Ernüchtert. Ausgekontert. Brutal abgestraft. Die langen Gesichter der Schweizer Nationalspieler auf dem Weg zum Mannschaftsbus sprechen nach der 0:2-Pleite gegen England zum Auftakt der EM-Kampagne für sich.
Gross waren die Hoffnungen auf einen Traumstart in die neue Ära mit Vladimir Petkovic gewesen, stattdessen hat das gnadenlose England der Nati einen Albtraum beschert. 1981, beim letzten Sieg gegen die «Three Lions», waren sämtliche Schweizer Spieler im aktuellen Kader noch höchstens als Familienplanung ihrer Eltern existent. Trotzdem hatten sie die Favoritenrolle gegen Roy Hodgsons vermeintliche Krisentruppe angenommen – und scheiterten an den eigenen Erwartungen. Wie zuletzt immer, wenn es gegen einen der sogenannten «Grossen» ging.
Jetzt gilt es kühlen Kopf zu bewahren. Noch ist nichts verloren, die Lage ist noch nicht einmal kritisch – dem neuen verwässerten EM-Modus mit 24 Teilnehmern sei Dank. Auch wenn Statistik-Freaks mit einem ausgeprägten Hang zum Pessimismus entgegnen mögen, dass sich die Schweiz seit 50 Jahren nie mehr für eine Endrunde qualifizieren konnte, wenn das Startspiel der Kampagne verloren ging.
Nicht alles war gut vor diesen ersten 90 Minuten unter Petkovic im St.Jakob-Park – und nicht alles ist danach schlecht. Drei Beobachtungen geben Anlass dazu, der näheren Zukunft dieser Nationalmannschaft optimistisch entgegenzublicken.
Die neue Schweizer Nummer 1 will nach dem Spiel nicht viele Worte über ihr Startelfdebüt in einem Pflichtspiel verlieren: «Das ist Nebensache. Wir wollten unbedingt mit einem guten Resultat in diese Quali starten, das ist uns leider nicht gelungen. Wir hatten unsere Chancen, England stand eigentlich lange nur noch hinten drin und hat gehofft, dass ihnen keiner reinfällt. Aber man kann eben auch nicht immer einen super Tag erwischen. Viel hat nicht gefehlt!»
Trotzdem gilt es nach Sommers Feuertaufe festzuhalten, dass er die Vorschusslorbeeren auch in der Nationalmannschaft mehr als gerechtfertigt hat. Nach einer Viertelstunde muss der 25-Jährige einen der diversen Patzer von Steve von Bergen mit seiner ersten Parade gegen Wayne Rooney ausbügeln – und tut dies bestechend sicher. Kurz vor der Pause bewahrt er die Schweiz mit zwei mirakulösen Aktionen innerhalb einer Minute vor dem Rückstand. Vor allem der Reflex, mit dem er den Kopfball von Phil Jones von der Linie kratzt, beweist endgültig, dass die Nati auch nach Diego Benaglios Abgang einen Weltklasse-Rückhalt im Kasten hat.
Viel wurde schon gesagt und geschrieben über die kompromisslose Fussballphilosophie des tätowierten Kriegers im defensiven Schweizer Mittelfeld. Doch was er gegen England abliefert, sorgt sogar auf der traditionell unterkühlten Haupttribüne für Szenenapplaus. Auch beim Hamburger SV dürften sich die leidgeplagten Verantwortlichen angesichts des Auftritts ihres Neuzugangs gegen England gegenseitig auf die Schultern geklopft haben.
Behrami grätscht, Behrami fightet, Behrami gibt keinen einzigen Ball verloren. Noch offensichtlicher wird die Wichtigkeit des hyperaggressiven Abräumers für das Schweizer Spiel, wenn sein Nebenmann Inler wie gestern einen Abend mit Licht und Schatten einzieht. Der Captain wird nach einer Stunde vor dem 0:1 an der Mittellinie von Granit Xhaka in die Bredoullie gebracht und steht dann mit seinem Ballverlust am Ursprung der verhängnisvollen englischen Überzahl.
Inler erklärt: «Ich bin kein Spieler der sich versteckt. Ich wurde im Mittelfeld gepresst, hatte zwei Spieler gegen mich und versuchte den Ballbesitz zu behaupten. Die Chance war 50:50. Ich hätte den Ball an dieser Stelle auch wegschiessen können, aber ich bin eben keiner der das tut.» Die Aussage sei gewagt: Behrami hätte den Ball an dieser Stelle auch verloren, doch er hätte danach wohl mindestens einen der drei Engländer unterwegs zu Sommers Kasten eigenhändig aus dem Weg geräumt.
Josip Drmic oder Haris Seferovic? Keine Frage hat Schweizer Fussballfans in den vergangenen Tagen so sehr beschäftigt. Nach dem 0:1 bringt Vladimir Petkovic sie für die letzte halbe Stunde beide zusammen. Eindrücklich: Josip Drmic, der als Verlierer aus dem Kampf um den Platz in der Startelf aus der Vorbereitung kommt, zieht am Spielfeldrand einen Vollsprint von der Eckfahne bis zur Ersatzbank an, als ihm der Trainer endlich das heissersehnte Signal zur Einwechslung gibt.
Auf dem Platz ergänzen sich die beiden Kontrahenten wie im Schlaf und erspielen sich gemeinsam diverse gute Abschlussgelegenheiten. Eine davon, entstanden aus einer nichtgeahndeten Offsideposition, ist gar ein absoluter Hochkaräter – nur Cahill mit einem Kamikaze-Einsatz auf der Linie gibt den Spielverderber. Für ein Happy End fehlt schlicht Fortunas Hilfe. Das sieht auch Drmic so: «Ein paar Chancen hatten wir. Haris hatte es auf dem Fuss, ich auch in der zweiten Halbzeit. Ein 1:1 wäre fair gewesen, aber jetzt haben wir individuelle Fehler gemacht, die wir nicht hätten machen dürfen.»
Noch salopper bilanziert Seferovic: «Es ist eine Scheiss-Niederlage. Die erste Halbzeit war ausgeglichen, die zweite waren wir klar besser. Es hat das Glück beim letzten Pass gefehlt. Wir müssen die Chancen ausnutzen, so wurden wir bitter bestraft.»
Ein Nati-Abend ohne Beute, eine «scheiss Niederlage», viele enttäuschte Hoffnungen – aber diejenige auf eine erfolgreiche Zukunft unter Petkovic bleibt intakt.