Ist es der grösste Sieg aller Zeiten? Ja, wir müssen wieder einmal den ultimativen Superlativ bemühen. Es ist mindestens einer der grössten Siege aller Zeiten. Der erste an einer WM gegen Finnland seit 1972. Und der erste Sieg überhaupt in einem K.o.-Spiel gegen einen der beiden skandinavischen Titanen Schweden und Finnland.
Und es ist nicht ein Triumph auf eine glückliche, aufwühlende Art und Weise in einem Hockey-Drama. Es ist ein logischer, kaltblütiger, zwingender, mit der Präzision eines Landvermessers herausgespielter und souverän nach Hause gebrachter Sieg.
Es ist eine Sensation, die keine ist. Es ist vielmehr ein logischer Triumph, der sich abgezeichnet hatte. Ja einer, der erwartet, gefordert werden durfte.
Wer diese Woche in Herning vor Ort war, mit den finnischen Hockey-Generälen und Chronisten, dem Trainer und den Spielern plauderte, der konnte es spüren: Die Finnen atmeten nach dem 6:2-Sieg im letzten Gruppenspiel gegen die USA, der ihnen das vermeintlich einfache Halbfinal-Los gegen die Schweiz bescherte, mit jeder Pore Überheblichkeit. «Die Schweiz? Jaja, ein sehr gutes Team.» «Oh ja, wir haben sehr viel Respekt.» «Nein, nein, die unterschätzen wir nicht. Auf gar keinen Fall. Ha, ha, ha.»
Hochmut kommt vor dem Ausscheiden im Viertelfinal. Die Schweizer haben zum ersten Mal von der ersten bis zur letzten Minute wie ein Titan und mit dem Selbstvertrauen eines Titanen gespielt. Der frühe Rückstand (achte Minute) vermag nicht einmal die Oberfläche der Zuversicht zu ritzen. Das Spiel der Schweizer läuft weiter wie eine unaufhaltsam rollende Maschine. Und die sich anbahnende Wende ist förmlich zu spüren. Sie kommt unerbittlich und unaufhaltsam. Die arroganten Finnen fühlen sich nach dem 1:0 zu sicher und werden passiv. Dass eine Wende heraufzieht, merken sie nicht. Weil es für sie völlig undenkbar ist, gegen die Schweiz einen WM-Viertelfinal zu verlieren. Ihr Spiel versickert immer mehr.
Die Tore, die Finnland schliesslich eine der schmählichsten Niederlagen des Jahrhunderts bescheren, erzielen die Schweizer im Stile der Grossen. Furchtlos und direkt. Kaltblütig und unerbittlich. Enzo Corvi versenkt den dritten Nachschuss zum 1:1. Joël Vermin lässt sich auf dem Weg zum Netz nicht beirren und trifft zum 2:1. Das 3:1 ist dann bereits spielerisch brillant, als gäbe es nichts Einfacheres, als gegen Finnland in einem K.o.-Spiel ein Tor zu zelebrieren.
Natürlich geht es nicht einfach so weiter. Die Reaktion des Gegners kommt. Wie sich zeigen wird, zu spät. Erst die Vierminutenstrafe (hoher Stock) von Michael Fora ermöglicht den Finnen den Anschlusstreffer zum 3:2 (49. Minute). Aber ein finales spielerisches Feuerwerk können sie nicht mehr zünden. Ihre Bemühungen ähneln dem Bauer, der die Stalltüre erst zusperrt, wenn die Pferde längst davongestoben sind.
Die Schweizer sind inzwischen selbstsicher und kräftig genug, um auch dem Druck eines grossen Gegners standzuhalten und sich immer wieder mit Gegenangriffen zu lösen. In den letzten zehn Minuten werden sie zwar dominiert, aber nie aus dem Gleichgewicht gebracht. Selbst in der hektischen Schlussphase mit dem üblichen Prozedere (Torhüter raus, Time-Out 28 Sekunden vor Schluss) haben die Schweizer nach wie vor die besseren Torchancen. Sie sind so gefestigt, dass eine sehr gute Leistung von Leonardo Genoni reicht – es braucht für einmal keinen Torhüter, der «auf dem Kopf» stehen muss, um einen historischen Triumph zu vollenden.
Ein neues Zeitalter? Ja, so ist es. So wie der «grantige» Sean Simpson die «alte Zeit» mit wenig NHL, wenig Talent und viel Taktik mit der Silber-WM von 2013 krönte, so hat nun der charismatische Kommunikator Patrick Fischer die neue, aufregende Zeit mit viel NHL, viel Talent und etwas weniger Taktik eröffnet.
Gute Nationaltrainer und gute Spieler sichern den Klassenerhalt. Gute Nationaltrainer und grosse Spieler schaffen problemlos den Viertelfinal-Einzug. Aber nur grosse Nationaltrainer mit grossen Spielern kommen in einen Halbfinal. Weil nur grosse Trainer grossen Spielern das perfekte Spiel ermöglichen. Und gegen Finnland ist den Schweizern zum entscheidenden Zeitpunkt des Turniers das perfekte Spiel gelungen.
Ist also aus dem Zauberlehrling Patrick Fischer ein Magier, ein grosser Nationaltrainer (nicht Klubtrainer) geworden? Ja. Patrick Fischer ist jetzt ein grosser Nationaltrainer (nicht Klubtrainer). Punkt. Die Schweiz steht zum dritten Mal nach 1998 und 2013 im WM-Halbfinal. Fischer hat nicht nur aus den besten Einzelspielern, die wir je hatten, ein Team geformt. Nun ist ihm auch die Feinabstimmung gelungen – der Sieg gegen Finnland war die perfekte Mischung aus taktischer Disziplin und mutigem Sturmlauf.
Morgen Samstag treffen die Schweizer im Halbfinal mit Kanada auf einen Gegner, der nicht besser ist als Finnland und mit der Wiederholung der gestrigen Leistung besiegt werden kann.
Kanada zelebriert spektakuläres «Spengler-Cup-Hockey». Vorwärts beinahe unwiderstehlich. Connor McDavid ist mutmasslich der schnellste Stürmer der Welt und führt die teaminterne Skorerliste mit fünf Toren und elf Assists an. Ein Stürmer, den die Schweizer nicht aufhalten können? Ach was. Finnlands Sebastian Aho war noch besser: neun Tore und neun Assists. Er musste sich gegen die Schweiz mit einem Assist begnügen.
Das ist eben das neue Zeitalter. Mit dem besten WM-Team aller Zeiten sind die Schweizer nicht mehr Aussenseiter. Sie waren es nicht gegen Finnland. Sie sind es nicht gegen Kanada. Deshalb ist am Samstag schon wieder ein schöner Tag, um Geschichte zu schreiben.