Ein London-Derby am Kaspischen Meer. Heute um 23 Uhr Ortszeit (21 Uhr Schweizer Zeit/live auf SRF und im watson-Liveticker) findet in Baku der Final der Europa League zwischen Arsenal und Chelsea statt. Es ist das erste Europacup-Endspiel in Aserbaidschan.
Das erdölreiche Land am Kaspischen Meer will sich durch Sportereignisse einen guten Ruf erkaufen: 2012 hat es den Eurovision Song Contest ausgerichtet, 2015 die Premiere der Europaspiele. Seit 2016 gastiert zudem die Formel 1 in Baku. Auch bei der EM 2020 ist Baku Spielort. Erfolglos waren dagegen die Bewerbungen für die Expo 2025 sowie für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2016 und 2020.
⌛️ Chelsea 🆚 Arsenal 😍
— UEFA Europa League (@EuropaLeague) 27. Mai 2019
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Fünf Gründe, warum die Vergabe des Europa-League-Finals in die Hauptstadt Aserbaidschans nun für massive Kritik sorgt:
Das Olympiastadion von Baku ist für die Fans aus London alles andere als ein Katzensprung. «Baku ist eine der am schwersten erreichbaren Städte in Europa», schrieben die Anhänger der «Blues» und der «Gunners» in einer gemeinsamen Mitteilung: «Die Flugpreise sind exorbitant, die Hotelpreise explodiert.»
Während zwischen den Heimspielstätten Chelsea und Arsenal nur knappe 15 Kilometer liegen, ist die Arena in Baku rund 5'000 Kilometer von der englischen Hauptstadt entfernt.
Die Reiseoptionen sind fast nicht zumutbar: Würde man mit dem Auto fahren, bräuchte man laut Google Maps 57 Stunden, die Reise ginge durch Frankreich, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Polen, die Ukraine und Südrussland. Mit dem Bus wären es 86 Stunden.
Eine Flugreise von London nach Baku dauert über fünf Stunden, sofern man einen Direktflug gebucht hat. Die meisten Fans mussten allerdings einen Zwischenstopp einlegen und waren über zwölf Stunden unterwegs.
Das Olympiastadion in Baku fasst über 69'000 Zuschauer. Doch nur jeweils 6000 Karten haben die Finalisten Chelsea und Arsenal für ihre Fans bekommen. Beide Klubs haben rund die Hälfte zurückgeschickt.
Das merken auch die Online-Ticketbörsen. Während diese sonst mit dem Zweitverkauf von Karten teilweise horrende Gewinne einsacken, machen sie mit dem Verkauf von Final-Tickets für die Europa League Verluste. Tickets für die billigste Kategorie sind inzwischen für rund 20 statt 30 Euro zu bekommen. Die für die teuerste liegen sogar rund 40 Prozent unter dem offiziellen Verkaufspreis bei rund 82 Euro.
Welcome to Baku Airport. It’s rammed 🇦🇿 pic.twitter.com/5SVjvPw6Hn
— Simon Peach (@SimonPeach) 27. Mai 2019
Auch Arsenals Torhüter Bernd Leno ist skeptisch, was den Finalort angeht: «Dass nur 6000 Fans pro Mannschaft Karten bekommen, ist auch komisch. Ich war 2012 beim Champions-League-Final in München: Bayern gegen Chelsea. Da war die eine Ecke rot und die andere blau. Bei einem solchen Endspiel wie jetzt in Baku muss eine Hälfte blau und die andere rot sein – das macht doch den Fussball aus.»
Das Finale im Kaukasus wird vom Verzicht Arsenals auf Henrich Mchitarjan überschattet. Der Ex-Dortmunder spielt wegen der politischen Spannungen zwischen Aserbaidschan und seinem Heimatland Armenien nicht und reist nicht einmal mit nach Baku.
Vorwürfe an den 30-Jährigen, der schon zu Dortmunder Zeiten wegen des ungeklärten Konflikts beider Länder um die Region Berg-Karabach auf ein Europacup-Spiel verzichtete, gibt es aus der Mannschaft aber keine.
Bernd Leno ärgert es, dass sein Mitspieler das Endspiel gegen Chelsea wegen Sicherheitsbedenken verpasst: «Das ist ein Skandal, dass er deswegen nicht spielen kann», sagte der 27-jährige Keeper in einem Interview mit dem «Kicker» über das Fehlen des Mittelfeldspielers. «Er arbeitet die ganze Saison hart und kann dann aus politischen Gründen nicht mit zu so einem Finale kommen.»
[...] It‘s the kind of game that doesn’t come along very often for us players and I must admit, it hurts me a lot to miss it.I will be cheering my teammates on! Let’s bring it home @Arsenal 🏆💪🏼💪🏼💪🏼 #uel #final #arsenal #chelsea #AFC #COYG pic.twitter.com/gnDA6oyolw
— Henrikh Mkhitaryan (@HenrikhMkh) 21. Mai 2019
Auch Chelsea-Trainer Maurizio Sarri zeigte Bedauern und Verständnis: «Ich hätte ihn gern auf dem Platz gesehen, aber in so einer Situation ist es die Entscheidung eines Mannes, nicht eines Spielers. Das kann man nur respektieren.»
Und als wäre das nicht genug: Die Spieler der «Gunners» wollten beim Warmmachen aus Solidarität zu ihrem Teamkameraden geschlossen Mchitarjan-Trikots tragen. Der europäische Fussballverband UEFA, der sich gerne mit Hashtags wie #EqualGame und #Respect schmückt, habe dies nicht erlaubt.
Die Spieler des FC Arsenal dürfen beim Warmmachen für das Europa League-Finale keine Trikots von Henrikh #Mkhitaryan tragen, der aus politischen Gründen nicht mit nach #Baku fliegt. Die Uefa habe dies abgelehnt.
— Sport (@DLF_Sport) 27. Mai 2019
In der aktuellen «Rangliste der Pressefreiheit» der Organisation «Reporter ohne Grenzen» belegt Aserbaidschan den 166. Rang – von 180 Ländern. Kein UEFA-Land steht schlechter da.
Den europäischen Fussballverband scheint das nicht zu stören: Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hat bei der UEFA nachgefragt, wie sie sich auf die Unterdrückung der Pressefreiheit in Aserbaidschan eingestellt habe. Eine Antwort des Fussballverbands darauf hat es jedoch nicht gegeben.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet in ihrem Report für 2019 unter anderem von systematischer Folter in Aserbaidschan. Kate Allen, die britische Direktorin von Amnesty International, hat ein treffendes Wort geprägt: Aserbaidschan dürfe durch Fussball-Folklore nicht seine schreckliche Menschenrechtsbilanz «sportwaschen».
Der Begriff ist analog zum englischen Begriff «Greenwashing» zu verstehen, der das Bestreben von Unternehmen beschreibt, sich einen grünen, ökologischen Anstrich zu geben.
Was Kate Allen meint: Immer wieder richtet die Hauptstadt Baku sportliche und kulturelle Grossereignisse von internationalem Rang aus oder bewirbt sich energisch dafür. In den Augen vieler sind diese aber PR-Vehikel für den autokratischen Präsidenten Ilcham Alijew.
Es bleibt die Frage, ob man dieser Regierung die grösste Fussballbühne nach Europameisterschaft und Champions League auf dem Kontinent bieten darf.
(pre/as/sda)
Der Imagegewinn durch Sportereignisse wird sowieso masslos überschätzt.