Was für eine Blamage! Manchester United ging im Derby gegen Stadtrivale City mit 1:4 unter – und das Resultat war noch das Beste aus Sicht der «Red Devils». Leistete der englische Rekordmeister in der ersten Halbzeit immerhin noch etwas Gegenwehr, verkam der Auftritt des Teams von Ralf Rangnick nach dem Seitenwechsel zur kompletten Bankrott-Erklärung: 21:79 Prozent Ballbesitz, 0:14 Torschüsse, 4:26 Ballberührungen im gegnerischen Sechzehner alleine in den zweiten 45 Minuten.
📊 The last time before today that Man Utd failed to have a shot in the 2nd half of a PL game was the 0-0 draw at Liverpool in October 2017 pic.twitter.com/1v4OiJ1lun
— Sky Sports Statto (@SkySportsStatto) March 6, 2022
ManCity kombinierte nach Belieben, dominierte so das Mittelfeld und war bei den kleinsten Ansätzen eines gegnerischen Konters sofort mit fünf bis sechs Spielern hinter dem Ball, um dann wieder blitzschnell umzuschalten. Das Pressing von United blieb so fast komplett wirkungslos. Phasenweise hatten die «Skyblues» so gar 92 Prozent Ballbesitz.
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ManUnited-Legende Gary Neville, der das Derby für Sky als Co-Kommentator begleitete, zeigte sich nach dem Spiel geschockt vom Geschehen auf dem Platz: «So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen. Sie haben einfach aufgegeben», sagte der ehemalige Weltklasse-Verteidiger. «Ich verstehe, dass es schwer ist, gegen so ein Top-Team zu spielen, doch sie gehen einfach auf dem Platz spazieren. Das ist bei Weitem nicht gut genug. Das geht nicht. Einfach peinlich.»
"They were spiritless" 😬
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Gary Neville says that Manchester United's performance was 'nowhere near good enough' during their defeat to Manchester City 👇 pic.twitter.com/BXeuKi2FDg
Sky-Experte Roy Keane konnte seinem ehemaligen Teamkollegen im Studio nur Recht geben: «Es war beschämend. Das Schlimmste an diesem Auftritt ist, dass die ganze Mannschaft aufgegeben hat», so der frühere ManUnited-Captain. «Aufzugeben ist unverzeihlich. Wir haben heute alle Schwächen von United gesehen.» Jede Mannschaft könne mal ein Spiel verlieren, aber nicht auf diese Art und Weise. «Wenn du für United spielst, ist es unakzeptabel, nicht zurückzulaufen. Fünf oder sechs Spieler sollten nie wieder für Manchester United spielen dürfen.»
"They gave up and shame on them"
— Sky Sports (@SkySports) March 6, 2022
Roy Keane didn't hold back on Manchester United's second-half performance during their 4-1 defeat to Manchester City 👇pic.twitter.com/7NIG4JGjCY
Experten-Kollege Micah Richards konnte da nur zustimmen: «Es war, als hätten in der zweiten Halbzeit Männer gegen Kinder gespielt», meinte der frühere City-Verteidiger und ergänzte in Richtung des 50-jährigen Keane: «Du hättest heute noch einen besseren Job gemacht als manche Spieler.»
Uneinigkeit herrschte dagegen darüber, ob Rangnick wirklich der richtige Coach für ManUnited ist. Der 63-jährige Deutsche bleibt als Interimslösung nur bis Ende Saison und wirkte nach der 1:4-Pleite ziemlich ratlos. «Wir haben in der ersten Halbzeit ein gutes Spiel gemacht. Aber das ist eine der zwei besten Mannschaften der Welt. Darum sind wir in der zweiten Halbzeit an unsere Grenzen gestossen. Nachdem es 1:3 stand, war es extrem schwierig. Wenn du dann höher ins Pressing gehst, riskierst du ein viertes, fünftes oder sechstes Gegentor», erklärte Rangnick die passive United-Taktik nach der Pause.
Seit seinem Amtsantritt Anfang Dezember verlor Rangnick im 14. Spiel zwar erst zum zweiten Mal. Die spielerische Kluft zu City war allerdings derart immens, dass sich ganz Fussball-England nun fragt, wie diese in absehbarer Zeit geschlossen werden soll.
Neville verteidigte den ManUnited-Trainer aber trotz aller Kritik, die nach der Derby-Pleite sofort aufbrandete: «Rangnick ist für fünf, sechs Monate als Trainer hier und kriegt so wertvolle Einblicke in die Kabine. Danach wird er den nächsten Trainer auswählen und den Klub in den kommenden zwei Jahren beraten. Das könnte durchaus aufgehen.»
Richards konnte das gar nicht verstehen. «Warum sollte man ihm überhaupt den Trainerjob geben? Wir reden hier über das Hier und Jetzt. Du willst die Saison also einfach abschreiben? Ist es das, was du tust?», schimpfte er in Richtung von Neville, der sofort konterte: «Micah, Micah, du wetterst nur und was du sagst, macht nicht wirklich Sinn.»
"Do they want to be mediocre for the next 10 years, is that what they want?!"
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The Super Sunday panel have a heated debate over Ralf Rangnick's position and the managerial role at Manchester United 😳 pic.twitter.com/X7JrwYkGcM
Das fand Richards natürlich gar nicht komisch: «Nur weil du mit Manchester United in Verbindung stehst, bedeutet das nicht, dass meine Meinung irrelevant ist», erklärte er und monierte vor allem, dass United sich nicht den aktuellen Tottenham-Trainer Antonio Conte krallte, als dieser noch verfügbar war.
Doch wieder verteidigte Neville den Schritt seines ehemaligen Arbeitgebers: «Sie wollten ihn nicht und ich stimme ihnen zu, dass sie ihn nicht wollten. Conte ist kein Manager für Manchester United. Er kommt für ein oder zwei Jahre und macht einen tollen Job, doch das Team bleibt mittelmässig. Das hat schon José Mourinho so gemacht», sagte er. «ManUnited will entweder Pochettino oder Ten Hag für ein langfristiges Projekt verpflichten und sie brauchten jemanden, der bis zum Ende der Saison durchhält.»
Doch die Saison einfach abzuschreiben, kann auch gefährlich sein. Aktuell liegt ManUnited zwar auf Europa-League-Rang 5, und der Rückstand auf das viertplatzierte Arsenal beträgt nur einen Punkt, doch die «Gunners» haben noch drei Spiele weniger auf dem Konto.
Nicht nur deshalb ist im Team grosse Unruhe entstanden. Rangnicks Entscheidungen passen offenbar nicht jedem: Eigengewächs Marcus Rashford will den Klub gemäss Transfer-Experte Fabrizio Romano im Sommer verlassen, weil er unter dem Deutschen zu wenig Einsatzzeit bekommt. Im Derby gegen City wurde das 24-jährige Super-Talent erst in der 64. Minute eingewechselt, obwohl Mason Greenwood, Edinson Cavani und Cristiano Ronaldo fehlten.
Das Fehlen von Ronaldo spielte auch in den Stunden nach der 1:4-Niederlage eine Rolle. Denn der an der Hüfte verletzte Portugiese war nicht einmal im Stadion. Wie unter anderem «The Athletic» berichtete, reiste Ronaldo schon vor dem Anpfiff der Partie in seine Heimat Portugal. Das kam bei den Mitspielern angeblich nicht sonderlich gut an.
Gerüchten zufolge war Ronaldo auch nicht verletzt: CR7-Fans mutmassten auf Social Media, dass Rangnick aus taktischen Gründen auf den Portugiesen in der Startelf verzichtete und dieser seinen Trainer deshalb gebeten habe, ihn gleich ganz aus dem Kader zu streichen.
«Der Manager von Manchester United hat eine defensivere Taktik für das Spiel gegen Manchester City gewählt. Ronaldo wird nicht einmal auf der Bank sitzen», hiess es in einem Instagram-Post, der unter anderem von Ronaldos Schwester Katia Aveiro gelikt wurde.
Rangnick widersprach dieser Darstellung vor dem Anpfiff: «Cristiano hatte am Freitag einige Probleme mit seinem Hüftbeuger und hat seitdem nicht trainiert.» In der aktuellen Form wäre Ronaldo aber wohl auch keine Verstärkung gewesen, im Jahr 2022 hat er erst einmal getroffen. Mit 15 Treffern in 31 Spielen ist er aber immer noch Topskorer der Mannschaft, die im Sommer unter einem neuen Trainer wohl ohne den fünffachen Weltfussballer ein total neues Gesicht bekommen wird.