Sagen wir es pathetisch. Um dieser grossen Viertelfinalserie gerecht zu werden. Im Buch der Bücher lesen wir: «Wen der Herr liebt, den züchtigt er.» (Sprüche 3, 12). Fast nur so lässt sich die Niederlage (2:3 n. V.) von den Bielern erklären.
Keine Frage, Kevin Schläpfer, der Trainer von Biel, ist ein Liebling von den Hockeygöttern. Er hat Wunder über Wunder vollbracht. Biel viermal vor dem Abstieg gerettet. Biel dreimal in vier Jahren in die Playoffs geführt. Das ging nicht ohne den Beistand von den Hockeygöttern.
Aber am Samstag sind ihm die Hockeygötter nicht mehr beigestanden. Deshalb haben die ZSC Lions in Biel in der Verlängerung 3:2 gewonnen. Vom Ende her, im Wissen um das Resultat, können wir sagen: na und? Es ist doch völlig normal, dass der Qualifikationssieger und Titelverteidiger reagiert und die Serie gegen den Achten auf der Tabelle ausgeglichen hat (je zwei Siege).
Aber der Sieg von den ZSC Lions ist alles andere als normal. Einmal mehr hatten die Zürcher allergrösste Schwierigkeiten. Ja, sie wankten. Aber sie fielen nicht.
Wir können natürlich als Entschuldigung für die Schwierigkeiten vom Meister anführen, dass die ZSC Lions ohne ihren Leitwolf Mathias Seger (er ist verletzt und steht an der Bande) nicht mehr die gleiche Mannschaft sind. Wir können auch erwähnen, dass Luca Cunti noch nicht in Bestform ist. Und auch sonst gäbe es noch viele Ausreden.
Aber am Ende vom Tag ist es das Duell unter den Bandengenerälen geworden. Wir sehen das ja auch optisch. Marc Crawford wirkt an der Bande ruhig und er ist weit davon entfernt nochmals auszurasten wie in der ersten Partie. Er lässt jetzt das Spiel mit dem emotionalen Feuer. Nach der samstäglichen Partie begnügte er sich mit einem Nadelstich. Er erklärte die einseitige Strafenbilanz (14 Powerplay-Minuten für Biel und nur 2 für seine Mannschaft) mit Schwalben von den Bielern. Eine Provokation. Die Zürcher hatten mehr Strafen, weil sie ihren Gegenspielern die meiste Zeit hinterherlaufen mussten. Die aktivere Mannschaft hat fast immer mehr Powerplays.
Kevin Schläpfer hingegen befeuert seine Spieler auf der Bank als temperamentvoller Bandengeneral mit dem Selbstvertrauen von Napoleon vor 1812. Das ist einigermassen erstaunlich. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Denn der grosse und charismatische Bandengeneral ist ja eigentlich Marc Crawford. Der Stanley-Cup-Sieger und NHL-Coach in diesem Jahr. Dagegen ist Kevin Schläpfer ein Zauberlehrling.
Es ist ja alleine schon eine wundersame Geschichte, dass Kevin Schläpfer auf Augenhöhe mit Marc Crawford steht. In der Saison, als der Kanadier seinen Stanley Cup holte (1995/96), erkannte Kevin Schläpfer in Lausanne, dass er als Stürmer für die NLA nicht taugt (30 Spiele/1 Tor) und setzte seine Karriere in der NLB fort und landete schliesslich nach einer Odyssee durch die zweithöchste Liga bei Biel. 1996 zu prophezeien Kevin Schläpfer werde dereinst in einer Playoff-Serie Marc Crawford erfolgreich herausfordern, war verrückter als heute die Prognose Roger Köppel werde einen Sitz im Bundesrat holen – für die Sozialdemokraten.
Kevin Schläpfer hat die richtige Taktik gefunden. Dominanz in allen drei Zonen. Also nicht das taktische Reduit von einem Aussenseiter. Sondern die freche Herausforderung mit einem Spiel auf Augenhöhe mit dem Titanen. Diese Serie unterscheidet sich deshalb fundamental von der Auseinandersetzung zwischen Bern und Lausanne. Lausanne versucht als Aussenseiter das Spiel zu «blockieren». Kevin Schläpfer hingegen beschleunigt das Spektakel. «Das ist meine Art Hockey zu spielen. Wir können doch nicht hinten warten, bis die Zürcher mit vollem Tempo kommen. Wir müssen diesen Gegner früh beim Spielaufbau stören.»
Die vom überraschenden Auftakterfolg (5:0 im ersten Spiel in Zürich) beflügelten Bieler wirken so, als seien sie ein paar Zentimeter grösser und ein paar Kilo schwerer und ein paar Stundenkilometer schneller und tragen das Spiel mit einem Selbstvertrauen sondergleichen in die gegnerische Zone. Sie laufen den ZSC Lions im besten Wortsinne davon.
So mutig wagt ein Aussenseiter nur zu spielen, wenn der Coach kein taktischer Hasenfuss ist. Sondern ein charismatischer Leitwolf wie Kevin Schläpfer. Auch in der Verlängerung liefen die Bieler noch einmal mit dem Mute von der Verzweiflung auf und davon und dominierten ihren Gegner – und kassierten doch das 2:3 (70.).
Titanen wie die ZSC Lions wissen, dass sie die Meisterschaft gewinnen können. Ob sie wollen oder nicht – sie beschäftigen sich mit höheren Zielen. Deshalb spielen sie im Viertelfinale selten oder nie ihr bestes Hockey. Der Aussenseiter hingegen schon. Er denkt nur an diese eine Serie und nicht über den Tag hinaus. Die Meister von 2013 (SCB gegen Servette) und 2014 (ZSC Lions gegen Lausanne) mussten im Viertelfinale über sieben Spiele. Die Liga ist so ausgeglichen wie nie. Das mag zu einem Teil die aktuellen Schwierigkeiten von Bern und Zürich erklären.
Die ZSC Lions haben am Samstag in Biel nicht gut gespielt – aber zum ersten Mal meisterlich. Ein Spiel auch dann gewinnen, wenn noch lange nicht alles so ist, wie es sein sollte – das ist meisterlich.
Die Zürcher können noch besser werden, die Bieler hingegen nicht mehr. Die Bieler haben bisher alles richtig gemacht, die Zürcher hingegen nicht. Marc Crawford ist noch nicht der charismatische Bandengeneral vom letzten Frühjahr und er kassierte drei Strafen wegen der Unordnung auf der Bank (zu viele Spieler auf dem Eis). In Biel erleben wir hingegen den besten Kevin Schläpfer. Marc Crawford ist noch lange nicht zufrieden mit seinem Team. Kevin Schläpfer hingegen sagt zu Recht, er sei stolz auf seine Mannschaft. Und trotzdem steht es bloss 2:2.
Das ist für Biel und für Kevin Schläpfer bitter. Denn wir sehen in diesem Viertelfinale das beste Biel seit dem Wiederaufstieg von 2008. Die Hockeygötter, die ihrem Liebling dreimal in die Playoffs geholfen haben, züchtigen ihn jetzt in den Playoffs.
Nach drei Partien führten die Bieler mit 2:1-Siegen und ein Ausscheiden vom Meister wäre eine Überraschung gewesen. Nun haben die Bieler ihre beste Saisonpartie 2:3 nach Verlängerung verloren und die Zürcher haben zum 2:2 ausgeglichen. Jetzt wäre das Ausscheiden vom Meister mehr als eine Überraschung. Es wäre ein Hockeyweltwunder. Der Kulminationspunkt in einem grandiosen Hockeydrama ist erreicht.