspielern.

Damit Raeto Raffeiner nicht mehr nur vom HCD Spieler nachnominieren muss, haben wir die Liste aller (!) NLA-Vereine von der Swiss-Ice-Hockey-Seite hier eingefügt.
Damit Raeto Raffeiner nicht mehr nur vom HCD Spieler nachnominieren muss, haben wir die Liste aller (!) NLA-Vereine von der Swiss-Ice-Hockey-Seite hier eingefügt.

Also alles im grünen Bereich. Oder doch nicht? Kommunikation ist im Sport von heute fast so wichtig wie die Leistung. Wer rühmt, hat gute Chancen, dass das dann auch so von den Chronistinnen und Chronisten in die Welt hinausgetragen und vom Publikum geglaubt wird. So funktioniert Politik. So funktioniert manchmal auch der Sport.

Aber es gibt auch eine andere Sicht der Dinge. Eine neutrale. Noch selten ist eine miserable Leistung so schamlos schöngeredet worden wie dieser missglückte Auftritt unserer Nationalmannschaft in Augsburg. Wir haben beim Deutschland Cup den schlimmsten Auftritt einer Nationalmannschaft seit den frühen 1980er Jahren gesehen.

Gegen Deutschland lief es zum Auftakt noch gut.
Gegen Deutschland lief es zum Auftakt noch gut.
Bild: freshfocus

Am meisten Gegentore, mit Abstand am meisten Strafminuten. Am Anfang steht ein starker Auftritt und ein 3:2 in einem wilden Spiel gegen Deutschland. Aber dann folgt der rasche Zerfall. Ja, noch nie in der Neuzeit hat sich eine Nationalmannschaft im Laufe eines Turniers so schnell aufgelöst.

Eine 4:1-Führung und der Turniersieg werden in der zweiten Partie wegen Auflösung von Disziplin und Ordnung verspielt (4:5 n.V). Zum Schluss folgt gegen die Slowakei ein Spiel, das eigentlich eine Farce war (0:4). Mit einem neuen Rekord: Simon Moser kassiert aus einer einzigen Aktion 50 Strafminuten: Zweimal 5 Minuten plus Restausschluss. Das ergibt theoretisch 50 Minuten.

Passt ins Bild: die Rekordstrafe in einer Aktion für Simon Moser.
Passt ins Bild: die Rekordstrafe in einer Aktion für Simon Moser.
Bild: freshfocus

Ist Simon Moser ein Bösewicht? Nein. Er sagt dazu: «Ich war verärgert, weil ich Sekunden vor Schluss des zweiten Drittels völlig unnötig gecheckt worden bin. Ich habe meinen Gegenspieler bloss am Aufstehen gehindert und sicher nicht gegen den Kopf geschlagen. Die Strafen haben mich schon ein wenig überrascht …» Simon Moser ist tatsächlich ein disziplinierter und auch intelligenter Spieler mit Matur. Wie die TV-Bilder zeigen: seine Version ist durchaus glaubwürdig. Eine Fünfminutenstrafe für einen vorangehenden Stockschlag ist berechtigt. Die zweite Fünfminutenstrafe für einen angeblichen Check gegen den Kopf hingegen nicht.

Zu wenig Erfahrung für den Job? Raeto Raffainer.
Zu wenig Erfahrung für den Job? Raeto Raffainer.
Bild: freshfocus

Was war nun also los in Augsburg? Nun, eigentlich ist es ganz einfach. Führungsfehler auf allen Ebenen. Das Problem ist nicht fehlendes Potenzial. Wir haben auf allen Stufen so gute Spieler wie nie zuvor. Das Problem ist eine völlig überforderte Führung. Nationalmannschafts-Manager Raeto Raffainer (33) fehlt jede Erfahrung für den Job. Das Unterschätzen des internationalen Hockeys nimmt groteske Formen an. Dazu gehört, mit zu wenig Spielern zum Deutschland Cup zu reisen. Dazu gehört das Unterschätzen der Aufgabe eines Nationaltrainers.

Wegen der Entlassung von Glen Hanlon zur Unzeit (Anfang Oktober) musste U20-Cheftrainer John Fust zusammen mit U18-Nationalcoach Thierry Paterlini die Nationalmannschaft für den Deutschland Cup übernehmen. Deshalb hatte John Fust immer noch seine eigentliche Aufgabe im Kopf: die Vorbereitung des U20-Nationalteams auf die WM Ende Dezember. Diese Mannschaft hat in diesen Tagen ebenfalls ein Turnier bestritten und John Fust sagt: «Ich war hier in Augsburg fast alle drei Stunden in telefonischem Kontakt mit meinem Stellvertreter Christian Wohlwend.»

Körperlich in Augsburg, aber mit dem Kopf bei der U20: John Fust.
Körperlich in Augsburg, aber mit dem Kopf bei der U20: John Fust.
Bild: freshfocus

Der tüchtige John Fust hatte sozusagen zwei Teams im Kopf: Jenes, das ihm in Augsburg entglitten ist und jenes U20-Nationalteam, das gleichzeitig in Poprad spielte. Er ist als «doppelter John» von Raeto Raffainer verheizt worden. Logisch also, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind.

So gesehen trifft John Fust wenig und die Spieler keine Schuld. Sie haben gekämpft, manchmal sogar heroisch. Sie haben alles versucht. Für sie gilt, was im 19. Jahrhundert über die von den Generälen miserabel geführten Soldaten der kaiserlichen österreichischen Armee gesagt worden ist: Löwen, geführt von Eseln.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
10 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
exeswiss
08.11.2015 21:14registriert Januar 2015
traurig, wie man lange aufgebautes, so schnell zerstören kann.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
klugundweise
08.11.2015 21:56registriert Februar 2014
Löwen geführt von Eseln?
Zumindest kommentiert von einem Pfau!
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Darkside
08.11.2015 22:46registriert April 2014
Unsere Verbandsvögel sind doch schon seit vielen Jahren für Ihre Professionalität bekannt.
00
Melden
Zum Kommentar
10
Holen sich die Schweizer Slalom-Spezialisten in Val-d'Isère wieder einen Podestplatz?

Nach dem Erfolg von Marco Odermatt im Riesenslalom sind am heutigen Sonntag in Val-d'Isère die Slalom-Spezialisten dran. Die grösste Schweizer Hoffnung ist dabei Loïc Meillard, der als bisher einziger Slalom-Fahrer aus dem Swiss-Ski-Team aufs Podest fuhr und zum engen Kreis der Sieganwärter gehört. Zumal in Clément Noël der bisher beste Slalomfahrer der Saison nach seinem Sturz im Riesenslalom angeschlagen ist und möglicherweise gar nicht antreten kann.

Zur Story