«Gareth Southgate scheint so gut wie weg zu sein», schrieb die «Sun» nach dem enttäuschenden englischen Auftritt im Achtelfinal gegen die Slowakei. Die englischen Medien, Fans und Experten gingen an dieser EM mit dem Team hart ins Gericht und vor allem Trainer Gareth Southgate hatte zuletzt noch sehr wenig Kredit.
Trotz einer über weite Strecken harmlosen Offensive zitterte sich England in den Viertelfinal, wo die hoch dotierten Spieler gegen die Schweiz im Penaltyschiessen Nerven aus Stahl bewiesen. Doch auch dieser Sieg reichte nicht aus, um die englische Fussballseele zu beruhigen: «Gareth Southgates riskantes Spiel gegen die Schweiz wird ihn seinen Job kosten», schrieb der «Express» nach dem Halbfinaleinzug.
Fakt ist aber: Das englische Spiel mag für die Zuschauenden nicht sonderlich spannend sein, ist auf dem Papier aber äusserst effektiv, denn nach 2021 stehen die «Three Lions» erneut im Final der Europameisterschaft. Der Erfolg stimmt die Medien milder. So findet der Guardian, dass es «an der Zeit ist, dass die Fans Southgate die Liebe entgegenbringen, die er verdient». Nur wenige Tage brauchte Gareth Southgate, um sich vom Prügelknaben der Nation zur Personifikation der englischen Hoffnung auf den ersten Titel seit 1966 zu mausern.
🚨🏴 FA insist on Gareth Southgate to stay, they want him to be England's manager regardless of the outcome in the Euros final vs Spain.
— Fabrizio Romano (@FabrizioRomano) July 12, 2024
Internal talks already took place to confirm total confidence in Southgate. pic.twitter.com/71ihPQX8Jw
Nun verdichten sich die Anzeichen, dass der englische Fussballverband auch nach dem Turnier auf Southgate zählen will. So richtig daran glauben mag man in England aber anscheinend noch nicht. So ist die Meldung, dass Southgates Engagement verlängert werden soll, beim Boulevardblatt «The Sun» neben Mutmassungen platziert, wer denn für den langjährigen Coach übernehmen könnte.
Nachdem der 53-jährige ehemalige englische Nationalspieler die Kritik der letzten Wochen stoisch hingenommen hatte – im Wissen, dass man als englischer Nationaltrainer naturgemäss ein dickes Fell haben muss –, deutete er nach dem Halbfinal-Sieg gegen Holland an, dass der raue Umgangston auch an einem Stoiker wie ihm nicht spurlos vorbeiging. «Wir wollen doch alle geliebt werden, oder? Wenn man etwas für sein Land tut und ein stolzer Engländer ist, ist es schwer, wenn man das nicht zurückbekommt und nur Kritik liest. Das zweite Finale feiern zu können, ist also etwas ganz Besonderes», sagte er.
#ItsComingHome #Southgate #England #EURO2024
— Gillani Syed (@Syed_GiLLaniG) July 11, 2024
Everyone wants to be loved, right? Gareth Southgate's final answer at the England press conference reveals how deeply the earlier criticism affected him. Thrilled he and the team have turned things around. He's a fantastic leader. pic.twitter.com/m801G1KJPo
Apropos EM-Final: Eigentlich gäbe es Grund genug, Southgate auch mal auf die Schultern zu klopfen. Er hat England öfters ins Endspiel einer Europameisterschaft geführt als alle anderen Trainer vor ihm zusammen. Vor der Ära Southgate hatte England an einer EM nur zweimal den Halbfinal erreicht (1968 und 1996), bis in den Final reichte es gar nie. An der WM 2018 beendete er eine lange Durststrecke, als er das Team zum ersten Mal seit 20 Jahren in einen Halbfinal führte. Vor drei Jahren erreichte England unter Southgate schliesslich zum ersten Mal in der Geschichte einen EM-Final – und auch in diesem Jahr kämpfen die «Three Lions» um den lang ersehnten Titel.
Doch angesichts der nominellen Klasse, die die Engländer auf den Platz bringen, reicht selbst diese Bilanz nicht, um das titelhungrige Fussballvolk zu beruhigen. Southgate, so lautete die Kritik, schaffe es nicht, aus herausragenden Einzelspielern ein Miteinander zu formen, auch deshalb, weil die Spieler in seinem System ihr Potenzial gar nicht erst entfalten können. Er zwinge die Offensive in ein uninspiriertes Defensivkonzept, stelle gewisse Spieler auf der falschen Position auf und schade mit seinem Spielstil auch dem sonst so treffsicheren Harry Kane.
Doch Southgate reagierte. War schon gegen die Schweiz mit der Umstellung von der Vierer- auf eine Dreierkette eine leichte Steigerung bemerkbar, schien sich vor allem die Offensive im Halbfinale gegen Holland endlich mehr entfalten zu können. Und der Trainer wusste wohl, dass er sich mit dieser Leistung im Halbfinal ein bisschen Luft verschafft hatte. Hielt er vorher immer Abstand zu den Fans, ging er nach dem Halbfinalsieg zur Tribüne und interagierte mit dem Publikum. Doch das Gleichgewicht in der englischen Fussballwelt ist fragil, die Linie zwischen Jubel, Trubel, Heiterkeit und grenzenloser Enttäuschung ist wohl nirgends so schmal wie im Land, das von sich behauptet, das Mutterland des Fussballs zu sein.
Während Spaniens Luis de la Fuente angesichts des unterhaltsamen Fussballs und der Spielfreude, die sein Team bisher an den Tag gelegt hat, bereits vor dem Final ein Gewinner ist, hat Southgate noch immer viel zu verlieren. Damit er endgültig «die Liebe bekommt, die er verdient», braucht er nichts Geringeres als die Krönung. Der positiven Bilanz zum Trotz: Als Währung scheint in England nur der Titel zu zählen. Und der Ausgang des Finals am Sonntag wird auch darüber entscheiden, wie man Southgate in Erinnerung behalten wird.