Isländische Fussballer sind der Gegenentwurf vom modernen Pussy-Kicker. Die Haare wehen wild, der Bart spriesst, die Unterarme sind noch tätowiert, weil dies richtige Seefahrer so machen.
Und gemäss unbestätigten Gerüchten hat Captain Aron Gunnarsson in seiner Jugend auf einem Ruderboot und mit drei Kollegen einmal einen Wal mit blossen Händen gefangen, grilliert und verspeist.
Während die meisten anderen Teams an der Endrunde von den Sportartikel-Giganten Nike, Adidas, Puma ausgerüstet werden, steht bei Island «Errea» auf der Brust.
Die kleine italienische Bude beliefert aktuell auch noch die Nationalmannschaften von Französisch-Guyana, Neukaledonien und Ruanda. Bei den Klubteams kommen Grössen wie Mathare United FC (Malawi), Teuta Durres (Albanien), Lions Gibraltar FC (Gibraltar) oder Aldershot Town F.C. (5. Liga, England) zum Zug. Kurz: Ich glaube, unsere watson-Redaktionsmannschaft könnte sich Errea auch noch als Sponsor angeln.
Island spielt Fussball? Haha. Da schneit's ja immer! Oder es ist immer dunkel. So die noch immer verbreitete Meinung. Und Island ist ja eh nur dabei, weil an der EM jetzt fast halb Europa vertreten ist. Feierabendkicker halt. In der Tat schreiben im Feld Beruf nur 75 Isländer «Profifussballer» rein. Und es gibt nur sieben grosse Fussballhallen mit Kunstrasen im Land.
Aber weit gefehlt! Island besiegte in der Quali zweimal Holland, einmal Tschechien und einmal die Türkei. Die Inselkicker qualifizierten sich am Ende als Gruppenzweiter, waren aber das erste Team, das sich in der Hammergruppe das Ticket gesichert hatte. Zudem stehen die Spieler immerhin bei Klubs wie Basel, Augsburg oder Swansea unter Vertrag und nicht unbedingt beim Reykjavik FC oder B36 Torshavn auf den benachbarten Färöern.
330'000 Menschen leben auf Island. Die Nordländer sind die mit Abstand kleinste Nation, die je an einer Endrunde teilnahm. 27'000 Isländer sollen in Frankreich anwesend sein. Das sind acht Prozent der Bevölkerung. Irgendwie so ein bisschen wie Ambri im Eishockey.
Wir alle lieben die etwas kleineren Teams. Aber Irland, Schweden oder Tschechien sind schon fast zu normal geworden. Da tut frischer Wind gut. Endlich mal was Neues!
Und wenn der TV-Kommentator vor Freude fast die Stimme verliert, finden wir das grossartig. Aber wenn bei Sascha Ruefer noch immer der Schweizer-Nati-Fan durchdrückt, dann ist das einfach nur peinlich, weil schon hundert Mal gehört.
BIRKIR BJARNASON!
— Síminn (@siminn) 14. Juni 2016
1-1#EMÍsland pic.twitter.com/Ugbg3XCees
Obwohl wir es eigentlich besser wissen, glauben wir irgendwie, dass bei Island im Fussball noch alles wie früher ist. Die gehen auf den Platz und haben Spass. Und rennen füreinander. Und kämpfen miteinander. Und nach dem Spiel trinken sie ein Bier in der Beiz.
Der Goalie ist nebenbei Werbefilmer, einer der Nationaltrainer betreibt noch eine Zahnarztpraxis. Wie früher halt. Und dann spielen sie noch bisschen Fussball. Und haben irgendwie Holland ausgeschaltet.
Auf dem Weg der Schweiz zur WM 2014 in Brasilien war ich in Reykjavik gegen Island im Stadion. An diesem kalten Oktoberabend lag für jeden Medienschaffenden ein Paar Handschuhe und ein Schal des isländischen Verbandes bereit. Einfach sympathisch. Und den 2:0-Sieg haben sie uns auch noch gelassen.