Gottéron scheitert nie ruhmlos, Gottérons Scheitern ist immer dramatisch. Das gehört einfach zur DNA dieses Klubs. Deshalb ist Gottéron Kult. So war es unter anderem auch bei den drei Finalniederlagen in den 1990er-Jahren mit Slawa Bykow und Andrej Chomutow. Und so ist es natürlich auch jetzt.
Vier Spiele, vier Niederlagen. Das tönt nach Schmach und Versagen. In Tat und Wahrheit ist es ein Untergang mit wehenden Fahnen: Dreimal hat Gottéron in der Verlängerung 2:3 verloren. Chancenlos war die Mannschaft erst im letzten Spiel im Hallenstadion, das mit 2:6 endete.
Die Niederlagen waren dramatisch und der Zorn der Fans richtet sich auch gegen die Schiedsrichter. Obwohl alles mit rechten Dingen zu und hergegangen ist. Ohne noch einmal auf alle Details einzugehen: Die Aufregung (u.a. ein vermeintliches Siegestor in der Verlängerung annulliert) war und ist gross genug, dass sich der Unmut nach aussen und nicht nach innen richtet.
Trainer und Sportchef Christian Dubé ist unbestritten. Sein Vertrag läuft im Frühjahr 2023 aus. Präsident Hubert Waeber sagt aber noch am Abend nach dem Ausscheiden im Hallenstadion, dass er zeitnah die Verhandlungen mit Christian Dubé aufnehmen werde. «Wir haben ein Interesse an einer frühzeitigen Klärung. Es bringt nichts, mit den Verhandlungen bis im Herbst oder gar im Dezember zu warten. Zu diesem Zeitpunkt muss bereits die Planung für die neue Saison laufen.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Für eine kontinuierliche Weiterentwicklung ist es sinnvoll, früh die Trainer- und Sportcheffrage zu klären. Wir dürfen davon ausgehen, dass der erst in einem Jahr auslaufende Vertrag mit Christian Dubé vorzeitig um zwei weitere Jahre verlängert wird.
Dem charismatischen Kanadier hat die Doppelfunktion nach der Entlassung von Trainer Mark French am 4. Oktober 2019 übernommen und die Mannschaft kontinuierlich besser gemacht: 2020 Rang 7 (Playoffs abgesagt), 2021 Rang 3 (im Viertelfinal gegen Servette gescheitert) und nun Rang 2 und den Halbfinal gegen die ZSC Lions verloren. Nichts spricht also gegen eine vorzeitige Prolongation des Arbeitsverhältnisses.
Warum ist Gottéron so knapp gescheitert? Natürlich darf die Erklärung nicht fehlen, dass der Gegner eben mehr Geld zur Verfügung habe (die Budget-Ausrede) und deshalb die Kadertiefe grösser sei. Christian Dubés Anmerkung, dass in diesem Jahrhundert am Ende immer die Mannschaften mit den grössten Budgets den Titel holen (Bern, Lugano, Zug, Davos, ZSC Lions) ist richtig. Romantiker sagen zwar gerne, entscheidend sei der Aufbau einer Siegerkultur. Nicht das Geld. Der Erfolg sei nicht käuflich. Das stimmt durchaus. Aber richtig ist eben auch: Ohne Geld ist der Aufbau einer Siegerkultur nicht möglich.
Christian Dubé sagt, dass Gottéron zwei Millionen Franken für ein Meisterbudget fehlen. Auf die Frage, was er denn auf nächste Saison tun würde, wenn er zwei Millionen bekommen würde, antwortet er geistesgegenwärtig: «Es ist zu spät, für nächste Saison wäre auch mit zwei Millionen nichts mehr zu machen …» Für den Transfermakt gilt: «Les jeux sont faits, rien ne va plus!» Korrekturen sind allenfalls noch bei den Ausländerpositionen möglich. Präsident Hubert Waeber lässt offen, ob Gottéron nächste Saison das Kontingent von sechs Ausländer nützen wird. Kein Schelm, wer sagt: Natürlich wird Gottéron nächste Saison mit sechs Ausländern antreten.
Womit wir kurz vom Thema abgekommen sind. Warum also ist Gottéron gescheitert? Es war eigentlich ganz ähnlich wie in den 1990er-Jahren mit den verlorenen Finals von 1992, 1993 und 1994. Der Torhüter war nicht gut genug. Mit etwas Boshaftigkeit dürfen wir sagen: Reto Berra war nicht besser als damals Dino Stecher. Hubert Waeber sagt, das sei nicht nur eine boshafte, sondern gar eine bösartige Analyse. Er erinnere sich noch gut an Dino Stecher. Ein guter Goalie, aber mit schwachen Nerven. Reto Berra habe ein anderes Format.
Hat er das? Nein. Gottéron hätte gegen die ZSC Lions nur mit einem grossen Torhüter eine Chance gehabt. Reto Berra war ein guter, aber kein grosser Goalie. Was ist der Unterschied zwischen gut und gross? Ein guter Torhüter rettet seine Mannschaft dreimal in die Verlängerung. So wie es nun Reto Berra getan hat. Ein grosser Torhüter gewinnt für seine Mannschaft dreimal eine Verlängerung. Reto Berra war nicht gut genug, um Gottéron in den Final zu hexen. So wie Dino Stecher Gottéron nicht zum Meister machen konnte. Reto Berra ist Gottérons Dino Stecher des 21. Jahrhunderts.
Bei Gottéron sind die Lichter im vierten Spiel nach 25 Minuten und 51 Sekunden beim Stand von 2:1 für die ZSC Lions ausgegangen. Chris DiDomenico, der mit Abstand dominanteste, beste und von den Zürchern während des Halbfinals am härtesten «bearbeitete» Einzelspieler, trifft Verteidiger Patrick Geering mit einem Check gegen das Knie. Der ZSC-Captain hat riesiges Glück und bleibt unverletzt. «DiDo» wird in die Kabine geschickt.
Der Restausschluss ist berechtigt. Es ist ein hässliches Foul. Den guten Schiedsrichtern bleibt gar keine andere Wahl als ein Restausschluss: Eine Fortsetzung der Partie wäre für Gottérons Goldhelm zu einem schier unerträglichen «Spiessrutenlauf» geworden und die gegnerischen Spieler hätten ihn spätestens, als die Partie entschieden war, ordentlich gezüchtigt.
Die TV-Bilder zeigen, dass der Kanadier den Check gegen Patrick Geering sucht und diesen Zusammenprall so in Kauf nimmt. Er weiss, was er tut. Auch deshalb ist der Restausschluss gerechtfertigt. Es ist eine Aktion im Niemandsland zwischen Leidenschaft, intensivem Spiel und heiligem Zorn, gewürzt mit Rücksichtslosigkeit. Chris DiDomenico hat sich für seine Aktion entschuldigt. Die Männer beider Teams sind nach dem Spiel ohne Groll im Herzen nach Hause gegangen.
So verabschiedet sich der eigenwillige Kanadier im Hallenstadion in der Rolle des tragischen, unverstandenen Helden von Gottéron. Die nächsten zwei Jahre wird er für den SCB stürmen. Seine Energie, seine Leidenschaft, seine Unberechenbarkeit und sein Genie werden Gottéron bitterlich fehlen. Er wechselt ausschliesslich des Geldes wegen nach Bern. Er ist 33 und muss schauen, dass er etwas für die alten Tage beiseitelegen kann. Christian Dubé war nicht bereit, seine Lohnvorstellungen zu erfüllen. SCB-Sportchef Andrew Ebbett hingegen schon.
Und die Frage wird bereits diskutiert: «Funktioniert» Chris DiDomenico in Bern unter dem schwedischen Trainer Johan Lundskog so gut wie unter Christian Dubé? Er war in der Qualifikation Gottérons bester Skorer und meistbestrafter Spieler – und beides nun auch in den Playoffs. Er ist sogar insgesamt der bisher beste Skorer und meistbestrafte Spieler der Playoffs 2022.
Christian Dubé sagt auf die Frage, wie er «DiDo» geführt habe: «Wie ein Vater.» Wie müssen wir uns das vorstellen? «Dass man manchmal streng sein muss und manchmal verständnisvoll.» Aha. Dann wird seine Belastung also nächste Saison geringer sein. Christian Dubé versteht diese Bemerkung nicht ganz, ahnt aber, dass sich dahinter wohl wieder eine Boshaftigkeit verbirgt. Nun, nicht unbedingt: Christian Dubé war diese Saison Sportchef, Trainer und Vaterfigur für seinen wichtigsten Spieler. Nächste Saison ist er nur noch Trainer und Sportchef. Er hat keinen Spieler mehr, den er führen muss wie ein Vater.
Chris DiDomenico bekommt nun in Bern einen schwedischen Vater. Eine reizvolle Vorstellung. Der Hockey-Romantiker sieht den kanadischen Leitwolf schon in der Rolle von Nils Holgersson aus einer der wunderbaren Geschichten der schwedischen Literatur-Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf.
Hubert Waeber sagt auf eine entsprechende Frage, er wäre bereit, «DiDo» wieder zurückzunehmen, wenn er in Bern nicht glücklich werde. Gottérons Vorsitzender hat einen feinen Sinn für Humor und Ironie und hat es wohl nicht ganz ernst gemeint. Oder etwa doch?
Für Gottéron gilt mehr noch als für alle anderen Klubs: «On est jamais au bout des surprises!»