Der schmucklose graue Betonkasten überragt sein Umfeld bei Weitem. Die Häuser, die Wälder und auch die Hügel am gegenüber liegenden Ufer der Wolga verschwinden fast neben dem Lada-Resort. Und doch döst das Hotel der Schweizer Nationalmannschaft irgendwie unscheinbar vor sich hin.
Die schmale Asphaltstrasse, welche die Anlage mit der Hauptstrasse verbindet, ist nicht ausgeschildert. Zwei Polizisten stehen vor ihrem Dienstwagen und stellen sicher, dass Unbefugte das Resort nicht betreten. Keine Genehmigung, kein Zutritt. Näher als 300 Meter kommt keiner ans Lada-Resort heran.
Willkommen in Russland. Doch wer nun die Klischees von russischen Agenten-Filmen bemühen will, liegt falsch. Das Mannschaftshotel der Schweizer wird von weniger Personal bewacht als jenes vor vier Jahren im quirligen Porto Seguro an der brasilianischen Atlantikküste. Gar nicht zu sprechen vom regelrechten Checkpoint, der das Schweizer Quartier vor zwei Jahren in Montpellier von der Aussenwelt abgeschirmt hat. Es ist viel eher so: Togliatti, diese Industriestadt an der Wolga, 1000 km östlich von Moskau gelegen, hat das Schweizer Team mit viel Diskretion aufgenommen.
Im Zentrum der Stadt, entlang der Ulitsa Mira, der Strasse des Friedens, welche die Einheimischen mit einem Lächeln die «Champs-Elysées von Togliatti» nennen, wehen keine Schweizer Fahnen. Die Stadt hat sich für die Zeit der Fussball-WM nicht in eine Schweizer Exklave verwandelt, wie das vor zwölf Jahren in Bad Bertrich der Fall gewesen ist, diesem Rentner-Kurort in der Eifel. Man kann sich vorstellen, dass das städtische Torpedo-Stadion, die Spielstätte des örtlichen Drittligisten, nicht aus den Nähten platzt, wenn das Schweizer Nationalteam sich am Dienstagabend im öffentlichen Training den Menschen von Togliatti vorstellt.
Die Einwohner von Togliatti verbringen diesen Dienstag nämlich mehrheitlich ausserhalb der Stadt in ihren Datschas, den Ferienhäusern auf dem Land. Es ist der 12. Juni, der Nationalfeiertag, der von Boris Jelzin, dem ersten russischen Staatspräsidenten nach dem Ende der Sowjetunion, Anfang der 90er Jahre zum Tag der Unabhängigkeit erklärt wurde. In den Gärten ihrer Datschas oder an den Stränden der Wolga grillieren sie Schaschlik und lassen es sich gut gehen.
Das dürfen sie durchaus. Die Arbeitslosigkeit ist tiefer als in den meisten andern Städten Russlands und das monatliche Durchschnittseinkommen von rund 800 Franken zumindest für russische Verhältnisse gar nicht mal so tief. Da lässt es sich durchaus respektabel leben, finden sie.
Auch wenn die Stadt tatsächlich nicht schön ist und vor allem keine touristische Infrastruktur bietet. Wenige Geschäfte, wenige Restaurants. Auch Togliattis Champs-Elysées lädt kaum zum Flanieren ein.
Der Stolz der jungen Stadt, die erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurde, sind die Lada-Werke in Awtosawodski, der so genannten Neuen Stadt und der grösste der drei Stadtteile, welche zusammen Togliatti ausmachen. Noch immer sind die Lada-Werke für den Pulsschlag des wirtschaftlichen Lebens in der Stadt verantwortlich, auch wenn die Zahl der Beschäftigten in den letzten knapp 30 Jahren von 100'000 auf 35'000 zurückgegangen ist.
Zu Sowjetzeiten erreichte Lada Spitzenwerte von einem produzierten Auto alle 22 Sekunden. Heute ist die Produktion auf einen Drittel geschrumpft, dafür gehen vom 1.5 km langen Fliessband nicht nur Ladas sondern auch Renaults, Nissans und Chevrolets ab.
Die Produktion von Automarken aus Frankreich, Japan und den USA ist fast ein internationaler Farbtupfer in dieser Region. Ausländer verirren sich nur ganz selten nach Togliatti. Es sei denn, sie kommen hierher, um sich auf ihre WM-Einsätze vorzubereiten. Und dann kommt ihnen die unaufgeregte Art der Menschen hier womöglich sogar gelegen. (abu/sda)
die sollen sich ja auch auf den fussball konzentrieren und keinen urlaub machen ...