Für einmal hatte auch Piastri nichts zu bemängeln. Er wirkte nach dem Qualifying am Samstag noch entspannter als ohnehin. Durfte er auch sein nach der Eroberung des besten Startplatzes, seiner zweiten Pole-Position in Folge. Alles sei nach Wunsch gelaufen. Logisch. Was blieb ihm auch anderes übrig zu sagen.
Ganz so logisch war die Einschätzung der Lage gleichwohl nicht für einen wie Piastri, der sehr oft zur Selbstkritik neigt, der über den Streckenrand hinaus schaut, vieles hinterfragt, der getrieben ist vom Anspruch, stets das Gütesiegel erster Klasse umgehängt zu bekommen. In seinem Beruf, in dem er sich oft am Limit bewegt, hat er nach seiner Einschätzung die eigenen Grenzen noch längst nicht ausgelotet. Seine Demut erstickt Gedanken, schon im Alter von 24 Jahren ein kompletter Rennfahrer zu sein, im Keim.
Piastri ging seinen Weg in der Knochenmühle Automobilrennsport stets konsequent - und fuhr im Wortsinn gut damit. Gut fuhr er von allem Anfang an. Vor knapp sechs Jahren wurde er Meister im Formel Renault Eurocup, in den folgenden zwei Saisons auch in der Formel 3 und in der Formel 2. Den Schritt in die Formel 1 vollzog er auf die vorletzte Saison hin. Das «Wunderkind», der «kommende Weltmeister», wie die Fachleute Piastri nannten, war auf der grösstmöglichen Bühne angekommen - auch wenn erst nach einem Rechtsstreit.
In der Equipe Alpine, dem Werkteam des Autokonzerns Renault, dessen Nachwuchs-Organisation Piastri angehört hatte, pochten sie auf die Beförderung des jungen Australiers zum Stammfahrer. Piastri selber aber hatte anderes im Sinn. Er entschied sich für die Anstellung im Rennstall McLaren, in dem er die besseren Perspektiven sah. Das «Formula One Contract Recognition Board», der in der Königsklasse fürs Vertragswesen zuständige Ausschuss, segnete die umstrittene Rochade schliesslich ab. Piastri konnte sich als Nachfolger seines Landsmanns Daniel Ricciardo den Orangenen anschliessen.
Aus sportlicher Warte hatte Piastri den richtigen Entscheid gefällt. Das Team McLaren zeigte schon im Einstiegsjahr des Hochtalentierten erfreuliche Tendenzen, die Piastri seinerseits zu nutzen vermochte. Bereits in seinem dritten Formel-1-Rennen sicherte er sich dank Rang 8 im Grand Prix von Australien die ersten vier WM-Punkte. Sechs Monate später liess er mit den Rängen 3 und 2 in den Grossen Preisen von Japan und Katar die ersten Podestplätze folgen.
Auf dem Rundkurs in Sakhir, auf dem er vor zwei Jahren in der Formel 1 debütiert hatte, trat Piastri schon als dreifacher Sieger an - und nutzte resolut den Vorteil, als Angestellter von McLaren über das derzeit beste Auto im Feld zu verfügen. Der Australier zeigte wie der MCL39 über die gesamte Distanz keinerlei Schwächen.
Piastri, der in diesem Jahr schon im Grossen Preis von China nicht zu schlagen war, liess sich auch durch eine Safety-Car-Phase nicht aus der Ruhe bringen. Nach der Wiederfreigabe des Rennens bekundete er keinerlei Probleme, die Führung zu behaupten. Das Ziel in seinem 50. Grand Prix erreichte er über 15 Sekunden vor Russell. Der Auftritt des Führungswagens war nötig geworden, um die Strecke von Teilen des Williams mit Carlos Sainz und des Red Bull mit Yuki Tsunoda zu säubern. Der Spanier und der Japaner waren sich ins Gehege gekommen.
Kein Faktor im Kampf um die vordersten Plätze war Weltmeister Max Verstappen im Red Bull. Der Niederländer kam vorab wegen Bremsproblemen nicht über Platz 6 hinaus. Auch für die Fahrer des Teams Sauber wars ein Rennen zum Vergessen. Der Deutsche Nico Hülkenberg wurde nach Rang 13 wegen der zu geringen Dicke des Unterbodens disqualifiziert. Der Brasilianer Gabriel Bortoleto fand sich in der Schlussrangliste auf Platz 18 wieder.
Norris war nach einem verpatzten Qualifying nur von Platz 6 losgefahren. Dazu belegten ihn die Stewards im Rennen mit einer Zeitstrafe von fünf Sekunden, weil er seine Startposition nicht vorschriftsgemäss eingenommen hatte.
In der WM-Wertung führt Norris nun mit drei Punkten Vorsprung vor Piastri. Das interne Duell spitzt sich weiter zu nach einem Wochenende in Bahrain, an dem der Australier alles richtig gemacht hat und vieles für ihn gelaufen ist. Zu bemängeln hat Piastri verständlicherweise auch am Sonntag nichts gehabt. (sda)