Ausgerechnet vor dem alles entscheidenden 7. Finalspiel, vor der 67. Partie der Saison, sind die ZSC Lions zum ersten Mal die Favoritenrolle los. Lausanne hat die Zürcher zeitweise überrollt und schliesslich 5:3 besiegt. Das Tor zum ultimativen Triumph ist weit, weit offen. Vielleicht wird Lausanne auf Jahre dem ersten Meistertitel nie mehr so nahekommen wie am nächsten Dienstag. Die Waadtländer stehen vor dem aufregendsten Spiel ihrer 101-jährigen Geschichte. Das ist maximale Motivation und immense Belastung zugleich.
Die Statistik hilft bei den Prognosen nicht weiter: Bisher hat der Heimclub das 7. Finalspiel viermal verloren und viermal gewonnen. Der Untergang der ZSC Lions in Lausanne ist durchaus spektakulär, aber letztlich ist das Resultat unerheblich. Ein aufgeputschtes Heimteam, das noch nie in einem Final war, surft auf den Wogen der Emotionen zu einer 5:0-Führung.
Aber die Überlegenheit ist eben auch auf Emotionen gebaut. Die ersten 40 Minuten zeigen die Verletzlichkeit der ZSC Lions und das letzte Drittel jene von Lausanne. Wer bis zur 39. Minute 5:0 führt, ist gut genug, um das 7. Finalspiel zu gewinnen. Wer den Rest des Spiels mit 3:0 für sich entscheidet, aber auch. Am Ende gibt es sogar eine Patt-Situation bei den Torschüssen (32:32).
Die 7. Partie werden keine taktischen Schlaumeiereien, neue Powerplay-Varianten, überraschende Linien-Zusammenstellungen oder bisher geheim gehaltene Spielzüge entscheiden. Auch eine vertiefte Analyse der Niederlage in Lausanne hilft nicht weiter. Wir sind im finalen Stadium des Dramas angelangt: Jeder auf dem Matchblatt aufgeführte Spieler hat nun die Chance, ein meisterlicher Held zu werden.
Es gibt Karrieren, die mit einer Heldentat in einem 7. Finalspiel erzählt und erklärt werden können. Spieler, die nur in goldenen Buchstaben ins Hockey-Geschichtsbuch eingetragen worden sind, weil sie in einem 7. Finalspiel Hauptdarsteller waren: Morgan Samuelsson (ZSC Lions), Steve McCarthy (ZSC Lions) oder Robin Leblanc (Davos). Ihre Geschichten werden vor der finalen Entscheidung da und dort aufgewärmt werden. Vor allem in Zürich: Die ZSC Lions waren schon viermal in einem 7. Final und haben dreimal gewonnen.
Der nächste Dienstag ist eine einmalige Chance für die «Hinterbänkler». Wer will, kann die Kaderliste durchgehen und versuchen, herauszufinden, wer mehr «Hinterbänkler» in seinen Reihen hat, die auf diese einmalige Chance lauern. Auch da: eine Patt-Situation. Es gibt bei den ZSC Lions auch Spieler, die zu den Grossen unserer Hockey-Historie zählen und noch nie Meister waren: Yannick Weber (aktuell verletzt) oder Denis Hollenstein.
Die Coaches stehen vor gegensätzlichen Herausforderungen: Die Euphorie zu gesundem Selbstvertrauen abkühlen ist die Aufgabe von Lausannes Geoff Ward. Neuen Mut einflössen sollte Marc Crawford den Zürchern.
Die Aufgabe des ZSC-Trainers ist eher einfacher: Er muss niemandem sagen, was es geschlagen hat und keinem versichern, dass er gut genug ist, um Meister zu werden. Das wissen seine Spieler. Ihr Selbstvertrauen ist intakt geblieben. Sie haben im letzten Drittel gerade noch genug getan, um die Zuversicht zu bewahren und bei Lausanne leise Zweifel zu säen. Der offensive Schillerfalter Denis Malgin, der seine Flügel 2022 im 7. Finalspiel in Zug nicht mehr zu öffnen vermochte, hat sich im Schlussdrittel doch noch in die Skorerliste eingetragen. Am Dienstag sollte er schon noch einmal treffen.
Aber vielleicht werden die Hockey-Götter würfeln und die Entscheidung wird ein versprungener Puck, ein Fehlgriff des Goalies, ein Glückschuss von der Mittellinie herbeiführen.
Der Favorit der Herzen, der Romantiker, ist Lausanne. Aber der Favorit des Verstandes, des Realisten bleiben die ZSC Lions. PS: Die Annahme, die Niederlage komme den Zürchern gerade recht, weil sie nun ein Heimspiel mehr haben und die Chance, den Titel auf eigenem Eis zu gewinnen, ist völliger Unsinn.
Lausanne darf und ist auf Mission.
Da kann man jetzt abwägen, wie sehr der Heimvorteil wirkt.
Ich glaube, Lausanne machts. In der 7 Overtime.