Patrick Fischer – ein Hockey-Indianer auf dem «Hünggigütsch»?
Normalerweise wird der Nationaltrainer nach einem Spiel zum Spiel und Spielern befragt. Erst recht im November oder Dezember, wenn das Verbandsleben noch ein beschauliches ist. Ob Sieg oder Niederlage im Rahmen der «Euro Hockey Tour» gegen Finnland, Schweden und Tschechien ist dem Eishockey-Publikum eigentlich einerlei.
Aber in Tampere interessiert am spielfreien Freitag primär eines: Verlängert Patrick Fischer oder geht er Ende Saison? So viel Aufregung war im November während der ganzen zehnjährigen Amtszeit von Patrick Fischer noch nie, seit watson publik gemacht hat, dass Verbands-Sportdirektor Lars Weibel den Auftrag hat, die Zukunft des Nationaltrainers – das Mandat läuft Ende Saison aus – in nächster Zeit zu regeln.
Personenkult wie im Fussball
Für einmal gibt es um den Hockey-Nationaltrainer einen ähnlichen «Personenkult» wie um seinen Amtskollegen im Fussball. Charismatische Nonkonformisten sind beide. Obwohl die Ausgangslage eine unterschiedliche ist, lohnt sich allein schon der Unterhaltung wegen ein Vergleich mit dem Theaterdonner um die letzte Verlängerung mit Murat Yakin.
Im März 2024 liegt dem Fussball-Nationalcoach vor der EM (Euro) eine unterschriftsreife Verlängerung um zwei Jahre bis 2026 vor. Ähnlich wie im Hockey der Verband vor dem Olympischen Turnier im Februar und der Heim-WM im Mai die Nationaltrainerfrage früh regeln will, möchten die Fussball-Verbandsgeneräle vor dem europäischen Titelturnier im Juni und Juli die brisanteste Personalfrage klären.
Doch Murat Yakin unterschreibt nicht. Das heisst: Er fährt zur EM ohne Gewissheit zu haben, wie, ob und wo es für ihn weitergehen wird. Er pokert hoch – und gewinnt. Die Schweizer begeistern bei dieser EM wie noch selten, kippen die Italiener aus dem Wettbewerb (!) und kommen bei der Penalty-Niederlage gegen England dem ersten Halbfinal eines Titelturniers so nahe wie nie seit 1924. Erst am 15. Juli, kurz nach dem Turnier verlängert der Nationaltrainer bis 2026. Und sicherlich nicht zu schlechteren Konditionen.
Er versteht es zu pokern
Patrick Fischer ist ein passionierter Pokerspieler. Allerdings war er in der Vergangenheit mit drei WM-Finals erfolgreicher als Murat Yakin und kann mit einem Vertragspoker – die Unterschrift bis nach der Heim-WM im Mai verweigern – nichts mehr gewinnen.
Ein Pokerspiel lohnt sich für ihn eigentlich nicht. Er würde bloss seine Dienstherren beim Verband unnötig gegen sich aufbringen.
Aber immerhin wartet er mit der Verlängerung (oder Nichtverlängerung) ein wenig zu und sorgt so für gute Unterhaltung im sonst langweiligen Nationalmannschafts-November. Und die Aufmerksamkeit für seine Person, verbunden mit der verdienten Anerkennung geleisteter grandioser Dienste dürfte ihm schmeicheln und zu seiner guten Laune hier in Tampere beitragen.
Falls es einen verlässlichen, diplomierten und erfolgreichen Wahrsager gibt, dann sollte er sich doch umgehend beim Eishockey-Verband melden. Er kann einen Beitrag zur zügigen Erledigung dieses Geschäftes leisten. Womit wir beim hohen Unterhaltungswert sind.
Die Frage nach dem Wahrsager
Patrick Fischer ist ein begabter Kommunikator mit Sinn für Selbstironie und kann mit der Fragerei nach seiner Zukunft gut jonglieren. Er macht neben den in einem solchen Fall gängigen Aussagen – dass er den bestmöglichen Job habe, dass die Zusammenarbeit in den zehn Jahren eine vorzügliche war und dass er wisse, dass bald eine Entscheidung erwartet werde – eine interessante Bemerkung: «Ich will herausfinden, wie ich mich Ende Mai fühlen werde. Das ist für meine Entscheidung wichtig.»
Ende Mai – das ist nach der Heim-WM in Zürich und Fribourg. Tja, wie wird er sich dann fühlen? Alles ist möglich. Die Schweiz kann im Viertelfinale scheitern oder Weltmeister werden. Wird der Nationaltrainer also dann geschmäht oder als Held gefeiert? Das wissen die Götter. Aber sie sagen es nicht.
Also wird Patrick Fischer von einem etwas vorwitzigen Medienvertreter hier in Tampere gefragt, ob er in der Sache einen Wahrsager konsultiere. Er kenne sich doch mit indigenen Kulturen aus, die ja uralte wahrsagerische Rituale praktizieren. Da muss er denn doch lachen und sagt: «Das stimmt.»
Es gebe bei den Indianern ein Ritual, bei dem einer für vier Tage ohne zu essen und zu trinken und nur einer Decke zum Schlafen auf einen Berg steige, bewacht von einem Freund, der dafür sorgt, dass er nicht von Bären attackiert werde. «Nach diesen vier Tagen hat der Betreffende Klarheit über seine Zukunft. Vielleicht sollte ich also auf einen Berg steigen…»
Diese Vorstellung ist wahrlich reizvoll und hätte selbst Karl May zu einem Hockey-Abenteuer-Roman inspiriert. Der Nationaltrainer steigt auf den Hünggigütsch, den höchsten Punkt des Zugerberges (1039 Meter), verbringt dort vier Tage als Eremit (Bären muss er keine fürchten), steigt dann vom Berg herab, begibt sich unverzüglich an die Chamerstrasse 176 in Zug ins Büro seines Freundes und Beraters Daniel Giger (51) und verlängert. Oder eben nicht. Verlängert er mindestens um zwei weitere Jahre, dann hat er sogar den «ewigen» Amtsdauer-Rekord von Ralf Krueger (12 Jahre) egalisiert.
Bleibt noch die Frage: Was hätte es für Auswirkungen, wenn er nun vorzeitig seinen Abgang per Ende Saison verkündet? Wäre er dann beim Olympischen Turnier und bei der Heim-WM eine «lame Duck»? «Nein, das hätte wohl keinen Einfluss. Es könnte ja auch sein, dass ich verlängere und einige denken: Oh nein, jetzt bleibt er…»
Aber er hat doch niemanden in seinem Team, der so denkt. Oder? Mit feinem Sinn für Ironie sagt er: «Ich sehe nicht in die Köpfe der Spieler…»
