Was ist in Davos geblieben von den 22 Jahren Arno Del Curto? Neben den Erinnerungen an sechs Meistertitel und Siege für die Ewigkeit? Der Glaube an die heilige Kraft der Schnelligkeit. Überfallartige Angriffe und horrendes Tempo waren das Markenzeichen der von Arno Del Curto trainierten und gecoachten Mannschaft.
Seine Nachfolger – Trainer Christian Wohlwend und der Sportchef Raëto Raffainer – haben die Philosophie des grossen Meisters übernommen und weiterentwickelt. Arno Del Curto ist nicht mehr da. Er hat sich in den Oberaargau, ins hüglige, grüne Herz der Schweiz zurückgezogen und seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Sein ruhmreiches Erbe des Tempos wird sorgfältig verwaltet und weiterentwickelt. Das ist der Grund, warum der HCD in der ersten Saison nach dem Tempo-Grossmeister so erfolgreich war (Rang 3, zweitbeste Offensive der Liga). Nur ein Sieg fehlte zum 1. Platz.
Gefühlt (dazu gibt es keine offiziellen Statistiken) stellt der HCD weiterhin das schnellste Ensemble der Liga. An guten Abenden umkurven und zerzausen die Davoser mit ihrer Antrittsschnelligkeit jeden Gegner. Das hat System: Die vom Sportchef verpflichteten Ausländer (Aaron Palushaj, Teemu Turunen) gehören zu den schnellsten Stürmern ausserhalb der NHL. Und auch bei den Schweizern ist Raëto Raffainer bemüht, aufs Gaspedal zu drücken: Wer keine schnellen Füsse hat, bekommt in Davos weiterhin keine Chance. Dass 17 Verträge auslaufen, beschert dem Sportdirektor zwar viel Arbeit. Aber auch den Freiraum, um bei der Personalpolitik das Team noch mehr auf Tempo zu trimmen.
Das Tempo sei die Zukunft, pflegt der Chef der HCD-Sportabteilung zu sagen, und seiner Mannschaft bekommt dieser Glaube an die Schnelligkeit sehr gut. Sie zelebriert weiterhin das unterhaltsamste, spektakulärste Hockey der Liga. Ob der Rekordmeister bald den nächsten Titel feiern kann? Schon nur dass sich die Frage stellt, sagt viel aus.
Baustellenupdate 2020/17
— Hockey Club Davos (@HCDavos_off) September 26, 2020
Eisstadion Davos
Stand 25. September 2020
📸 M@rcel Giger, https://t.co/zYby7Q2H6q#HCD #DieEisheimischen #100HCD pic.twitter.com/knB5w3UWwE
Nach dem Ende der «Ära Del Curto» war ja schon befürchtet worden, der HCD müsse sich auf Jahre hinaus mit Mittelmass begnügen. Nun ist der HCD seinen Problemen einfach davongelaufen.
Es erforderte eine gehörige Portion Chuzpe, um als Sportchef den Trainer anzustellen, bei dessen Hochzeit man Trauzeuge war und der aus der gleichen Ecke des Landes kommt (aus dem Engadin). Der Vorwurf der Vetternwirtschaft («Engadiner Mafia») wird schnell vorgebracht, wenn die Resultate nicht stimmen. Raëto Raffainer hatte den Mut, Christian Wohlwend trotzdem zu verpflichten. Er ist für dieses Risiko im ersten Jahr der Zusammenarbeit auf der ganzen Linie belohnt worden. Aber dauert die Herrlichkeit an? Hält die Autorität von Christian Wohlwend über Jahre und Jahrzehnte wie jene seines Vorgängers?
Der charismatische Coach aus dem Engadin (das klingt vertraut) hat den HCD im ersten Jahr von Rang 10 auf Platz 3 geführt. Es gibt eine Reihe von jungen Spielern, die sich unter ihm vorzüglich entwickelt haben. Die Umstellung vom Teilzeittrainer bei der Nationalmannschaft (er betreute das U20-Nationalteam und war Assistent von Patrick Fischer) zum Cheftrainer eines Klubteams ist nicht einfach. Er hat die Umstellung nicht zuletzt dank der Unterstützung durch seinen Sportchef mit Bravour gemeistert.
Die Frage ist nun: Wie gross ist die Absturzgefahr? Hilft Tempo sogar gegen eine Lotter-Verteidigung? Auf den ersten Blick scheint der HCD unverwundbar wie Achilles.
Die Mutter dieses Helden des Trojanischen Krieges hatte den Wunsch, ihren Knaben unverwundbar zu machen. Zu diesem Zwecke tauchte sie ihn in die heiligen Wasser des Flusses Styx, der im alten Griechenland die Unterwelt von der Oberwelt trennte. Dort wo sie Achilleus mit der Hand hielt, blieb jedoch vom Wasser des Flusses unbenetzt und wurde so zur einzigen verwundbaren Stelle. Genau dort sollte Achilles vom vergifteten Pfeil des Bogenschützen Paris getroffen werden. So ist der Begriff Achillesferse entstanden.
Die HCD-Achillesferse ist die Verteidigung. 142 Gegentore. Zwar weniger als in der missglückten letzten Saison von Arno Del Curto (167). Aber nur sechs weniger als Langnau: Der HCD hatte letzte Saison eine Playout-Abwehr. Vielleicht gelingt es ja, den defensiven Schwächen wieder davonzulaufen: Nur die ZSC Lions erzielten letzte Saison noch mehr Treffer (166) als der HCD (159).
Der Sturm des Rekordmeisters lässt wenig Wünsche offen. Drei spektakuläre Ausländer, ein paar gestandene Nationalspieler (Andres Ambühl, Fabrice Herzog, Enzo Corvi), dazu die Leidenschaft von Marc Wieser und eine Schar Jünglinge, die mit jedem Monat besser werden. Der HCD hat den schnellsten Sturm der Liga – und keine Abwehr kann lange standhalten, wenn die Davoser zum Angriff blasen.
Aber eben: Das Fundament jeder Mannschaft ist die Verteidigung und jede Verteidigung nur so gut wie der Torhüter. Und nun ist Joren van Pottelberghe (23) nicht mehr da. Er hütet jetzt das Tor in Biel. Auf den ersten Blick kein Problem. Robert Mayer (30) ist gekommen. Vor sechs Jahren ist er aus Nordamerika in die Schweiz zurückgekehrt. Den lange gehegten NHL-Traum musste er begraben – aber immerhin schaffte er es bei einem Vorbereitungsspiel der Montreal Canadiens auf die Ersatzbank.
Aber auch nach sechs Jahren in unserer höchsten Liga in Genf wissen wir immer noch nicht, ob der in Kloten ausgebildete schweizerisch-tschechische Doppelbürger ein grosser Goalie ist. Mayers Leistungen waren während diesen sechs Jahren wechselhaft. Von Parade zu Parade, von Drittel zu Drittel, von Spiel zu Spiel und von Saison zu Saison. Er kann Spiele im Alleingang gewinnen und verlieren.
Der Fünfjahresvertrag in Davos hat die Branche überrascht. Aber Goalietrainer Peter Mettler, den Sportchef Raëto Raffainer von der Nationalmannschaft mitgebracht hat, ist ein profunder Kenner. Wenn er sagt, Robert Mayer sei ein grosser Goalie, dann wird es so sein. Und zur Not steht mit Sandro Aeschlimann eine sehr solide Alternative bereit, die auch Nummer 1 kann.
Aber Kritiker sagen, Robert Mayer spiele nur dann konstant sein bestes Hockey, wenn der Vertrag auslaufe. Darum sei er letzte Saison so gut und konstant gewesen. Nun dauert es in Davos vier Jahre, bis sein letztes Vertragsjahr beginnt.
Platz 7.
Vergangene Saison fielen zudem rund 28% (39/142) aller Gegentore im Boxplay. Wenn sich der HCD in Unterzahl verbessern kann, sind ihm auch in dieser Saison die Playoffs (mit Heimvorteil) zuzutrauen.