SCB-Trainer Jussi Tapola (49) wäre von Napoléon zum Marschall befördert worden wie einst Bernadotte, Berthier, Davout oder Ney. Denn der Kaiser pflegte vor einer solchen Beförderung zu fragen: Hat der Mann auch Glück?
Jussi Tapola hat Glück. Viel Glück. Der SCB ist in Langnau haarscharf an der vierten Pleite hintereinander und damit dem Donnergrollen einer heraufziehenden Krise vorbeigeschrammt und zu einem Verlängerungssieg getaumelt. Auch deshalb, weil Stephané Charlin den miserabelsten Match seiner Langnau-Karriere gespielt hat: Wenn der Goalie bloss 85,71 Prozent der Schüsse pariert, können die SCL Tigers nicht einmal gegen Ajoie und erst recht kein Derby gewinnen. Dass es wenigstens für einen Punkt gereicht hat – ein Geschenk der Hockeygötter.
Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Wichtiger: Jussi Tapola ist ein grosser Trainer. Woran erkennen wir einen grossen Trainer? Einmal daran, dass er Glück hat (im Sinne von Napoléon) und dass er für dieses Glück etwas tut.
In der Verlängerung nimmt Jussi Tapola ein Time-Out. Die Scheibe wird anschliessend wieder eingeworfen und Dominik Kahun trifft zum 5:4. Nur Glück? Nein, auch Verstand und das Gespür für eine sich auf einmal bietende Chance. Jussi Tapola sagt, er habe sich spontan für ein Time-Out entschieden. «Schliesslich ist das Time-Out da, um davon Gebrauch zu machen.» Er könne sich nicht erinnern, wann er letztmals in der Verlängerung zu dieser Massnahme gegriffen habe. Aber er hatte einen Plan: «Corban Night ist unser bester Mann beim Bully. Ich wollte ihm mit dem Time-Out eine Verschnaufpause verschaffen, damit er noch einmal ein Bully für uns gewinnt.» Der Plan ist aufgegangen. Der Kanadier gewinnt das Anspiel. Dominik Kahun vollendet schliesslich den Spielzug um 5:4 (63:55 Min.).
Woran erkennen wir neben diesem Glück des Tüchtigen noch einen grossen Trainer? An seinem Selbstvertrauen. An seiner Gelassenheit. Jussi Tapola muss in Bern so wenig etwas beweisen wie einst Kari Jalonen, der letzte echte Trainer in Bern. Viermal Meister in Finnland und letzte Saison auch noch der Gewinn der Champion League: Da fällt ihm das Herz nach ein paar SCB-Niederlagen noch lange nicht in die Hose und es kümmert ihn nicht, ob Marc Lüthi oben im Managerbüro denkt. Nach einem Spiel ist er wohltuend locker, unabhängig wie es ausgegangen ist. Er verzichtet auf die auswendig gelernten Sprüchlein, die kleine Trainer auf Lager haben, um ja nicht anzuecken und alles vorkehren, um der Klub-Obrigkeit nach dem Munde zu reden. Jussi Tapola sagt einfach, was ist. Nicht das, was Marc Lüthi hören möchte.
Auch zum Fall von Mika Henauer. Der SCB hat einen der talentiertesten jungen Schweizer Verteidiger praktisch nicht mehr eingesetzt, zeitweise auf die Tribüne verbannt und inzwischen leihweise zu Kloten transferiert. Wo er gleich eine tragende Rolle mit über 19 Minuten Eiszeit übernommen hat. Was war da los? Krach mit dem Trainer? «Nein», sagt Jussi Tapola. «Manchmal ist es einfach besser, ein Spieler vergisst, was war, bekommt den Kopf wieder frei und findet unbelastet wieder zu seinem besten Hockey. So wie Sie beim Computer die Reset-Taste drücken. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, ihn für Kloten freizugeben und dafür mit Louis Füllemann einem anderen jungen Verteidiger eine Chance zu geben.»
Das, was bei Mika Henauer war: Verletzungspech, unerfüllte hohe Erwartungen vom Klub und vom Spieler, Diskussionen, das nicht ganz unberechtigte Gefühl von fehlender Wertschätzung – durchaus typisch bei einem jungen Spieler, der in der Nachwuchsorganisation eines Grossklubs ausgebildet worden ist und einfach nicht über die Rolle des Lehrlings hinauskommt. Louis Füllemann (19) hat im Derby bereits 11:20 Minuten Eiszeit bekommen. Auch das gehört zur Gelassenheit eines grossen Trainers: Der Mut, Talenten Eiszeit zu gewähren. Bei einem Klub, bei dem es die Jungen in den letzten Jahren doppelt und dreifach schwer hatten.
Die Frage ist natürlich: Wo steht der SCB? Sind die Berner wieder ein Spitzenteam, wie der 4. Tabellenplatz vermuten lässt, oder sind sie nach wie vor einem 9. oder 10. Platz näher? Nun, die Chancen auf eine direkte Playoff-Qualifikation (dafür ist mindestens Rang 6 erforderlich) bestehen. Aber ist der SCB nach vier miserablen Jahren «geheilt» und wieder ein Spitzenteam? Oder anders gefragt: Sehen wir schon den SCB so wie ihn der Trainer haben möchte? «Nein», sagt Jussi Tapola. «Davon sind wir noch weit entfernt. Wir haben zwar sehr, sehr gute Phasen. Aber nach wie vor fehlt uns die Konstanz, um auf hohem Niveau eine Partie durchzuspielen und in schlechten Phasen fallen wir zu tief.» Oder um es mit dem nordamerikanischen Allerweltspruch zu sagen: All the tools, but no toolbox. Alle Werkzeuge sind da, aber noch keine Werkzeugkiste. Oder hin und wieder fällt die Werkzeugkiste um.
Eine Frage des Talentes oder der Taktik? «Nein», sagt der SCB-Trainer. «Eine Frage der Emotionen. Wir haben die taktischen Grundlagen weitgehend erarbeitet. Nun geht es darum, die Sicherheit zu finden.» Nicht mehr ein taktischer Zuchtmeister ist gefragt. Sondern ein Psychologe.
«Emotionen sind im Hockey so wichtig», führt Jussi Tapola aus. «Wir haben das soeben beim Derby gesehen. Wir hatten dreimal verloren. Das führte dazu, dass die Spieler auch ans Resultat und nicht mehr ans Spiel denken. Die Folgen sind Unsicherheit, Passivität und Fehler.» Der SCB ist eben nicht mehr ein Titan. «Wer viel Erfolg hat, bleibt auch dann ruhig, wenn es mal nicht läuft», sagt der SCB-Trainer. «Weil jeder davon überzeugt ist, dass man doch einen Weg finden wird, um ein Spiel zu gewinnen.» Das ist der Grund, warum Erfolg weitere Erfolge produziert.
Das ist die entscheidende Differenz zwischen dem einstigen grossen SCB der Jahre des Ruhmes (drei Titel zwischen 2016 und 2019) und dem nach wie vor stolpernden und taumelnden SCB im Herbst 2023: Kari Jalonen musste sich nach seiner Ankunft im Sommer 2016 nicht allzu stark um Psychologie und Streicheleinheiten für Ego und Selbstvertrauen kümmern. Er übernahm einen grossen SCB mit Leitwölfen im besten Alter, die wussten, wie Meister werden geht. Und eine unerschütterliche Zuversicht zwischen Arroganz und Selbstvertrauen ausstrahlten, die schon immer die grossen SCB-Teams ausmachte. Champions eben. Der SCB als Bayern München des Hockeys.
Der SCB im Herbst 2023 hat genug Talent, um ein Spitzenteam zu sein. Aber noch nicht genug Selbstvertrauen und Arroganz. Die Veteranen sind verunsichert und erst auf dem Weg zurück zu ihrem besten Hockey. Die Talente beginnen zu realisieren, dass sie eine Chance bekommen. Dafür hat Jussi Tapola Verständnis: «Es ist eine Frage der Zeit. Wir können nichts erzwingen.» Er sagt das nicht als Ausrede. Sondern weil er in der ihm eigenen Gelassenheit weiss, dass es eben so ist. Es ist ein gutes Zeichen, dass mit Simon Moser (34) ein zweifelnder Veteran soeben in Langnau sein zweites Saisontor erzielt (zum 0:2) und mit Noah Fuss (22) ein aus dem Farmteam zurückgeholtes Talent ebenfalls getroffen hat (zum 3:4). Es war sein erstes Saisontor.
Die Art und Weise, wie der SCB doch noch zum Derby-Sieg gestolpert ist, zeigt eines: Der SCB hat endlich, endlich, endlich wieder einen grossen Trainer. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um wieder ein Titan, ein grosser SCB zu werden.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Diese Aussage kann man auf die halbe Liga anwenden. Schlussendlich müsste es die drei üblichen Verdächtigen sein (Genf, Zug und Zürich) plus ein Team aus Biel, Fribourg, Lausanne, Bern und Lugano und Davos. Rappi allenfalls noch aber wohl eher nicht.