Fast vier Monate ist es her: In St. Gallen brodelt das Stadion, viele der 19'000 Zuschauer sind ausser sich. Zweimal hat der Videoschiedsrichter innerhalb kurzer Zeit gegen die St. Galler entschieden. Guillaume Hoarau profitiert davon und trifft in der 97. Minute für YB vom Penaltypunkt zum 3:3.
Niemand ahnte damals, dass es für lange Zeit der letzte Treffer in der Super League bleiben sollte. Genauso unvorstellbar war an jenem emotionsgeladenen Sonntagnachmittag, dass Wochen später die Meisterschaft ohne Zuschauer stattfinden würde.
Einige Präsidenten der Super-League-Klubs haben mit sich gerungen, bevor sie Ende Mai mit grosser Mehrheit für die Fortsetzung der Saison gestimmt haben. Keine Zuschauer heisst in der Super League auch kaum Einnahmen. Dafür müssen nun die Spieler wieder entlöhnt werden, die zuvor Kurzarbeitsentschädigungen kassiert haben. Die Rechnung geht für die Vereine nicht annähernd auf. Aber zumindest werden Fans, Sponsoren und TV-Partner zufrieden gestellt. Und die Spieler bekommen die Möglichkeit, sich zu zeigen, was für eine Liga, die einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen mit Transfers generiert, von Bedeutung ist.
Es ist ein Mammutprogramm, das auf die Akteure wartet: 13 Runden in 45 Tagen. Für einige Mannschaften folgen im August noch Cup-Partien, und der FC Basel steht dann auch in der Europa League noch im Einsatz. Der ganze Spielplan ist so dicht gestaffelt, dass Verzögerungen das ganze Konstrukt ins Wanken bringen könnten.
Zumindest die Gefahr einer juristischen Blockade scheint gebannt: Sions Präsident Christian Constantin hat seinen Widerstand gegen den Neustart der Meisterschaft offenbar aufgegeben, nachdem sein Einspruch bei der Wettbewerbskommission erfolglos geblieben war.
Der wohl einmalige Sprint Richtung Saisonende ist in verschiedener Hinsicht eine Herausforderung. Die Klubs sind derzeit nicht nur daran, ihre Spieler fit zu machen, sondern müssen auch Ende Juni auslaufende Verträge verlängern.
Bei Neuchâtel Xamax ist die halbe Mannschaft von dieser Situation betroffen. Es könnte also sein, dass den Neuenburgern im Juli plötzlich wichtige Spieler nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit Geoffroy Serey Die und Gaëtan Karlen sind bereits zwei abgesprungen. Andere Klubs sind in ähnlichen Situationen.
Es gibt viel zu meistern für die Klubs. Improvisation ist gefordert, etwa bei der nicht überall gleich problemlosen Umsetzung der Hygiene-Massnahmen in den Stadien oder bei der Verteilung der wenigen Plätze für die Spiele. Das grosse Glück der Super League ist, dass sie trotz der schwierigen Umstände ein vielversprechendes Finale bieten kann. «Ohne Spannung wären Geisterspiele noch weniger lustig», bringt es St. Gallens Präsident Matthias Hüppi auf den Punkt.
Hüppis Mannschaft geht als Leader in die Schlussphase des Meisterrennens, punktgleich mit den Young Boys und fünf Zähler vor dem FC Basel. Es winkt der dritte Meistertitel, wenn sich die überraschenden Ostschweizer so gut schlagen wie in den ersten 23 Runden. Ob sie das schaffen oder ob die Karten nach der langen Pause ganz neu gemischt werden, ist schwer vorauszusagen.
Mit den nun erlaubten fünf Auswechslungen dürften aber die Teams mit dem breiteren Kader einen Vorteil haben, also der FCB und vor allem die Young Boys, bei denen Guillaume Hoarau und Miralem Sulejmani ihre Ende Juni auslaufenden Verträge bis Saisonende verlängert haben.
Für den FC St. Gallen spricht, dass er die jüngste Mannschaft der Liga stellt. Im Schnitt waren die Spieler in der Startformation im bisherigen Saisonverlauf bloss 23 Jahre alt. Die Ostschweizer dürften demnach weniger Mühe mit der Regeneration während den englischen Wochen haben als die Konkurrenz. Dafür fehlt ihnen die Erfahrung, mit einer solchen Belastung umzugehen. Viele bei YB und Basel haben dank dem Europacup solche intensive Wochen, wie sie nun bevorstehen, schon erlebt. Eine der Fragen im Meisterrennen wird also sein: Was ist hilfreicher, die erfahrenen Köpfe aus Bern und Basel oder die jungen Beine aus St. Gallen?
Im Rennen um die drei Europacup-Plätze, die es über die Meisterschaft zu holen gibt, könnten auch Zürich, Luzern und vor allem Servette noch ein Wörtchen mitreden. Dahinter beginnt schon der Abstiegskampf mit Lugano, Sion, Xamax und dem FC Thun.
Die beiden Westschweizer Vereine haben sich in den letzten Wochen bereits eine kleine Transferschlacht geliefert. Das neu wieder von Paolo Tramezzani trainierte Sion holte von Xamax Serey Die und Karlen; Xamax übernahm von den Wallisern Johan Djourou und Xavier Kouassi, die von Constantin während der Corona-Pandemie entlassen worden waren. Den Punktsieg errangen die Neuenburger, die ihre beiden Neuzugänge schon in dieser Saison einsetzen dürfen.
Ansonsten geht es in der Super League in etwa mit dem gleichen Personalbestand weiter wie Ende Februar. Mit Spannung, späten Treffern und umstrittenen Entscheiden ist wieder zu rechnen. Bis erneut vor 19'000 Zuschauern gespielt werden darf, werden aber noch einige Wochen vergehen.
Wahrscheinlich ist, dass bereits bald die Obergrenze in den Stadien von 300 auf 1000 Personen angehoben wird. Bis dahin müssen einige wenige Privilegierte für die Stimmung sorgen. Die meisten Klubs verlosen vor den Heimspielen ein paar Dutzend Tickets an ihre Fans. (dab/sda)