Der Ausflug nach Tampere ist nicht nur eine Reise in die Kälte, in eine Winterwunder-Landschaft, in eine lautlose Stadt, in der eine Schneedecke den Lärm verschluckt. Es ist der Versuch, im Norden die Wahrheit über Zug zu finden. Eine Wahrheit, die wir in der laufenden Meisterschaft nicht erkennen können.
Der Meister dominiert unsere Liga nicht mehr. Aber wen kümmern schon Niederlagen gegen Lausanne, Bern, die Lakers, Lugano, Ambri, Biel, Langnau oder Kloten? Eigentlich niemanden. Alle wissen: Wenn es wirklich drauf ankommt, dann rockt es. Egal, ob der Titelkampf auf Rang 1 oder über den Umweg der Pre-Playoffs beginnt. Wir sind Doppel-Meister. Wir wissen, wie entscheidende Spiele gewonnen werden. Haben wir es nicht im letzten Frühjahr der ganzen Welt im Final gegen die ZSC Lions nach einem 0:3-Rückstand bewiesen? Eben.
Aber werden die Zuger diese Magie, dieses Selbstvertrauen wieder finden? Sind sie tatsächlich nach wie vor dazu in der Lage, umzuschalten, wenn es wirklich zählt? Mental «unzerstörbar»?
Die Champions Hockey League ist das grosse Ziel. Logisch. Wer Meister der Schweiz ist, will auch Meister aller europäischen Ligen werden. Die Zuger bekennen sich zur Champions League. Von ganz oben in der Chefetage bis hinunter in die Kabine.
Das bedeutet aber auch: Wenn wir die Champions League unbedingt gewinnen wollen und sind dazu nicht in der Lage – werden wir in den Playoffs dazu in der Lage sein, Spiele zu gewinnen, die wir unbedingt gewinnen müssen?
Tappara Tampere (Tappara = Axt) ist der Verlustpunkt-Leader der Liga des Weltmeisters und Olympiasiegers. Ein grosser, ein übermächtiger Gegner? Nein. Die Finnen haben insgesamt weniger Talent als die Zuger. Aber sie sind taktisch clever und diszipliniert.
Oft wird diskutiert, ob die finnische oder die schwedische Liga besser sei als unsere National League. Die Diskussion ist falsch. Das Klubhockey ist in Finnland und Schweden nicht besser oder schlechter. Es ist anders. Viel strukturierter und dadurch langweiliger. Die National League ist die spektakulärste europäische Liga. Viele der besten Finnen ausserhalb der NHL – Weltmeister und Olympiasieger – spielen bei uns. Nicht in der heimischen Liga. Bei uns wird das schnellste, kreativste und unterhaltsamste Hockey zelebriert. Wenig Schablone, viel taktische Freiheit.
Die Bewunderung für unsere höchste Liga, für Zug ist auch hier in Tampere gross. Für Tappara Tampere ist Zug ein Titan. Voller Ehrfurcht erwähnen die finnischen Gewährsleute allein den finanziellen Unterschied: Der finnische Meister kann knapp 5 Millionen Euro für Saläre ausgeben und eine ganze Reihe von Spielern verdienen nicht einmal 50'000 Euro pro Saison. Zug hat ein Salärbudget von weit über 10 Millionen und für 50'000 Franken im Jahr spielt in unserer ganzen Liga kein Profi.
Von der ersten Sekunde an ist in diesem Halbfinal bis unters Stadiondach zu spüren, wie sehr sich die Finnen bewusst sind, dass sie nur mit hundertprozentiger Konzentration bestehen können. Und sie haben Glück: Gleich mit dem ersten Schuss gelingt nach 72 Sekunden das 1:0. Sie müssen ihr Spiel bis zum Ende nie mehr öffnen. Sie können sich darauf konzentrieren, das Tempo zu verlangsamen, die Räume zu schliessen und mit schnellen Kontern offensive Nadelstiche zu setzen. Die Rechnung geht hundertprozentig auf. Sie gewinnen 2:0.
Finnlands modernster Hockey-Tempel mit einem Fassungsvermögen von 13'455 Plätzen ist mit 5515 Zuschauenden nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Das mag eine schäbige Kulisse sein. Aber sie hilft dem Heimteam. Die Arena ist kein Hexenkessel. Die gut 60 im Charterflug mit dem Team mitgereisten Fans aus Zug sind phasenweise gleich laut wie die einheimischen Anhänger.
So kommen nie richtig Emotionen auf. Und das hilft den Finnen, die alles daransetzen, dass die Partie so langsam und ruhig und in geordneten Bahnen verläuft wie nur irgendwie möglich. Nur ja einen offensiven Schlagabtausch vermeiden.
Aber letztlich ist das Schablonenhockey des finnischen Meisters nur erfolgreich, weil wir nie das wahre Zug sehen. Der Meister findet seine Magie nicht.
Was ist die Magie des Meisters? Die Dynamik, die Genauigkeit, die Schnelligkeit und die spielerische Leichtigkeit. Die Zuger können fliegen.
Aber die Zuger fliegen in Tampere nicht übers Eis. Sie gehen zu Fuss. Sie stehen nicht auf den Zehenspitzen. Sie laufen zu oft sogar hinterher und handeln sich so zu viele Strafen ein (12 Minuten, doppelt so viele wie der Gegner). Wir sehen ein gewöhnliches, berechenbares, leicht unter Kontrolle zu haltendes Zug im spielerischen Werktagsgewand. Ohne magische Momente. Was ist ein magischer Moment?
Es gibt eine Szene, die uns die verlorene Magie erklärt. Kurz nach «Halbzeit» (33. Minute) trifft Niko Ojamäki im Powerplay mit einem Direktschuss zum 2:0. Torhüter Leonardo Genoni liest das Spiel und verschiebt sich rechtzeitig in die Schussbahn. Aber es fehlen Sekundenbruchteile, um den Puck abzuwehren. Der grosse, der wahre, der magische Leonardo Genoni hätte diesen Puck noch abgewehrt.
Trainer Dan Tangnes ist kein «Drama King». Er ist zwar nicht zufrieden mit seinem Team und die Kabinentüre blieb eher länger zu als sonst üblich. Aber er hütet sich davor, die Situation zu dramatisieren. Tatsächlich wird ein wahres Zug im spielerischen Sonntagskleid dazu in der Lage sein, am nächsten Dienstag im Rückspiel (live SRF2) den 0:2-Rückstand wettzumachen und den Final zu erreichen. Erst recht, weil die Arena in Zug im Vergleich zum Hinspiel ein Tollhaus sein wird.
Dan Tangnes sagt: «Es ist das Spiel der letzten Chance, eine nächste bekommen wir nicht mehr.» Ein wenig sei die Situation vergleichbar mit dem letzten Final nach der dritten Niederlage und einem 0:3-Rückstand. «Wir haben nichts mehr zu verlieren und alles zu gewinnen.»
Zugs Trainer weiss: Gelingt im Rückspiel die Wende, dann ist die Welt wieder in Ordnung. Dann wissen alle: Wir sind immer noch gut genug, um zu gewinnen, wenn wir gewinnen müssen. Die Zweifel, die sich inzwischen in die Köpfe und ins Spiel eingeschlichen haben, werden sich für den Rest der Saison auflösen wie Morgennebel.
Aber wenn die Wende nicht gelingt, wenn die Zuger die Finalchance gegen diese gewiss tüchtigen, aber spielerisch limitierten taktischen Schablonenschreiner vergeigen – dann nisten sich die Dämonen des Zweifels definitiv in der Kabine des Meisters ein. So gesehen sind die Zuger mit einem Bein in die Champions League-Falle getappt.
Eine solche Schlussfolgerung scheint Dan Tangnes denn doch zu dramatisch und er versucht, die Dinge etwas zu relativieren. Aber es gibt nichts zu relativieren. Wie wir es auch drehen und wenden: Scheitern gegen Tappara Tampere wäre weder der Unberechenbarkeit eines Spiels auf rutschiger Unterlage noch den Launen der Hockeygötter zuzuschreiben.
Es wäre das Scheitern. Es wäre das erste schmerzhafte Versagen seit dem Titelgewinn von 2021.