Es ist Ende Mai 2016. Bern steht kopf. Auf dem Bundesplatz findet die erste YB-Meisterfeier seit 30 Jahren statt. Stadtpräsident Alexander Tschäppät stimmt zusammen mit Züri-West-Sänger Kuno Lauener euphorisiert den YB-Meistersong an. Kurz darauf tänzelt Andy Rihs auf die Bühne. Sein Blick sucht das Zürcher Duo Infernale in «gäub-schwarzem» Dienst, Bickel & Forte, das seinen Drei-Jahres-Plan erfolgreich vollendete. Siegestrunken ruft Rihs in die Menge: «Ich sorge dafür, dass YB als erste Schweizer Mannschaft den Champions-League-Viertelfinal erreicht! Fredy, Uli, was meint ihr, reichen 15 Millionen?» Es gibt die ganze Nacht Freibier für alle.
Im letzten Oktober feierte das YB-Umfeld 10 000 Tage ohne Titel. Ja genau: feierte. Die Berner zelebrieren ihr Scheitern manchmal mit wohltuender Selbstironie. Aber gleichzeitig steigt die Sehnsucht von Jahr zu Jahr. Im Frühling 2016 ist es 30 Jahre her, seit YB zum letzten Mal Meister war. Der Hunger nach Erfolg ist viel grösser als in Basel, wo Titel längst Normalität sind. Der Wille, in neue Sphären aufzubrechen, verleiht YB Flügel.
Bis das YB-Chaos der letzten Jahre aufgeräumt war, dauerte es lange. Und selbstverständlich ging auch in der Ära Bickel/Forte nicht immer alles geräuschlos vonstatten. Aber das Duo hat sich längst eingespielt. Von dieser für YB-Verhältnisse ungewöhnlichen Kontinuität profitiert das Team nun. Auch Christian Gross wurde mit dem FCB einst in seiner dritten Saison erstmals Meister. Die Mannschaft konnte in den letzten beiden Jahren wachsen. YB hat auch Krisen erlebt, gemeinsam daraus herausgefunden und profitiert nun von diesen Erfahrungen.
Wollen wir es jämmerlich nennen? Erbärmlich? Armselig? Unwürdig? Oder gar devot? Es ist immer wieder dasselbe, wenn der FC Basel seine Titel-Herausforderer aus Zürich in den Direktduellen zerzaust, der Gegner erstarrt in Ehrfurcht. Bei YB ist das anders. Zwar ist die Bilanz in den Direktduellen weiterhin leicht negativ. Aber die Berner wissen, dass sie den FCB besiegen können, und tun das auch regelmässig. Vor allem zu Hause. Diese Saison war YB gar in allen drei bisherigen Duellen besser (Resultate: 1:3, 0:1, 4:2) – nächste Saison resultieren daraus auch die nötigen Siege.
Warum war YB in den vergangenen Jahren kein ernsthafter Herausforderer für den FCB? Ein wichtiger Grund war die Heimschwäche: In regelmässigen Abständen blamierten sich die Berner zu Hause gegen Mannschaften aus dem Tabellenkeller. Oder sie verloren gegen direkte Konkurrenten. Doch in dieser Saison machte YB in dieser Beziehung einen grossen Schritt nach vorne – einen sehr grossen: Zusammen mit Basel führt YB die Heimtabelle an – eine meisterliche Leistung. Es ist offensichtlich: Nach der Rückkehr des Kunstrasens brauchten die Spieler Zeit, sich an den Plastik zu gewöhnen. Dieser Prozess ist abgeschlossen, Spieler und System sind mit der streitbaren Unterlage eins geworden. Das wird in der nächsten Saison noch deutlicher.
Ob Basel, Bayern, Chelsea oder Juve – die Meister Europas verbindet eine Sache: Sie haben eine stabile Achse, die in schwierigen Phasen Halt und Stabilität gibt. Auch YB hat jetzt so eine Achse: Im Tor Yvon Mvogo, der immer konstanter wird. Im Abwehrzentrum Milan Vilotic, der noch stärker spielt als zu seinen besten GC-Zeiten. Im Mittelfeld Sekou Sanogo, der Technik, Übersicht und Kampfgeist vereint. Im Sturm Guillaume Hoarau, der die Qualität besitzt, aus dem Nichts Spiele zu entscheiden. Sie alle sind hierzulande überdurchschnittlich gute Spieler und wären – mit Ausnahme von Mvogo – auch beim FCB Stammspieler.
Ebendiese Achse, die den FCB so stark macht, droht in diesem Sommer komplett wegzubrechen. Der Verlust von Marco Streller schmerzt doppelt: Der 33-Jährige ist emotionaler Leader und Knipser zugleich. Er hinterlässt ein Loch, das der FCB nicht mit einem, nicht mit zwei und auch nicht drei anderen Spielern füllen kann. Kommt dazu: Auch Abwehrchef Fabian Schär und Regisseur Fabian Frei wollen weg – zusammen mit Streller verkörpern sie die Basler Winnermentalität. Und bei YB? Dort deutet nichts auf den Abgang der Stützpfeiler hin. Und wenn doch ein Angebot für Hoarau und Co. reinflattert, werden sich auch die Spieler selber – anders als früher – zweimal überlegen, YB im Sommer zu verlassen: Es winkt die riesige Chance, mit YB Geschichte zu schreiben.
Mvogo, Wölfli, Bertone, Hadergjonaj – sie alle sind YB-Eigengewächse, in ihren Adern fliesst gelb-schwarzes Blut. Andere wie Nuzzolo, Gerndt oder Hoarau sind zwar keine Berner, geniessen in der Hauptstadt aber Kultstatus. Viel wichtiger: Sie alle fühlen die Sehnsucht der Menschen nach dem Meistertitel. Das wird Kräfte freisetzen. Basel hingegen hat nächste Saison wohl nur noch den 18-jährigen Embolo, der als Identifikationsfigur taugt.
Fazit: Eine eingespielte YB-Mannschaft; ein FCB, der sich im Jahr 1 nach Streller finden muss; keine Anzeichen von Stärke aus Zürich – wann, wenn nicht in der nächsten Saison, soll YB Meister werden?