Die Tage vor dem Grossen Preis von Ungarn. Sie standen für den Formel-1-Rennstall Sauber zuletzt für Veränderungen. In Mogyorod war Frédéric Vasseur vor einem Jahr zum ersten Mal in seiner Funktion als Teamchef an einem Grand-Prix-Wochenende dabei. Der Franzose war wohl schon drei Wochen zuvor als Nachfolger der freigestellten Monisha Kaltenborn präsentiert worden, hatte sich vorerst aber der Arbeit in der Basis in Hinwil gewidmet.
Eine ganz andere Dimension hatte das, was sich zwölf Monate vor Vasseurs Installierung auf dem Chefsessel getan hatte. Vor der Abreise nach Ungarn konnten die damaligen Verantwortlichen um Firmengründer Peter Sauber den Besitzerwechsel verkünden. Die Übernahme durch die Waadtländer Longbow Finance SA im Auftrag der schwedischen Unternehmer-Familie Rausing markierte das Ende einer sich über drei Jahre hinziehenden Phase akuter finanzieller Probleme, die den Fortbestand des Teams aufs Höchste gefährdet hatte.
Die Geldsorgen waren mit einem Schlag aus der Welt geschafft. Vorbei war die Zeit, die bei der Belegschaft von grösster Sorge um den Arbeitsplatz und in der Buchhaltungsabteilung von unbezahlten Rechnungen, Betreibungen und Zahlungsbefehlen geprägt war. Die chronischen Verlierer hatten wieder eine Perspektive. Sauber war wieder ein Formel-1-Team mit Zukunft.
Die Zukunft ist mittlerweile Gegenwart, das sportliche Niemandsland Vergangenheit. In der zweiten Saison unter der neuen Führung dürfen sie in Hinwil wieder nach höheren Zielen streben. Ob es schon im nächsten Jahr zu Platz 4 in der Konstrukteure-Wertung reicht, wie es Pascal Picci, der Verwaltungsratspräsident der Sauber-Gruppe, am letzten Wochenende in Hockenheim formuliert hat, bleibe dahingestellt.
Wichtiger ist, dass im Zürcher Oberland die Rahmenbedingungen gegeben sind, die beim Bau und in der Entwicklung der Autos wieder das Optimum erlauben.
Piccis forsche Prognose könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Partnerschaft mit Ferrari weiter intensiviert wird. Ein erstes Indiz dafür ist das Engagement von Simone Resta. Der zuvor für Ferrari tätige Italiener wurde Ende Mai in Hinwil als neuer Technischer Direktor vorgestellt. Restas aktuelle Hauptaufgabe ist die Konstruktion des Autos für die kommende Saison. Dass er beim C38 die eine oder andere Idee aus Maranello einfliessen lässt, liegt auf der Hand.
Aktuell läuft die Zusammenarbeit mit Ferrari wie geschmiert. Der Antriebsstrang sorgt für den nötigen Schub der Autos – auch wenn die Italiener das Aggregat mit der neuesten Ausbaustufe gegenwärtig exklusiv in den eigenen Autos einbauen. Sagenhafte 38 PS mehr als das Vorgängermodell soll das neueste Produkt aus der Motorenschmiede der Roten leisten – in der Formel 1 ein nicht für möglich gehaltener Quantensprung, der bei der Konkurrenz nicht nur für Staunen sorgt.
Vorab bei Mercedes liegt der Verdacht der Manipulation nahe. Dass die Kontrolleure der FIA bei der Abnahme des Aggregats nichts Illegales festgestellt haben, ändert daran nichts.
Auf Fahrer-Seite wird Ferrari seinen Einfluss ebenfalls aufrechterhalten. Sollte der talentierte Monegasse Charles Leclerc schon nach dieser Saison nach Maranello zurückbeordert werden, stünde mit Antonio Giovinazzi der nächste Zögling der Scuderia bereit. Für die Rückkehr Leclercs als Nachfolger von Kimi Räikkönen nach nur einem Lehrjahr bei Sauber hatte sich der am Mittwoch verstorbene Sergio Marchionne stark gemacht.
Inwiefern das Ableben des bisherigen Ferrari-Präsidenten und Chefs von Fiat-Chrysler die Liaison zwischen Sauber und Ferrari in Zukunft beeinflussen wird, steht in den Sternen. Marchionne war es auch gewesen, der den Einstieg von Alfa Romeo im Zürcher Rennstall aufgegleist – und damit den Faktor Ferrari weiter erhöht hat. Für Marchionne war es der beste Weg, der Traditionsmarke zu weiterem Aufschwung zu verhelfen.
Für Picci stimmt der eingeschlagene Weg. Eine Übernahme etwa durch Alfa Romeo steht für ihn nicht auf der Prioritätenliste. «Wir wollen ein eigenständiges Team bleiben.» Für Picci gilt es deshalb abzuwägen, wie weit er sich mit seiner Equipe in die Obhut von Ferrari begeben will. Er muss, will er Sauber als Marke in der Formel 1 halten, den Spagat zwischen Autonomie und Abhängigkeit schaffen. (abu/sda)