Bringen wir es etwas vereinfacht und ein wenig boshaft auf den Punkt: Selbst in unserer braven Schweiz ist es inzwischen fast nicht mehr möglich, ein völlig bedeutungsloses Fussball-Meisterschaftsspiel anständig über die Bühne zu bringen.
Unanständiges Benehmen, ja Ausschreitungen und Sachbeschädigungen mit hohen Kosten für die Steuerzahlenden (Fachbezeichnung: «Hooliganismus») gehören zur nationalen und internationalen Fussball-Kultur wie das Glockengeläut zum Alpaufzug.
Der Besuch von Fussballspielen ist oft nichts mehr für wahre Romantiker. Die letzten Oasen für Sportromantiker sind inzwischen vor allem Hockey-Stadien. Auf nationaler Ebene und erst recht bei einer WM. Bereits nach 40 Partien haben mehr als eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder den Titelkämpfen in Prag und Ostrava beigewohnt. Der absolute WM-Besucherrekord von 2015 in Prag und Ostrava (741'690 Fans) dürfte fallen.
Auch 2024 feiern die Fans aller Couleur und Herkunft gemeinsam eine friedliche Party im Stadion, vor dem Stadion und in der Stadt. Es geht oft hoch zu und her und da und dort ist auch schon mal die Bezeichnung «Bier-WM» gefallen. Die Fans wissen das günstige, gebraute Getränk zu schätzen.
Die Polizei-Präsenz ist auch im goldenen Prag minimal. Mit ziemlicher Sicherheit müssen für ein bedeutungsloses FCZ-Heimspiel im Quadrat mehr Polizistinnen und Polizisten aufgeboten werden als für eine ausverkaufte WM-Partie in Prag. Und in der U-Bahn und im Tram kommt niemandem in den Sinn, ÖV-Fahrende anzupöbeln oder gar Einrichtungen zu beschädigen oder zu beschmieren.
Diese Friedfertigkeit ist ein Teil der nationalen und internationalen Hockey-Kultur. Soeben sind ja auch bei uns sieben emotionsgeladene Finaldramen zwischen den ZSC Lions und Lausanne friedlich über die Bühne gegangen. Unanständiges Verhalten ist also offensichtlich ein Teil der städtischen Fussball-Kultur und nicht typisch für Sportfans der Stadt Zürich.
Warum das so ist, warum Hockeyfans so etwas wie die letzten Romantiker des Sportes sind und warum die Unterwanderung durch gewaltbereite Gruppierungen und die Schaffung von rechtsfreien Räumen im Hockey bis heute weitgehend verhindert werden kann, mag vielfältige stadionbauliche, politische, historische, soziologische, geografische, wirtschaftliche und organisatorische Gründe haben. Wir wollen nicht grübeln. Darüber sind schon viele kluge Studien verfasst worden.
Begnügen wir uns mit der Feststellung, dass es auf internationaler Ebene, in Prag oder in Zürich, ist, wie es ist. Und stellen eine polemische, etwas boshafte Frage zur Stadtzürcher Sportkultur. Dort können wir ja den Unterschied zwischen dem Wesen und Wirken der Fussball- und der Eishockeyfans auf einem überblickbaren Raum – sozusagen unter dem Brennglas – studieren.
Könnte es eventuell sein, dass es auch einen Zusammenhang zwischen Anstand in den Stadien und der Glaubwürdigkeit der Chefetagen gibt? Ist es nicht so, dass Walter Frey, seit 1997 Vorsitzender der ZSC Lions, der Hockeykultur mehr Glaubwürdigkeit und Respektabilität auf allen Ebenen verleiht als FCZ-Selbstdarsteller Ancillo Canepa oder die vielen GC-Präsidenten, die so schnell ausgewechselt werden, dass sich nicht einmal Sporthistoriker ihre Namen merken können?
Wer echte unverfälschte Sportromantik sucht findet sie dort wo es weder Ruhm noch Geld zu gewinnen gibt, sei es Hornussen im Entlebuch oder ein Rundlaufturnier in Zürich West.