«Wunder von Sursee»? Nun, der rührige Zweitligist an den Gestaden des Sempachersees (aber ohne Palmen wie in Lugano) organisiert jeweils in der heissesten Zeit des Jahres im Flachland das erste Hockeyturnier als Gegenentwurf zum Spengler Cup, der in den Bergen während der kältesten Tage des Jahres über die Bühne geht.
Dieses Jahr sind Zug, der SCB, München und Budejovice dabei. So kommt Zugs neuer Trainer Michael Liniger gegen das tschechische Tabellenmittelfeld-Team Budejovice zu seinem allerersten Spiel und gewinnt 3:2. Ohne Leonardo Genoni und ohne Jan Kovar. Mit Blick zurück auf die vergangene Saison also fast das «Wunder von Sursee». Wenn Michael Liniger das Drehbuch dieses Spiels auf die Saison übertragen kann, dann wird er die Liga rocken.
Michael Linigers erste Partie in der tiefgekühlten Arena («Kühlschrank») enthält nämlich bereits eine Wahrheit, die wir im Laufe der Saison noch oft hören werden: Sage mir, wie Tomas Tatar spielt und ich sage dir, wie es gut geht.
Tomas Tatar ist einer von zwei Namen, die für die Korrektur des grössten Irrtums der neueren Klubgeschichte stehen: des Irrtums, es gehe auch ohne teure, charismatische ausländische Spieler. Geboren in der Hoffart nach zwei Titeln. Nun hat Manager Patrick Lengwiler die knarrenden, schweren Tore der Geldspeicher öffnen lassen und gekommen sind Tomas Tatar und Dominik Kubalik. Tomas Tatar, der Zauberer, ist Zugs elegantester Spieler seit Wes Walz («Tennessee Walz»). Der legendäre Kanadier war einer der offensiven Leitwölfe des ersten Meisterteams von 1998 und zelebrierte in 3 Jahren in 160 Partien 193 Punkte. Tomas Tatar, der nächste Wes Walz? Vielleicht sogar mehr als das.
Michael Liniger probt in seinem ersten Spiel sozusagen den Ernstfall. Er stellt Tim Wolf ins Tor und provoziert damit die gleiche Situation, die Zug letzte Saison zu schaffen machte: den Ausfall von Leonardo Genoni. Der dreifache WM-Silberheld ist jetzt aber nicht verletzt. Er sitzt als Nummer 2 auf der Bank. Und vorne fehlt dem Trainer verletzungshalber mit Jan Kovar der offensive Leitwolf der zwei Meisterjahre. Gute Ausreden bei einem missglückten Einstand wären billig. Es ist doch klar: ohne Leonardo Genoni und Jan Kovar in Höchstform geht es eben nicht.
Oder doch? Michael Liniger stellt seinen neuen slowakischen Zauberflügel Tomas Tatar in der Grundaufstellung als Mittelstürmer zwischen Dominik Kubalik (den zweiten neuen grossen Namen) und Fabrice Herzog. Und siehe da: Tomas Tatar kann auch Mittelstürmer. Um es kurz und nüchtern auf den Punkt zu bringen: Tomas Tatar erzielt mit einem Direktschuss das 1:0 und sichert in den letzten Sekunden mit 2 gewonnenen Bullys in der eigenen Zone den Sieg gegen Budejovice (3:2). Zur Abrundung: Dominik Kubalik ist noch nicht in Hochform und steuert im Powerplay doch den Assist zum siegsichernden 3:1 bei.
Mit den zwei neuen, ganz grossen Namen siegt Zug also auch ohne Leonardo Genoni und Jan Kovar. Und einer bringt es beim Bier und 30 Grad draussen vor dem Kühlschrank schon in der Pause beim Gespräch über die neuen Ausländer und Tomas Tatar auf den Punkt: «Es war nicht sein letztes Tor in dieser Saison …»
Die andere Wahrheit: Tomas Tatar und Dominik Kubalik werden zusammen mit ihren wesensverwandten Spielkameraden Jan Kovar, David Sklenicka (auch der tschechische Verteidiger ist neu) und dem flamboyanten Daniel Vozelinek das Wetter machen. Wir können davon ausgehen, dass Tomas Tatar kraft seines Charismas und seiner Autorität Daniel Vozelinek zur Räson bringen und mit einer Bemerkung («A teď už sklapni a soustřeď se na hru» – frei übersetzt: «Halt den Mund») dafür sorgen wird, dass er sich nicht mehr zum Zuger Strafbankkönig provozieren lässt.
Was uns zur letzten Wahrheit aus dem Kühlschrank führt. Das Glück der Zuger wird am Ende des Tages an seinen ausländischen Spielern aus Tschechien und der Slowakei hängen. Sie bilden nun eine wirkungsmächtige Fraktion in der Kabine. Sage mir, ob sie glücklich sind und es ihnen gut geht, und ich sage dir, wie es um die Zuger steht.
Tschechien hat die am höchsten entwickelte Bierkultur und die Tschechinnen und Tschechen sind mit einem Konsum von rund 130 Liter pro Kopf und Jahr statistisch die weltweit grössten Biertrinker. Bier gilt in Tschechien als ganz normales Getränk zum Mittag- oder Abendessen.
Ein Zaungast hatte nun in Sursee bei dem durstigen Wetter eine Idee, die viel zum Glück der Zuger beitragen könnte: Die nüchterne, ja beinahe asketische Stimmung im OYM, im vielleicht modernsten und besten Sport-Hochleistungszentrum der Welt, behagt manchmal den Zugern nicht so recht: Hockeyspieler sind halt wilde, raue Kerle. Warum also nicht für die Titanen aus Tschechien und der Slowakei im OYM diskret in einer Ecke einen Bier-Zapfhahn für edles Pilsner Urquell bereitstellen? Sozusagen so, wie vielerorts in Einrichtungen eine Kinderspielecke eingerichtet wird?
Als die Idee an Sportchef Reto Kläy herangetragen wird, reagiert er schon fast empört: «Im OYM herrscht striktes Alkoholverbot! Das wissen Sie doch ganz genau!» Aber, aber, wo bleibt da die Schlitzohrigkeit des pfiffigen Sportchefs? Er kann ja die ganze Anlage als Zapfhahn für Mineralwasser oder isotopische Getränke tarnen.
Ob es nur schäumt oder auch fliesst!