Eigentlich müssten die Verbandsgeneräle den Hockey-Göttern für einen Verteidiger wie Lian Bichsel auf den Knien danken. Er ist im Mai erst 20 geworden. Letzte Saison war er in der höchsten schwedischen Liga überragend. Der NHL-Erstrundendraft versucht nun in der Organisation der Dallas Stars einen Platz in der wichtigsten Liga der Welt zu erkämpfen.
Aber Lian Bichsel ist bis und mit der WM 2026 – also auch für das olympische Turnier 2026 – von Verbands-Sportdirektor Lars Weibel und Nationaltrainer Patrick Fischer aus dem Nationalteam ausgeschlossen worden.
Nicht etwa, weil er ein Hallodri wäre. Sondern weil der Musterprofi Aufgeboten für das U20-Nationalteam aus gut nachvollziehbaren sportlichen Gründen (Konzentration auf die Karriere im Erwachsenen-Hockey) nicht Folge geleistet hat. Selten hat eine sportliche Verbands-Entscheidung die Eishockey-Öffentlichkeit so aufgebracht.
Die vornehmste Aufgabe eines Verbandspräsidenten ist es, heikle Situationen mit Engagement, Fingerspitzengefühl und Bescheidenheit zu meistern. Er darf sich nicht in die tägliche Arbeit der Verbandsadministration oder der Sportabteilung einmischen. Dadurch würde er zum Störfaktor. Aber kraft der Autorität seines hohen Amtes ist er dazu in der Lage, als Vermittler Wogen zu glätten. Oder müsste dazu eigentlich in der Lage sein.
Die Hoffnungen waren also berechtigt, dass Stefan Schärer den «Fall Bichsel» im Rahmen eines «Friedensgipfels» im Sommer lösen wird. Zumal der Verbandsvorsitzende eine Handball-Vergangenheit hat. Mit André «Ändu» Bichsel, dem Vater von Lian Bichsel, spielte er sogar im Nationalteam. Tatsächlich hatte Stefan Schärer noch vor der Silber-WM in Prag angekündigt, sich um diese Angelegenheit zu kümmern.
Nun sind ein paar Monate ins Land gezogen. Am Wochenende stehen die ersten Länderspiele auf dem Programm und es ist Zeit, bei Stefan Schärer nachzufragen: Was haben Sie in der Sache erreicht? Die Antwort ist einigermassen ernüchternd. Nichts. Stefan Schärer sagt:
Und dann? Was ist dabei herausgekommen?
Das tönt nicht gerade nach einer engagierten Friedensmission. Nationaltrainer Patrick Fischer bestätigt auf Anfrage, dass es keine Versöhnung gegeben habe und die harsche Sanktion weiterhin in Kraft bleibe.
Der «Friedensgipfel» ist also gescheitert. Aber ist diese härteste Sanktion der Neuzeit gegen einen der besten jungen Spieler sinnvoll, der sich disziplinarisch und sportlich nichts hat zuschulden kommen lassen? Lian Bichsel bringt alle Voraussetzungen mit, um sich bis 2026 zu einem Leistungsträger der Nationalmannschaft zu entwickeln. Da die NHL ihre Profis freigibt, würde er fürs Olympiaturnier 2026 auf jeden Fall zur Verfügung stehen.
Patrick Fischer vermeidet es diplomatisch klug, auf solche polemischen Anmerkungen einzugehen und findet immerhin tröstliche Worte:
Wie verhärtet die Fronten in dieser Angelegenheit inzwischen sind, mag die Antwort von Lian Bichsels Manager Frédéric Holdener nach einer Bitte um Stellungnahme zeigen:
Stefan Schärer ist bei seiner bisher wichtigsten innenpolitischen Mission als Verbandspräsident also gescheitert. Mag sein, dass die grandiose Silber-WM der Demut und Kompromissbereitschaft allenthalben nicht förderlich war. Mag sein, dass Prinzipien – Aufgeboten für die Nationalteams ist auf allen Stufen Folge zu leisten, basta – Sinn machen.
Aber die Basis in der Schweiz ist mit 16'098 Junioren im Vergleich etwa zu Schweden (43'759) oder Finnland (35'457) schmal. Wir müssen zu jedem Talent Sorge tragen und diese Unversöhnlichkeit (oder ist es Arroganz?) im Umgang mit einem der talentiertesten Spieler irritiert.
Gehört denn nicht die hohe Kunst des Kompromisses und der Diplomatie zu den Erfolgsgeheimnissen der Eidgenossenschaft?
P.S. Nationaltrainer Patrick Fischer hat recht: Für Lian Bichsel bleiben trotz der Verbannung vom olympischen Turnier 2026 noch viele Möglichkeiten, um zu olympischer Ehre zu kommen: Die Schweiz will ja die Winterspiele 2038 organisieren. Lian Bichsel wird dann mit 34 im besten Verteidigeralter und – wenn die Hockey-Götter wollen – dazu in der Lage sein, unsere Nationalmannschaft als neuer Roman Josi vor eigenem Publikum zu einer Medaille zu führen. Dann wird es nach der Medaillenfeier rückblickend bei Diskussionen im TV-Studio mit Alt-Nationaltrainer Patrick Fischer versöhnlich heissen: Man habe zwar damals mit dem Ausschluss aus dem Nationalteam arg übertrieben und würde das heute nicht mehr so machen. Aber vielleicht habe es halt doch geholfen und nun sei ja alles gut gekommen …