Wer eine lose Umfrage über die Qualität der Schiedsrichter macht – am Stammtisch, bei Sportchefs oder Managern –, bekommt in der Regel Antworten, die zwischen «miserabel» und «völlig ungenügend» tendieren. Die Beurteilung wird natürlich stark vom Ausgang des vorangehenden Spiels beeinflusst – alle sind ja mehr oder weniger Sympathisanten eines Klubs und alle gehören halt hin und wieder oder manchmal auch meistens zu den Verlierern.
Schiedsrichter müssen damit leben, dass sie nie gerühmt werden. Ein Stürmer, der das leere Tor verfehlt, ein Verteidiger, der den Puck ins eigene Tor lenkt, oder ein Goalie, der ein haltbares Tor kassiert, findet immer tröstende Worte und kann trotz allem mit wohlwollender Beurteilung rechnen. Einem Schiedsrichter wird ein Fehler hingegen nie verziehen.
Das gilt nicht nur in unserer National League. Das ist in mehr oder weniger starker Ausprägung in allen Ligen der Welt so.
Die Belastung der Schiedsrichter ist eher grösser als die der Feldspieler. Sie müssen 60 Minuten Eiszeit schultern und haben während eines Spiels rund 500 Mal eine Entscheidung zu treffen. Ungefähr alle sieben Sekunden eine. Ein Stürmer bekommt hingegen vielleicht drei Gelegenheiten, eine Chance zu vergeben. Ein Goalie kann, wenn es hochkommt, 20 Fehler machen, die zu einem Gegentor führen. Ein schöner Teil der Pucks prallt von ihm ja ab, ohne dass er etwas dafür tun muss.
Soweit eine leicht polemische, weder statistisch noch sportwissenschaftlich erhärtete Kurzanalyse. Vor dem Final ist es unumgänglich, die Schiedsrichter noch einmal zu thematisieren. Die Frage ist nämlich: Werden die Schiedsrichter eine entscheidende Rolle spielen?
Aus zwei Gründen ist eine Schiedsrichter-Diskussion nicht ganz auszuschliessen. Erstens, weil Lausanne nur eine Chance hat, wenn die Playoffs als Fortsetzung des Eishockeys mit anderen Mitteln verstanden werden. Und zweitens, weil Sportchef und Trainer bei den ZSC Lions im Falle einer Niederlage gute Ausreden brauchen.
Wenn die ZSC Lions ihr Talent und ihre Ausgeglichenheit ungestört entfalten, wenn Sven Andrighetto und Denis Malgin beispielsweise mehr oder weniger ungestört ihre Kreise ziehen können, dann werden sie den Final in weniger als sieben Spielen gewinnen. Aber das Regelwerk und die Intensität dieses Spiels begünstigen eher den Aussenseiter. Mit legalen körperlichen Angriffen, Einschüchterung und Provokationen ist es möglich, talentiertere Gegenspieler aus dem Konzept zu bringen. Eigentlich die einzige erfolgversprechende Strategie für den Aussenseiter Lausanne.
Um es polemisch auf den Punkt zu bringen: Lausanne hat dann eine Chance, wenn es gelingt, Denis Malgin und Sven Andrighetto zu frustrieren. Aber die Dosierung der Härte und der Provokationen muss stimmen. Im Idealfall gelingt es, den Gegner im Rahmen der Regeln zu provozieren, einzuschüchtern oder in der Konzentration aufs Spiel zu stören. Der Idealfall ist allerdings nicht immer möglich.
Schiedsrichterchef Andreas Fischer – mit dem gleichnachnamigen Nationaltrainer nicht verwandt – hat drei komplette Teams (zwei Head- und zwei Linienrichter) für den Final nominiert. Zwei werden voraussichtlich zum Einsatz kommen, eines bleibt in Reserve und bei jedem Spiel sitzen je ein Linien- und ein Headschiedsrichter als Ersatz auf der Tribüne. Um im Falle einer Verletzung sofort einspringen zu können. Dabei kommt Fischer entgegen, dass diese Saison keine Partien um den Auf-/Abstieg ausgetragen werden. Er kann seine besten Kräfte auf den Final konzentrieren.
Die Schiedsrichter waren diese Saison in der Qualifikation und in den Playoffs gut und berechenbar. Sie haben sich weitgehend an die von ihrem Chef vorgegebene Linie gehalten: Nur pfeifen, was man sieht, und nie, was man vermutet. Tönt simpel und seit Anbeginn der Zeiten die Erfolgsformel für gute Spielleitung. Aber nicht ganz einfach umzusetzen: Die Regelwidrigkeiten müssen auch gesehen und richtig beurteilt werden. Somit gilt auch hier: eine Frage der Dosierung, auch von dieser Seite: Mal ein Auge zudrücken? Strenger oder nachsichtiger sein?
Dass die Arbeit der Unparteiischen in diesen Playoffs gut war – die Anzahl Fehlentscheidungen oder Irrtümer sprengen die Grenzen der Toleranz nicht –, ist daran zu erkennen, dass sie bisher keine Rolle gespielt haben. Das grösste Kompliment.
Sobald sie nämlich eine Rolle spielen, geraten sie in die Kritik und werden von den Verlierern als Sündenböcke missbraucht. Eine gestaltende Rolle steht im grossen «Finaltheater» nur den Spielern und Coaches zu. Die Schiedsrichter haben lediglich für den reibungslosen Ablauf zu sorgen. Wie die Beleuchter und Tontechniker im richtigen Theater. Und auch bei deren Arbeit geht es um die Dosierung: mehr oder weniger Licht?
Was die Brisanz des Finals erhöht: Es ist im Empfinden des Publikums das Hockey-Gipfeltreffen der reichen, arroganten Zürcher, die hinter sich Macht und Einfluss der gesamten «Liga-Mafia» vereinen, gegen die Romantiker aus dem hockeypolitisch ohnehin ohnmächtigen Welschland, die noch nie Meister waren und nun auf einer Mission sind, um ein Hockeywunder zu vollbringen.
Viel mehr als vor einem Jahr die Auseinandersetzung zwischen dem zweisprachigen Biel/Bienne und Servette ist der Final nun auch ein «Hockey-Kulturkampf». Was den Unterhaltungswert erhöht und die Einordnung erleichtert: Wer nach einem Spiel andere als hockeytechnische Erklärungen bemüht, ist auf dem Weg in die Niederlage.