US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann lässt die Schweizer Journalisten lange warten. Zum vereinbarten Termin im «Renaissance Tower Hotel» in Zürich erscheint er mit knapp einer Stunde Verspätung. Kommunikationschef Michael Kammarman entschuldigt ihn: «Er ist in Sachen Pünktlichkeit der undeutscheste Deutsche der Welt.» Macht nichts, denn als der 50-Jährige endlich da ist, hat er eine Menge interessanter Dinge zu erzählen.
Jürgen Klinsmann und Team sind schon seit einer Woche in Zürich, am Dienstag testen die USA gegen die Schweiz #SUIUSA pic.twitter.com/xV2uYM2VTB
— Tilman Pauls (@tilman_p) 28. März 2015
«Eigentlich ist er nicht mehr zu stoppen. Es ist eine spannende Zeit. Seit man sich für die WM 1990 qualifiziert hat und seither an jeder Endrunde mit dabei gewesen ist, sieht man den Sport Stück für Stück wachsen. Der US-Fussball ist nicht dazu da, um American Football, Basketball oder Baseball zu konkurrenzieren, aber er hat seine eigene Nische gefunden. Die MLS geht in die 20. Saison und hat mit einem Zuschauerschnitt von 19'000 bereits denjenigen der Hallensportart Eishockey überholt. Die WM in Brasilien hat nochmals einen Riesenschub gegeben. Wir hatten die zweitgrösste Anzahl an Fans vor Ort – mehr als Ghana, mehr als Portugal und wohl sogar mehr als Deutschland.»
«Nein, nein, nein, nein, nein. Es ist einfach ein logische Entwicklung, welche die Sportart erlebt. Ich darf jetzt nur die Arbeit derjenigen weiterführen, die vor mir da waren und sie mit meinen Ideen weiterentwickeln. Der US-Fussball ist noch sehr schulorientiert. Er ist dazu da, zu Stipendien an den Universitäten zu führen und hat nicht das Ziel, Profisportler auszubilden. Aber wir haben mittlerweile Millionen von Kindern, die den Sport betreiben – und je mehr du spielst, desto besser wirst du.»
«Die Schweizer haben gegen Estland einen sehr einfachen Sieg mit viel Disziplin und Ruhe eingefahren. Sie haben das ganze Spiel komplett kontrolliert, denn der Gegner hatte viel zu viel Respekt. Aber den hat sich die Schweiz auch über Jahre hinweg erarbeitet. Sie hat sich weltweit einen sehr guten Namen gemacht. Wir wollen gegen die besten Mannschaften testen und dabei so viel lernen wie möglich. Das gelingt nun einmal eher gegen starke Teams als gegen solche, bei denen erwartet wird, dass man sie schlägt. Wir sind bewusst mit dem Risiko nach Europa gekommen, dass wir nicht so viele Spiele gewinnen. Aber wir können den Gegner auch immer überraschen – Italien und Bosnien haben wir auch schon geschlagen.»
«Wir orientieren uns an der Weltspitze: Spanien, Deutschland, Argentinien, Brasilien. Wir wissen, dass wir noch nicht dort sind, aber wir wollen irgendwann in die Top 15 der Welt, da bleiben und mitreden. Doch dazu braucht es noch viel Arbeit, vor allem auch im Unterbau. Dazu haben wir seit 2007 ein flächendeckendes System von Jugendakademien aufgebaut – mittlerweile sind es 80 Stück. Dazu ein Scoutingsystem in Europa und eines in Mexiko. Wir wissen in allen Altersgruppen detailliert über alle Spieler Bescheid.»
«Das ist machbar, aber schon sehr zeitaufwendig. Vor allem wenn es in Richtung Turnierarbeit geht. Im Juli starten wir in den Gold-Cup, der fast einen Monat dauert. Dann werden die Themen, die der Weiterentwicklung dienen, erst einmal stehenbleiben.»
«Ich lebe nun seit 17 Jahren dort. Wir sind nach der WM 1998 hinüber gezogen. Ausschlaggebend war die Frage, wo unser damals einjähriger Sohn aufwachsen sollte. Da habe ich mich für die Nähe der Familie meiner Frau in Südkalifornien entschieden. Rückblickend war das ganz gut, bei allem Respekt vor meiner Heimat, der ich sehr verbunden bin. Es geht uns gut, wir leben ein ganz normales Leben, denn der Fussball ist nicht da, wo er in Europa ist. Er ist in der Entwicklung, er geht nach oben – aber er ist relativ entspannt.»
«Ich war 19 Jahre jung, als uns der damalige Präsident der Stuttgarter Kickers nach der Saison zehn Tage nach Miami eingeladen hat. Das ist kein schlechter Fleck. Da war ich ein bisschen überwältigt, das war für mich die grosse weite Welt. Am Ende sind wir nach Hause geflogen, denn die Tickets waren bereits bezahlt, aber eine Woche später war ich schon wieder zurück. Da war die erste emotionale Bindung schon da, die hat sich immer fortgesetzt und dann habe ich in Europa meine amerikanische Frau kennengelernt.»
«Die Nähe. Als ich bei Inter gespielt habe, da waren es viereinhalb Autostunden bis Stuttgart. Das ist für jemanden in Kalifornien gar nichts. Da fährt man zum Essen irgendwohin schon mal ein paar Stunden. Dann die Vielfalt Europas, die verschiedenen Sprachen und Kulturen, die so eng aneinandergrenzen. Wenn ich zu Meetings in New York fliege, dann bin ich fünfeinhalb Stunden unterwegs und trotzdem ist immer noch ein Starbucks vor der Tür. Hier kann ich heute Abend mit der Mannschaft ein Fondue essen. Wir benützen diese Reisen auch zur Fortbildung der Jungs. Sie saugen das alles in sich auf.»
«Es ist ganz natürlich, dass diese Diskussionen entstehen. Das ist ein gesellschaftliches Thema, dass sich im Fussball wiederspiegelt. Man darf sie nur nicht überdrehen und muss irgendwann wieder Abstand nehmen. Die Zusammenführung von Menschen aus verschiedenen Kulturen, ist nicht einfach, denn diese denken verschieden. Es erfordert viele Gespräche und guten Willen, um eine gemeinsame Chemie zu finden. Als ich als deutscher Spieler nach Italien gegangen bin, da dachte ich, es wird alles so ablaufen wie im schönen Stuttgart. Korrekt, pünktlich und so weiter. Bis ich gemerkt habe, dass die Italiener da ein bisschen anders denken. Irgendwann habe ich begriffen, dass man die Leute akzeptieren muss, wie sie sind. Sonst läuft man jeden zweiten Tag gegen eine Wand und das tut dann irgendwann weh.»
«Ich glaube, das war gegen die Schweiz? Ja, in Kaiserslautern. So ein paar Dinge vergisst man nicht. Das war aber auch ein schwerer Abwehrfehler, muss ich sagen.»