Der Stanley-Cup-Final von 2014 ist eine weitere bittere Niederlage für Kanada und ein Sieg für die NHL. Das «Big Business» Eishockey braucht die Präsenz in den grossen Medienmärkten der USA. Deshalb ist ein «Showdown» zwischen Teams aus New York und Los Angeles ein Traumfinale für die NHL.
Aber ein weiterer Albtraum für die Kanadier. Sie holten den letzten Stanley Cup 1993 (Montréal). Dass die meisten Helden Amerikaner sind, macht die Sache noch schlimmer: Alec Martinez, der als 17. Spieler seit 1918 den Cup durch einen Treffer in der Verlängerung sicherte, Captain Dustin Brown und Torhüter Jonathan Quick sind Amerikaner. Wenigstens ist ein Kanadier (Justin Williams) zum wertvollsten Spieler gewählt worden.
Dieser Stanley Cup-Final hat ein weiteres Mal gezeigt: Eishockey ist zwar Kanadas Nationalsport. Aber es wird durch und durch von US-Dollars regiert und auch der sportliche Einfluss der Amerikaner wird immer grösser. Das ist so, wie wenn die Deutschen immer mehr das Eidgenössische Schwingfest dominieren würden.
Die Dominanz der Los Angeles Kings zeigt, dass die riskante Strategie von NHL-General Gary Bettman aufgehen kann: Die Expansion der NHL in den «Sunbelt», in den Süden der USA. Der «Sunbelt» verzeichnet das grösste Wirtschaftswachstum, die grösste Bevölkerungszunahme und gilt deshalb als Zukunftsregion. Nur wenn Eishockey dort Fuss fassen kann, hat die NHL langfristig eine Chance, im US-Sportmarkt Football, Basketball und Baseball herausfordern zu können. Nach wie vor sind diese drei Sportarten mehrere Nummern grösser als Eishockey.
Durch Gary Bettmans Expansionsstrategie ist die NHL von 21 auf 30 Teams vergrössert worden. Die Eroberung des Südens hat spektakuläre Niederlagen gebracht. Wie der Konkurs der Phoenix Coyotes, der dazu führte, dass die NHL das Team übernehmen musste. Aber eben auch die Eroberung des südkalifornischen Marktes mit dem zweiten Triumph der Los Angeles Kings in drei Jahren.
Der Aufstieg der Los Angeles Kings ist eine Geschichte, die Hollywood nicht besser hätte erfinden können. Bis in die 80er-Jahre hinein ist die NHL eine kanadische Angelegenheit. Hin und wieder holt ein Team aus den USA den Stanley-Cup (Detroit, Chicago, Boston, Philadelphia, die New York Rangers). Aber das Mass aller Dinge bleiben die Montreal Canadiens und die Edmonton Oilers. Eishockey ist ein beschauliches Geschäft. Noch Ende der 80er-Jahre verdienen nur zwei NHL-Stars mehr als eine Million Dollar, Wayne Gretzky und Lemieux. Der Durchschnittslohn liegt bei 125 000 Dollar im Jahr.
Aber dann betritt bei den Los Angeles Kings Ende der 1980er-Jahre ein kleiner, dicker, aber charismatischer Schurke die Bühne. Bruce McNall, Münzensammler, Antiquitäten-Händler, Filmproduzent, Party-Löwe – ein «Mover und Shaker» im besten Wortsinne. Ohne ihn hätte es die NHL-Revolution, die Erweiterung auf 30 Teams, die Eroberung des «Sunbelts» in den USA, die wirtschaftliche und sportliche amerikanische Dominanz – und schliesslich die Triumphe der Anaheim Ducks und Los Angeles Kings nie gegeben.
Bruce McNall hat den Mut, in Los Angeles ins Hockeygeschäft zu investieren und löst damit eine Kettenreaktion und eine der grössten Revolutionen im nordamerikanischen Sportgeschäft aus. Er überredet Disney-General Michael Eisner zum Einstieg ins Hockeygeschäft (Anaheim Mighty Ducks, heute Anaheim Ducks, Stanley Cup-Sieger 2007) und orchestriert als Vorsitzender der NHL-Teambesitzer die Installierung von NHL-General Gary Bettman.
Diese Revolution beginnt in Los Angeles fast unbemerkt vom Rest der Hockeywelt im Januar 1988. Dr. Jerry Buss verkauft die Los Angeles Kings an Bruce McNall. Erstgenannter glaubt nicht mehr ans Hockeygeschäft. Die Los Angeles Kings sind 1967 in die NHL gekommen und spielen keine Rolle. Sie bescheren Dr. Buss Verluste, sie füllen die Arena nicht und resigniert sagt er einmal: «Es gibt in Los Angeles über eine Million Kanadier – aber die sind wohl hier, weil sie von Eishockey die Schnauze voll haben.»
Eishockey als Big Business in Südkalifornien? Da muss einer wohl verrückt geworden sein. Doch McNall ist keineswegs verrückt. Er hat viel Erfahrung im Showbusiness und weiss: Alles kann Big Business werden. Sogar Eishockey in Kalifornien, in Los Angeles, im Schatten von Hollywood. Aber wenn es rocken und rollen soll, dann braucht es einen Superstar. Nicht irgendeinen, sondern den grössten aller Zeiten.
Die Liebe hilft ihm: Das Hollywood-Sternchen Janet Jones erobert das Herz von Kanadas «Hockeygott» Wayne Gretzky. Im Sommer 1988 wird geheiratet. Sie möchte in Los Angeles leben, er in Edmonton bleiben. Aber Edmontons Besitzer Peter Pocklington braucht Geld. «Money talks.» Am 9. August 1988 holt Bruce McNall Gretzky in Edmonton aus einem laufenden Vertrag heraus nach Los Angeles.
Es ist eines der grössten Tauschgeschäfte aller Zeiten im nordamerikanischen Sport-Business. «The Trade» bringt Gretzky, McSorley und Krushelnyski nach Los Angeles und die Oilers bekommen im Gegenzug Gelinas, Carson, drei Draftrechte und 15 Millionen Dollar. Vergeblich versuchen Politiker in Kanada dieses Tauschgeschäft zu verhindern. Das «Journal» in Montreal druckt die grösste Schlagzeile seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. «The Edmonton Journal» macht auf Seite eins auf, und unten auf der Frontseite findet sich ein kleines Kästchen: «Weitere Geschichten finden Sie auf den Seiten 2, 3, 4, 5, 6, 11, 18, 19, 23, 30, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 46 und 47.»
Gretzky und Jones sind übrigens auch heute noch glücklich verheiratet und haben fünf Kinder. Der ehemalige Hockeystar hat sich nach seinem missglückten Einstieg als Coach bei Phoenix ganz aus dem Hockeygeschäft zurückgezogen und lebt mit seiner Familie in Los Angeles.
Mit Gretzky wird Eishockey in Kalifornien und in den USA tatsächlich «Big Business». Innerhalb von sieben Jahren steigt die Zahl der Dollar-Millionäre von zwei auf 184. Die NHL wird nach und nach auf 30 Teams erweitert, der Durchschnittslohn explodiert auf 1,6 Millionen Dollar und die Anzahl der Dollarmillionäre auf über 400.
Der Boom, den McNall ausgelöst hat, überfordert schliesslich die ganze Liga. Im Sommer 2004 wird die Notbremse gezogen: Die NHL-Teambesitzer setzen in einer erbitterten Auseinandersetzung gegen die Spielergewerkschaft eine Salärobergrenze durch («Salary Cap»). Die ganze Saison 2004/05 fällt diesem Streit zum Opfer und auch die Verlängerung des Gesamtarbeitsvertrages kostet einen Teil der Saison 2012/13. Bis heute ist die NHL die einzige Profiliga in Nordamerika, die auf diese Weise eine ganze Saison verloren hat.
Und was ist aus Bruce McNall geworden? Einer der meistbewunderten Unternehmer Kaliforniens wird 1994 als Hochstapler, als Betrüger, als Schurke entlarvt und landet im Knast. Er hat unter anderem die Bank of America mit faulen Krediten um 236 Millionen Dollar erleichtert und letztlich mit diesem Geld den Hockey-Boom auf Pump angefacht.
Die Los Angeles Kings geraten in grösste wirtschaftliche Schwierigkeiten und müssen Konkurs anmelden. 1995 kauft die Anschutz-Gruppe das Unternehmen, baut eine neue Arena und bringt es nach und nach – auch dank Hilfe der Coaches Andy Murray (ex Kloten, Zug, ZSC und Lugano) und Marc Crawford (heute ZSC) – wieder auf Kurs. Aber nach dem Final von 1993 werden die Playoffs bis 2009 insgesamt elfmal verpasst.
Am 9. Januar 1997 wird der damals 46-Jährige Bruce McNall schliesslich zu fünf Jahren und zehn Monaten Zuchthaus und fünf Millionen Dollar Busse verurteilt. 2001 wird er wegen guter Führung vorzeitig entlassen und inzwischen hat er auch ein Buch über sein bewegtes Leben geschrieben: «Fun while it lasted. My Rise and Fall in the Land of Fame and Fortune.»
Und jetzt, 26 Jahre nach seinem verrückten Einstieg bei den Los Angeles Kings, 21 Jahre nach dem verlorenen Stanley Cup-Final gegen Montreal und 13 Jahre nach der Entlassung aus dem Gefängnis kann McNall bereits den zweiten Stanley-Cup-Sieg seines ehemaligen Teams feiern. Den zweiten Stanley Cup für das «Hollywood des Hockeys». Bruce McNall hatte doch recht: Ein Hockey-Unternehmen kann auch in Los Angeles erfolgreich sein.
Dass Captain Dustin Brown zum zweiten Mal in drei Jahren den Stanley Cup in die Höhe stemmen darf, dass die Los Angeles Kings 2012 und 2014 triumphieren, zeigt uns eine Parallele zu den ZSC Lions. Auch die Zürcher haben 2012 und 2014 die Meisterschaft gewonnen.
Zürich ist der wichtigste Medien- und Wirtschaftsstandort der Schweiz und das Schweizer Eishockey braucht die Präsenz im Markt Zürich so, wie die NHL die Präsenz im Markt Los Angeles. Und Dustin Brown hat sogar ein glanzloses ZSC-Gastspiel in der Lockout-Saison 2012/13 (16 Spiele/8 Tore/5 Assists) hinter sich.
Auch die ZSC Lions waren, wie die Los Angeles Kings, jahrzehntelang sportlich und wirtschaftlich erfolglos. So wie es in Los Angeles letztlich den Milliardär Philip Anschutz brauchte, um die Kings wirtschaftlich und sportlich zum mächtigsten Team der Liga zu machen, so benötigten die Zürcher den Milliardär Walter Frey, um die Schweiz und Europa zu erobern.
Und so wie die Los Angeles Kings die NHL-Revolution im «Sunbelt» ausgelöst haben, so zettelten die ZSC Lions (bzw. der ZSC) einst in der Schweiz eine ganz ähnliche Revolution an. In den 1930er Jahren war der ZSC der erste «Flachland-Meister» und brachte Eishockey aus den Bergen in die urbanen Zentren. Die wichtigste Voraussetzung, um aus unserem Eishockey «Big Business» auf Augenhöhe mit dem Fussball zu machen.