Ein dramatischeres Finale hätte selbst Hollywood-Legende Alfred Hitchcock nicht einfallen können. Die Weltmeister-Entscheidung in der Formel 1 zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton fiel erst in der allerletzten Runde einer 22 Rennen langen Saison.
Hamilton lag beim GP von Abu Dhabi nach einem fragwürdigen Überholmanöver abseits der Strecke lange in Führung und schien ungefährdet seinem achten Titel entgegenzufahren. Doch ein Unfall von Nicholas Latifi im Williams in der Schlussphase sorgte doch noch für den nicht mehr erwarteten Umschwung zugunsten von Verstappen.
Denn nach Latifis Crash folgte eine Safety-Car-Phase, die es dem Niederländer ermöglichte, den Rückstand zu Hamilton aufzuholen. Kurz davor hatte sich Verstappen nochmals frische, weiche Pneus aufziehen lassen. Er war damit gerüstet für das finale Duell im Finale, diese allerletzte, alles entscheidende Runde – und packte die Chance beim Schopf. Verstappen überholte den Engländer dank des Reifenvorteils und sicherte sich auf den allerletzten Drücker den schon verloren geglaubten Titel.
Aber das unfassbare Finale sorgte sofort für Diskussionen. Im Mittelpunkt: Rennleiter Michael Masi. Dieser wollte die fünf überrundeten Fahrer, die sich zwischen Hamilton und Verstappen befanden, zunächst nicht am Safety Car vorbeifahren lassen. Doch dann entschied man sich in der Rennleitung plötzlich um und so durfte Verstappen unmittelbar hinter Hamilton die letzte Runde beginnen – was der Holländer zum alles entscheidenden Überholmanöver nutzte. Ansonsten hätte Verstappen kaum noch die Chance gehabt, am siebenfachen Weltmeister vorbeizuziehen.
Schon kurz vor Rennschluss eskalierte die Situation. Mercedes-Teamchef Toto Wolff war fuchsteufelswild, schleuderte am Kommandostand der Silberpfeile mal wieder seine Kopfhörer zu Boden. «Nein, nein, Michael, das war so falsch. Du musst die Runde davor reinstallieren», wütete Wolff über Funk in Richtung Masi. Später konterte Masi nüchtern: «Toto, es ist ein Rennen. Wir fahren hier Autorennen.»
Mercedes legte nach Rennschluss gleich zwei Proteste bei den Stewards ein. Im ersten ging es darum, dass Verstappen seinen Rivalen Hamilton hinter dem Safety-Car überholt haben soll. Die Rennkommissare stimmten zu, dass Verstappen tatsächlich kurz vorbeigezogen war, als beide Piloten beschleunigten und bremsten. Doch der Niederländer habe sich sofort wieder zurückfallen lassen und sei klar hinter Hamilton gewesen, als die Safety-Car-Phase endete. Der zweite Einspruch betraf die zuvor erwähnte Abfolge der Autos hinter dem Safety-Car.
Der ehemalige Formel-1-Fahrer Christian Danner führt bei «Sport1» aus, dass es die richtige Entscheidung gewesen sei, Verstappen gleich hinter Hamilton einzureihen: «Diese Regel gibt es seit einigen Jahren, um sicherzustellen, dass nicht irgendwelche Überrundeten unter den Führenden sind und das Rennergebnis verfälschen. Da haben alle Teams zugestimmt – auch, dass ein Rennen, wenn irgendwie möglich, nicht unter Safety Car zu Ende geht. Am Ende sollen immer noch ein, zwei Runden Racing zu sehen sein.»
Your 𝙉𝙀𝙒 World Champion 🍾👏 #ThePowerOfDreams pic.twitter.com/oPAhB8J6B1
— Honda Racing F1 (@HondaRacingF1) December 12, 2021
Die beiden Mercedes-Proteste blieben schliesslich erfolglos, denn die Rennkommissare hielten wenig überraschend an ihren Entscheiden fest. Knapp fünf Stunden nach Verstappens Zieldurchfahrt gab es an Verstappens Titelgewinn auch von juristischer Seite nichts mehr zu rütteln.
Mercedes kündigte allerdings umgehend an, gegen die Entscheidung der Stewards zum zweiten Protest weiter vorgehen zu wollen. «Wir haben unsere Absicht bekundet, gegen die Entscheidung der Stewards, den Protest des Teams abzulehnen, Berufung einzulegen», sagte ein Mercedes-Sprecher.
— Mercedes-AMG PETRONAS F1 Team (@MercedesAMGF1) December 12, 2021
Hamilton hatte in einem der bittersten Momente seiner Karriere zunächst ziemlich emotional reagiert: «Das wird doch manipuliert», wütete der entthronte Weltmeister über Funk. Nach dem Rennen zeigte der Brite aber Grösse und gratulierte seinem Rivalen zum WM-Titel. Auch im ersten kurzen Interview zeigte sich Hamilton als fairer Verlierer: «Gratulation an Max. Das war eine der schwierigsten Saisons», erklärte der Brite. Bei der offiziellen Pressekonferenz fehlte er dann, weil er wegen der Anhörungen zu den Stewards musste.
LEWIS: "Firstly, big congratulations to Max and to his team.
— Formula 1 (@F1) December 12, 2021
"But I'm so proud of my own team and we gave it absolutely everything. I've felt great in the car the last couple of months. We'll see what happens next year"#AbuDhabiGP 🇦🇪 #F1 pic.twitter.com/1X6h4nl0fQ
Die Mercedes-Bosse zeigten weniger Klasse als Hamilton. Teamchef Toto Wolff verschob seine angekündigte Presserunde und äusserte sich auch später nicht öffentlich zum Rennausgang. Offenbar wollte man bei den Silberpfeilen zunächst den Ausgang der Proteste abwarten.
Dafür meldete sich Williams-Pilot George Russell, der im nächsten Jahr für Mercedes fährt, zu Wort. «Das ist inakzeptabel», schrieb er bei Twitter. «Max ist ein fantastischer Fahrer, der eine unglaubliche Saison hatte und ich habe den grössten Respekt für ihn. Aber was da passiert ist, ist inakzeptabel. Ich kann nicht glauben, was wir gesehen haben.»
Max is an absolutely fantastic driver who has had an incredible season and I have nothing but huge respect for him, but what just happened is absolutely unacceptable. I cannot believe what we’ve just seen.
— George Russell (@GeorgeRussell63) December 12, 2021
Bei Red Bull zeigte man wenig Verständnis für die Proteste von Mercedes, Teamchef Christian Horner machte seinem Unmut bei der BBC Luft: «Wir wollten nie vor den Stewards landen. Wir gehen nicht mit Anwälten ins Rennen. Es ist eine Schande, dass es so weit gekommen ist, aber die Stewards haben die richtige Entscheidung getroffen», so Horner.
Auch Red-Bull-Motorchef Helmut Marko ätzte gegen Mercedes: «Es ist einem WM-Finale unwürdig, dass es so herausgezögert wurde. Wenn man solche Einsprüche einlegt, spricht das für die Gesinnung eines unwürdigen Verlierers.» Es sei «widerlich» einen Protest einzulegen, bei dem klar sei, dass er nicht funktionieren würde. (pre)