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Massive Kritik am Urteil der FIFA-Ethikkommission: Chef-Ermittler widerspricht eigenem Bericht

Da haben sie noch gut Lachen: FIFA-Präsident Sepp Blatter wird flankiert vom russischen Premierminister Igor Shuvalov (r.) und Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani, dem Emir von Katar, bei der WM-Bekann ...
Da haben sie noch gut Lachen: FIFA-Präsident Sepp Blatter wird flankiert vom russischen Premierminister Igor Shuvalov (r.) und Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani, dem Emir von Katar, bei der WM-Bekanntgabe für 2018 und 2022.Bild: Michael Probst/AP/KEYSTONE
Vergabe der WM 2022 an Katar

Massive Kritik am Urteil der FIFA-Ethikkommission: Chef-Ermittler widerspricht eigenem Bericht

Korruption bei der Vergabe der Fussball-WM 2018 oder 2022 soll es keine gegeben haben, so das Urteil der FIFA-Ethikkommission. Doch jetzt kritisiert der Fifa-Chefermittler selber die hausinterne Weisswaschung.
13.11.2014, 10:4113.11.2014, 15:42
Michael Wulzinger / spiegel Online
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Katar hat vor knapp vier Jahren den Zuschlag zur Ausrichtung der Fussball-Weltmeisterschaft 2022 erhalten, ohne dass nachweislich Korruption im Spiel gewesen ist. Zu diesem Ergebnis kommt die Ethikkommission des Fussball-Weltverbandes FIFA. Auch Russland, Gastgeber der Fussball-WM 2018, ist demnach freigesprochen von dem Verdacht, sich bei der umstrittenen Vergabe beider Turniere Anfang Dezember 2010 Stimmen von Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees gekauft zu haben.

So steht es in dem 42 Seiten umfassenden Urteil, das der deutsche Richter Hans Joachim Eckert als Vorsitzender der Spruchkammer der FIFA-Ethikkommission verfasst hat. Grundlage von Eckerts Richterspruch sind die Untersuchungen des FIFA-Chefermittlers Michael J. Garcia. Der frühere US-Bundesanwalt war den Korruptionsvorwürfen beim Rennen um den Zuschlag für die beiden Turniere mehr als zwei Jahre lang nachgegangen, seinen Untersuchungsbericht hatte er Eckert Anfang September vorgelegt.

FIFA-Chefermittler Michael J. Garcia kritisiert den Bericht.
FIFA-Chefermittler Michael J. Garcia kritisiert den Bericht.Bild: AP/KEYSTONE

Garcia selbst will nach neuesten Medienberichten nicht mehr hinter der Untersuchung stehen, da der «heutige Bericht zahlreiche sehr unvollständige und fehlerhafte Darstellungen» aufweise, so Garcia, der insgesamt über 75 Zeugen für seine Untersuchung befragte.

Ausserdem lässt der amerikanische Anwalt verlauten, dass er nun selber von der FIFA-Ethikkommission Rechenschaft über die mangelhafte Darstellung verlangen wird

Nur möglichst wenig nach aussen kommunizieren

Garcia hatte auch im Vorfeld intern darauf gepocht, möglichst viel seines 420-seitigen Berichts zu veröffentlichen, während Berufskollege Eckert auf eine gekürzte Fassung von 42 Seiten (erfolgreich) insistierte. 

Wie Eckert in seinem Urteil schreibt, war Garcia bei seinen Recherchen zu Katar durchaus auf Vorgänge gestossen, die «auf einen Mangel an Transparenz» hinwiesen und einen «negativen Eindruck» erwecken konnten. So hebt Eckert «mehrere unterschiedliche unangemessene Zahlungen» des früheren katarischen FIFA-Exekutivkomiteemitglieds Mohamed Bin Hammam an hochrangige Funktionäre des afrikanischen Fussballverbandes hervor.

Hans-Joachim Eckert leitete die Untersuchung.
Hans-Joachim Eckert leitete die Untersuchung.Bild: KEYSTONE

Bin Hammams Zahlungen dienten nicht der WM-Bewerbung

Die englische Zeitung «Sunday Times» hatte diese Vorgänge bereits im Sommer enthüllt. Eckert kommt nun wie Garcia zu dem Schluss, dass Bin Hammam mit diesen Zahlungen nicht die WM-Bewerbung Katars «promoten» wollte. Bin Hammams Absicht sei vielmehr gewesen, seine eigene Kandidatur bei der Wahl zum FIFA-Präsidenten im Juni 2011 zu «beeinflussen», bei der er als einziger Herausforderer des Amtsinhabers Joseph Blatter angetreten war.

Bin Hammam hat die Abstimmung nicht beeinflusst.
Bin Hammam hat die Abstimmung nicht beeinflusst.Bild: Shirley Bahadur/AP/KEYSTONE

Konform geht Eckert in seinem Richterspruch auch damit, wie Garcia bei seinen Untersuchungen eine Zahlung in Höhe von 1,2 Millionen Dollar bewertete, die Bin Hammam demnach an das frühere Mitglied der FIFA-Exekutive Jack Warner «im oder um den Juli 2011» überwies. «Diese Zahlung ist ein Bruch des FIFA-Ethikkodex», schreibt Eckert: «Jedoch steht dieses Fehlverhalten nicht im Zusammenhang mit der Abstimmung zur Fussball-WM am 2. Dezember 2010.»

Länderspiel Argentinien gegen Brasilien auf dem Prüfstand

In seinem Urteil erwähnt Eckert auch ein Freundschaftsspiel zwischen den Nationalteams Argentiniens und Brasiliens in Katars Hauptstadt Doha wenige Wochen vor der entscheidenden WM-Abstimmung – jeweils ein hochrangiger Funktionär beider südamerikanischer Verbände war ebenfalls stimmberechtigtes Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees. Der mehrere Millionen Dollar teure Event sei allerdings von katarischen Geschäftsleuten bezahlt worden, nicht vom WM-Bewerbungskomitee oder dem katarischen Fussballverband.

Eckert folgt sämtlichen Erwägungen Garcias im Fall Katar. In seinem Urteil hält Eckert fest, dass «möglicherweise problematische Fakten und Umstände» bei der WM-Bewerbung Katars «alles in allem nicht geeignet sind, die Integrität des Bieterverfahrens um die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 als Ganzes zu kompromittieren».

Jetzt auf

Eckert schliesst sich auch Garcias Einschätzung an, dass es «keine ausreichenden Belege für Fehlverhalten des russischen Bewerberteams» gebe. Aus Eckerts Richterspruch geht allerdings auch hervor, dass die Organisatoren der russischen WM-Bewerbung 2018 FIFA-Chefermittler Garcia bei seinen Untersuchungen nur bedingt unterstützten. So hätten die Russen «nur eine begrenzte Menge von Dokumenten zugänglich» gemacht. Ihre Begründung: Die Computer, die sie während der WM-Kampagne benutzten, seien «geleast» gewesen. «Der Besitzer hat bestätigt, dass die Computer mittlerweile vernichtet sind», heisst es in Eckerts Resümee.

FIFA-Präsident Blatter: «Den Ethikcode nicht verletzt».
FIFA-Präsident Blatter: «Den Ethikcode nicht verletzt».Bild: AP/KEYSTONE

Durchweg positiv bewertet Eckert in seinem Richterspruch die Rolle Blatters. «Die eine konkrete Anschuldigung gegen den Präsidenten», es gebe bei einer US-amerikanischen Bank ein Konto auf seinen Namen, sei «erwiesenermassen falsch». Eckert betont vielmehr: «Es muss klar gemacht werden, dass Präsident Blatter den Ethikcode nicht verletzt hat.» Blatter habe eine «Anzahl kritischer Reformen eingeführt, einschliesslich jener, die diese Untersuchung erst möglich machten». Als Chef der Organisation verdiene Blatter «Anerkennung für die Kooperation, welche die FIFA während dieser Ermittlung bewies».

Das Bieterverfahren der FIFA für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 bezeichnet Eckert zusammenfassend als «gut durchdacht, robust und professionell». Dennoch setzt er sich in seinem Urteil für einige Reformvorschläge ein. So sollten FIFA-Exekutivkomiteemitglieder, die sich bislang ohne Amtszeitbeschränkung wieder wählen lassen können, nach maximal acht Jahren ihre Posten endgültig räumen. Zudem sollte die FIFA eine «strenge Berichtspflicht einführen» – etwa für Besuche von Funktionären, die über eine WM-Wahl abstimmen, in Bewerberländern.

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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niciled
13.11.2014 11:36registriert September 2014
Ein hauseigenes Gremium urteilt über die nicht vorhandene Korruption in der FIFA. Guter Zug, Sepp! Wer's glaubt wird selig.
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saukaibli
13.11.2014 12:16registriert Februar 2014
Wie lächerlich will sich dieser Verein denn noch machen? Oder glauben die im Ernst, dass es auch nur eine einzige Person auf der ganzen Welt gibt, die der FIFA auch nur noch ein Wort glaubt?
Das ist ja, wie wenn die SVP sich selber vom Rassismus freisagen würde, unglaubwürdiger geht's einfach nicht mehr.
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hektor7
13.11.2014 12:46registriert August 2014
Gerade frage ich mich, was dämlicher ist: Korrupt zu sein oder die WM freiwillig an ein solches Land zu vergeben.
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