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Die Schweiz ist ein heimliches Sport-Imperium. Während sich der Aufstieg der Schweiz als Werk- und Finanzplatz bereits im 19. Jahrhundert vollzieht, wird unser Land in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert beinahe unbemerkt zu einem heimlichen Sport-Imperium.
Wenn wir den 1. August 1291 als den Geburtstag der Schweiz bezeichnen, dann ist der 10. April 1915 der Tag, an dem das Sport-Imperium Schweiz gegründet worden ist. An diesem Tag schliesst Baron Pierre de Coubertin mit der Stadt Lausanne einen Vertrag, wonach die Stadt die Errichtung «des Verwaltungszentrums und der Archive des neu entstandenen Olympismus» bewilligt. Dafür wird ihm das Schlösschen «Mon Repos» zur Verfügung gestellt.
Der Baron verlegt den Sitz des IOC von Paris nach Lausanne. In ein neutrales, vom Krieg verschontes Land. Wie in der Wirtschaft und in der Finanzindustrie profitiert die Schweiz davon, dass sie als neutraler Staat im Krieg verschont bleibt. Als der Sport immer wichtiger wird, zieht es die Sportverbände in die Nähe des IOC, in die Nähe des Machtzentrums. Diese Sportverbände beschäftigen logischerweise in ihrer Administration Schweizer.
Heute, hundert Jahre später, hat die Schweiz in keinem anderen Bereich so viel Macht wie im Sport. Der Sportplatz Schweiz hat eine grössere Bedeutung als der Werk- und Finanzplatz Schweiz. Wir haben im IOC, der Weltregierung des Sports, vier Mitglieder. Mehr als die Deutschen, die Amerikaner, die Russen und die Chinesen.
Die Schweizer Sportpolitiker haben ausserhalb der Landesgrenzen mehr Einfluss als jeder Bundesrat. Sie verfügen über eine eigene Gerichtsbarkeit, regieren über Landes- und Religionsgrenzen hinweg, verschieben Milliarden rund um den Globus und dominieren die TV-Kanäle nach Belieben. Diese Titanen des Sportes haben heute mehr Strahlkraft und Macht denn je.
Das Imperium des Sportes ist längst eine Mischung aus Vatikan, Hollywood und Wall Street geworden. Es entzieht sich weitgehend den staatlichen Gewalten und Steuerpflichten, privatisiert die Gewinne und sozialisiert die Kosten, kümmert sich nicht um EU-Vögte und fürchtet nur noch die bissigen US-Staatsanwälte (die dann aber wie der Teufel das geweihte Wasser) – und wird von der Schweiz aus regiert.
Warum ist das so? Die Schweizer haben einen Standortvorteil. Die politische Stabilität, die guten Flugverbindungen, die hohe Lebensqualität und die steuerlichen Vorteile machen die Schweiz nach wie vor zum weltweit wichtigsten Standort für Sportorganisationen. So ist Lausanne als Sitz des IOC inzwischen der Vatikan des Weltsports geworden und die Schweizer Funktionäre sind die Kardinäle des Weltsportes.
Nicht weniger als 30 internationale Sportverbände haben ihren Sitz in der Schweiz, die meisten in und um Lausanne. In den Kommandozentralen dieser Verbände arbeitet viel helvetisches Personal – und der Weg ganz nach oben beginnt sehr oft in der Administration. So sind Gian-Franco Kasper und Sepp Blatter ganz nach oben gekommen – und auch Sepp Blatters möglicher Nachfolger Gianni Infantino kommt aus der Administration des europäischen Kontinentalverbandes UEFA.
Aber noch wichtiger als der Standortvorteil ist das Wesen der Schweizer Funktionäre. Sie bringen den besseren «Schulsack» für eine sportpolitische Karriere mit. In den meisten Ländern ist einfacher in den Hierarchien der nationalen Sportverbände aufzusteigen und Karriere zu machen. Eine Sprache, eine gut gefüllte Kriegskasse und genügend Briefumschläge genügen in den meisten IOC- oder FIFA-Mitgliederländer.
Bei uns ist es anders. Wer im helvetischen Sport eine Rolle spielen will, muss mehrsprachig, diskret, multikulturell, charmant, gewinnend, tolerant, aber auch politisch schlau und ein kleiner Machiavellist und dazu in der Lage sein, die Teutonen der Deutschschweiz und die Welschen auf seine Seite zu ziehen.
Der typische Schweizer Sportpolitiker ist so ziemlich exakt und in jeder Beziehung das Gegenstück zu Donald Trump. Wer andere Kulturen versteht und respektiert, ist im internationalen Streben um Macht und Einfluss immer erfolgreicher als jene, die in einer Monokultur aufgewachsen sind wie etwa die Amerikaner, die Russen, die Deutschen, die Franzosen oder die Chinesen. Niemand beherrscht die Kunst des Kompromisses so gut wie die Schweizer.
Gianni Infantino der Prototyp eines Schweizer Sport-Karrieristen. Er spricht sechs Sprachen. Schliesslich und endlich hilft den Schweizern der Status unseres Landes als neutraler Kleinstaat. Sehr oft ist den Grossen ein Schweizer in einer Spitzenposition lieber als einer aus einem anderen, konkurrierenden und mächtigen Land.
Gianni Infantino ist, wie Sepp Blatter, Walliser. Aber die Verwunderung «aber doch nicht schon wieder einer wie Blatter» greift viel zu kurz. Sepp Blatter mag in der Schweiz und in Europa seine Ehre in der öffentlichen Wahrnehmung verloren haben. Aber sein Wesen und Wirken wird in der überwiegenden Mehrheit der FIFA-Mitgliederländer, in Afrika, Asien und Südamerika, ganz anders gesehen.
Er wird wechselweise als machtbewusster, schlauer Caudillo (für die Südamerikaner) oder als «altes Krokodil» (in Afrika eine Ehrenbezeichnung) wahrgenommen. Und es hat daher seine Logik, dass sich nun wieder einer aus seinem «Stamm», seinem «Kraal», aus dem Wallis also, um das höchste Amt bewirbt.
Allerdings neigt sich die ganz grosse Zeit unserer Sportpolitiker dem Ende zu. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zählten die vorgängig aufgeführten Talente noch mehr als heute. Die heute mächtigsten Schweizer haben ihre Machtbasis noch im letzten Jahrhundert unter günstigeren Voraussetzungen aufgebaut.
Im ausufernden Sportkapitalismus des 21. Jahrhunderts geht es immer mehr um die Verteilung riesiger Geldmengen. Schweizer sind möglicherweise um eine Spur zu anständig und zu korrekt und zu wenig skrupellos, um sich in diesem «globalen Bazar» durchsetzen zu können. Deshalb gilt ausgerechnet Scheich Salman bin Ebrahim Al Khalifa aus Bahrain, aus aussichtsreichster Gegenkandidat von Gianni Infantino.
Die FIFA soll nun also ausgerechnet von einem Öl-Märchenprinzen aus einer der konfliktreichsten Regionen der Erde geführt werden. Das ist im Quadrat absurder als ein Blatter-Nachfolger aus dem Wallis.